Freitag, 12. April 2019

Neue Cargobikes bei StadtRad: Viel Lust, etwas Frust

 

Sie sind da. Endlich. Seit ein paar Tagen bereichern 20 Lastenpedelec die Stadtrad-Flotte in Hamburg. Ich bin den Frachter aus dem "Heimathafen Wilhelmsburg" schon gefahren. Und bin begeistert. Überwiegend zumindest.

 

Erster! Kaum stand das Stadtrad-Cargobike mit Elektromotor an seinem Standort Vehringstraße Ecke Mannesallee, habe ich es mir für zwei Stunden ausgeliehen und erste Erfahrungen gesammelt. "Early Adaptor" nennt das der weltgewandte Digital Native. Offenbar ging es vielen wie mir: Laut Stadtrad-App war an der Neuankömmling an fast allen Lastenrad-Standorten, erkennbar am Cargobike-Icon, gleich nach dem Start tagelang ausgebucht oder nur sehr spärlich verfügbar. Oder waren die guten Stücke noch - oder schon wieder - in der Werft? Mehr dazu weiter unten...

Egal, ich hatte Glück und kann auf dem feuerroten, nagelneuen Lastenrad über die Elbinsel cruisen. So ein fabrikfrisches Cargobike ist herrlich. Aplles funktioniert leichtgängig, flott schiebt es mich Richtung Süden. Erster Stopp vor einem Containerlager. Ein passender Ort, um das gute Stück im Stand genauer unter die Lupe zu nehmen.


Design/Ausstattung
Ein Cargobike im traditionellen Long-John-Stil: kleines Vorder-, größeres Hinterrad, dazwischen eine praktische Transportkiste, hoher Lenker für eine aufrechte Sitzposition. Das Ganze ist aus ziemlich massiven Alurohren und -profilen zusammengefügt. Praktische Trittbretter erleichtern kleinen Passagieren den Zugang zum Sitzbereich. Dort warten zwei gut bedienbare Sicherheitsgurte auf die Mitfahrer.

Geschaltet wird mit einer 7-Gang-Shimano-Nabe, den Strom fürs Licht erzeugt ein Nabendynamo, ebenfalls von Shimano. Spannend ist die Mischbereifung: Der vordere dicke 20 Zöller kommt von Schwalbe, hinterm Sattel dagegen dreht sich ein Pneu von Michelin mit 26 Zoll aus Frankreich. Wie auch immer, das Rad fällt mit seiner grellen Lackierung auf und sieht Blicke an. Genau das ist sicherlich ganz im Sinne der Stadtrad-Manager, die sich über den Werbeeffekt freuen werden. Aber wer ist eigentlich der Hersteller des neuen Flagschiffs in der Stadtrad-Flotte?


Das verrät ein silberner Aufkleber auf dem Sattelrohr. Velofaktur steht da. Die Firma aus Hüllhorst bei Bielefeld wächst rasant und hat sich auf Mobilitätslösungen spezialisiert. Zu denen gehört eben auch zunehmend Lösungen für Bikesharing-Anbieter. Und jetzt offensichtlich auch die Bereitstellung und die Infrastruktur für die Stadtrad-Cargopedelecs. Wer das Lastenrad genau anschaut wird gewisse Ähnlichkeiten zu den Fahrradmodellen der Firma i:SY entdecken. Kein Wunder, denn der ehemalige Kopf der i:SY-Modelle Martin Kuhlmeier arbeitet jetzt neben Rüdiger Wiele als Geschäftsführer bei Velofaktur. Gut was er als i:SY-Mastermind an Expertise mitgenommen hat, denn das Rad möchte ich als durchweg gelungen bewerten. Besonders auch was die Fahreigenschaften betrifft.

Fahreindruck
Kurz gesagt: leise! Der Mittelmotor wird nur an Steigungen und schnellen Trittbewegungen hörbar. Ansonsten ist das Rad angenehm ruhig. Das verdient Respekt, denn motorisierte Lastenräder neigen schon mal dazu, die Motorgertäusche durch Resonanzen der Transportbox zu verstärken. Satt liegt das Rad auf der Straße, lenkt bauartspezifisch eher träge ein, hat aber einen vertretbaren Wendekreis. Geübte Fahrer können sogar auf einem breiteren Radweg wenden, ohne abzusteigen. Darum: Das Rad ist durchaus auch für Anfänger geeigent. Wer keinerlei Erfahrung mit Lastenrädern hat, sollte erst etwas üben, dann werden Novizen schnell damit klar kommen.

Hinten Rollenbremse. Schibe wäre besser
Eine Regelung der elektrischen Unterstützung gibt es nicht. Der Motor hilft je nach Trittbewegung mit identischer Intensität. Vorne verzögert eine kräftige Scheibenbremse, hinten erstaunlicherweise nur eine Rollerbrake, die im Bremsgriff auch prompt jenes elastische, gummiartige Dosierungsgefühl hinterlässt. Eine Scheibenbremse wäre mir hier lieber. Vor allem dann, wenn die 45 Kilo Zulasung mit zwei Kleinkindern an Bord voll ausgeschöpft wird. Der Zulieferer des Motors ist leider nicht identifizierbar; einer von Bosch ist es jedenfalls nicht. Ich tippe eher auf Brose.

Nutzwert
Hoch! Für Einkäufe wie schwere Getränkekisten, sperrige Palmen vom Fischmarkt, Farbeimer aus dem Baumarkt gibt es nichts Besseres. Auch meine beiden Jungs (2 und 4 Jahre) fühlen sich an Bord pudelwohl. Auf dem geschwungenen, stadtradtypischen Gepäckträger finden darüber hinaus weitere Gegenstände Platz. Oder verbotenerweise ein weiterer Mitfahrer, wie oft auf den normalen Stadträdern zu sehen ist.






Kosten
Wie die normalen Stadträder sind die ersten 30 Minuten kostenlos, danach fallen für das Lastenpedelec 10 Cent pro Minute an. Die Tagesgebühr für 24 Stunden beträgt 24 Euro. Das sind absolut faire Preise. Die 30 Minuten Gratis-Phase dürften in der täglichen Praxis bedeutungslos sein. Wer fährt schon so kurz mit einem Frachtfahrrad? Zumal die Pedelecs immer an die gleiche Ausleihstation zu retounieren sind. Wahrscheinlich werden sich viele Nutzer die Tagesausleihe gönnen.






Probleme
84 Prozent: Auch diesesRad lädt offenbar nicht
Leider ja. Ganz offensichtlich funktionieren die Ladepoller nicht einwandfrei. Wie sonst ist es zu erklären, dass in der Startwoche einige Exemplare über viele Stunden bei etwa Ladezustand 15 Prozent verharen? Normalerweise soll das ummantelete Stahlseil des blauen Abstellpollers auch als Ladekabel dienen. In der Tat führen von dem Bügelschloss am Rahmen ein paar Kabel Richtung Akku im Heck. Der Zapfen des Pollerseils gibt beim zurückschieben eines Kunststoffschutzes mehrere Kupfer-Kontaktringe frei. Gut gedacht, bislang aber schlecht gemacht. Mein Wilhelmsburger Modell mit der Nummer 39718 zeigte nach den Einführen des Kabels und anschließendem Abschließen jedenfalls keine Anstalten, auch zu laden. Noch Stunden später zeigte es eine Ladekapazität von 87 Prozent - exakt der gleiche Wert wie bei Abgabe. An den anderen 19 Stationen scheint das ähnlich zu sein. Dafür spricht auch das am Ende der Startwoche eigentlich nirgends auch nur ein einziges Lastenpedelec auf der App zu finden war. 20 Stationen, 20 Pedelec, alle vermietet? Und das morgens um 6 Uhr? Ebenso mittags? Und um 15 wie um 19 Uhr? Kann ich nicht glauben. Gut möglich, dass die guten Stücke zurück in der Werkstatt sind. Selbst im abgeschlossenen Zustand lässt sich das Kabel wieder aus dem Schloss entfernen. Da kann doch was nicht stimmen. Außerdem zickt das Display bei der Abgabe mit wirren Meldungen. Da steckt wirklich noch ein Bug drin.

Fazit
Sicherheits- und Ladekabel in einem
Die Lastenräder sind eine tolle Bereicherung des Stadtrad-Netzes. Nur sind es zu wenige. 200 wären besser als die 20 Exemplare. Mindestens 10 Prozent der Stadtrad-Gesamtflotte solltes es schon sein finde ich. Aber zur Probe ist der Versuch mit den 20 natürlich verständlich. Und Probleme machen die Cargobikes ja offenbar schon jetzt. Möge die Flotte möglichst bald wieder auslaufen und von Vandalismus und Diebstahl verschont bleiben.










Meine boys haben Spaß bei den Probefahrten vor der Rindermarkthalle
































1 Kommentar:

  1. Guten Morgen, der Mittelmotor ist von der Firma Metz und wurde auf der Eurobike 2018 vorgestellt.
    Karl- Heinz Lange

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