Mittwoch, 5. Februar 2014

Sheldon Brown-Gedächnisfahrt: Nachts durch HH

Der amerikanische Fahrradguru Sheldon Brown starb 2008 mit nur 63 Jahren
Manche Radtouren sind schräg. Oder haben zumindest einen ungewöhnlichen Hintergrund. Die Sheldon Brown-Gedächnsifahrt ist eine dieser Touren. Weltweit gedachten am gestrigen Dienstag Fahrradfans dem 2008 verstorbenen Sheldon Brown, in dem sie eine beliebig lange Fahrradtour absolvierten. Sheldon Brown war ein amerikanischer Fahrradguru, der eine sehr lesenswerte Internetseite ins Leben gerufen hat. Diese erklärt bis heute wichtige Bauteile der Fahrradtechnik, gibt Tipps zur Fahrradreparatur und dient als wertvolles Online-Lexikon. Unsere Wertschätzung haben mein Bruder Oliver und ich durch eine Tour mit zwei besonderen Fahrrädern ausgedrückt.

Um 18 treffen wir uns an der Alsterperle. Wir freuen uns über den schönen Sonnenuntergang hinter der noch zugefrorenen Wasserfläche und die wunderbar illuminierte Skyline. Für eine Gedenkrunde an den vor sechs Jahren gestorbenen Sheldon holten wir natürlich zwei Fahrrad-Ikonen aus dem Keller: einen 12-Zöller mit Rollergeometrie aus den 50er-Jahren von Westerheide sowie das luxuriöse Klapprad von Peugeot, das zur Feier des Tages besonders weiß unter der Lichterkette der Alsterperle strahlt.


Kurze Besprechung: Links rum? Oder rechts? Für Jogger ist die Laufrichtung um die Alster ja von weltanschaulicher Bedeutung. Wir sehen das nicht so eng und entscheiden uns gegen den Uhrzeigersinn, um so dem Feierabendverkehr auf zwei Rädern zu entgehen. Flott erreichen wir die Krugkoppelbrücke, biegen unerlaubterweise auf den Sandweg direkt am Ufer ab, um mehr von der schönen Abendstimmung einzusaugen. Kurzer Zwischenstopp an Bodos Bootssteg. Tiefer Winter samt Froststarre. Ein Bauzaun verwehrt uns die Zufahrt zum Anleger. Ach, wenn doch schon Frühling wäre. Dann herrscht hier fast immer eine wunderbar entspannte Sonnenstimmung mit herrlichem Blick auf das funkelnde Wasser.

Weiter geht's unter Lombards- und Kennedy-Brücke durch, am Vierjahresezeiten vorbei in den Neuen Wall. Auf dem Westerheide-Minivelo habe ich ganz schön zu treten. Trainingstheoetisch nennt man das hohe Kadenz; um halbwegs mit dem 20 Zoll-Klappi von Olli mitzuhalten, müssen meine Beine flink wirbeln. Soll keiner sagen, historische Kleinstfahrräder eignen sich nicht für radsportliches Training. In der Kaiser-Wilhelm-Straße bestaunen wir kurz durchs Fenster ein in einem Nobel-Möbelladen ausgestelltes Rennrad aus der Vorkriegszeit. Der Falter-Halbrenner von 1927 soll 1600 Euro kosten. Wer kauft so etwas? Was würde wohl Sheldon dazu sagen?

Allzu lange sinnieren wir darüber nicht, denn wer bei minus einem Grad steht, beginnt schnell zu frieren. Wir tauschen die Räder. Mannohmann, was für ein Unterschied. Das Peugeot rollt viel kommoder, weicher, stabiler und natürlich schneller durch die Straßen. Über den Großneumarkt, vorbei an der Eisbahn und dem Heiliggeistfeld steuern wir ins Karoviertel. Bei Urbike sitzt der Chef noch hinterm Schreibtisch. Wir werfen einen Blick auf seine Räder und halten einen kurzen Techniktalk. Einzelne Radläden anzufahren halten wir für exakt die richtige Maßnahme für einen Sheldon Brown-Gedächnsride. Nächster Stopp ist also folglich Drive in der Bernstorffstraße. Auch hier ist auf. Neben klassischen Rennrädern hat Drive ein rotes Peugeot-Klappi für 190 Euro im Angebot - es ist baugleich mit Ollis-Franzosen und im gleichen Zustand. Ein stolzer Preis.

Hunger! Um die Ecke liegt die "Kleine Pause", die nicht nur durch die herzhafte Ausdrucksweise der Damen hinterm Tresen einen Besuch wert ist, sondern auch wegen der schmackhaften Currywurst. "Die Große schmeckt besser als die Kleine", raunt mich eine der Imbissdamen an. Bei dem Tonfall wäre es eine Beleidigung nun die kleine Curry zu bestellen. Fünf Minuten später liegen zwei große Currywürste mit Pommes vor uns. Echt lecker! Dazu genehmigen wir uns zwei Tannenzäpfle. Astra wäre ehrlicher, aber nicht leckerer.

Jetzt noch rein nach Pauli. Über Geh- und Schleichwege erreichen wir die Große Freiheit und wedeln in die Seilerstraße. Auch hier erwartet uns wieder ein besonderes Radgeschäft. Die Firma 10Bici verkauft ausschließlich Vintage-Rennräder aus Italien und liefert die Historie, Wohnort des Vorbesitzers und dessen Vita mit. Interessante Geschäftsidee. Vor einem weißem Tuch ist nur ein alter Stahlrennner im Schaufenster ausgestellt. Das macht neugierig auf das Angebot dahinter. Geöffnet ist aber immer nur Freitags und Samstags.

Nächster Stopp ist wieder im Karoviertel bei  Holybikes. Dieser Laden hat sich auf Cruiser und das passende Zubehör spezialisiert. Ein cooler Laden, der aber mal eine kleine Auffrischung nötig hätte. Wir passieren den Fernsehturm und die eher mainstreamigen Fahrradshops Pedalkraft und MSP.

Eine andere Richtung verfolgt  Puschi Schmidtkes Radsalon in der Hansastraße: feinste Gegend sowie zahlungskräftiges Publikum aus Pöseldorf und Eppendorf. Entsprechend stylisch ist das Angebot aus auffäligen Designfahrrädern von Bella Ciao und Pashley, die Preisschilder gern mal in der Region um 1600 Euro tragen. Und wieder schießt es uns in den Kopf: Was würde wohl Sheldon dazu sagen?

Über Rotherbaum und die supernoble Sophienterasse erreichen wir wieder die Alster. Rechts? Oder links? Keine Frage, die Tour ist nicht komplett so lange wir nicht die gesamte Runde gefahren sind. Also weiter gegen den Uhrzeigersinn. Das Atlantic liegt rechts und ein wunderbar blau illumierte Papierschiff-Installation links. Plötzlich schreit ein Radfahrer von vorn. Warum wissen wir nicht. Vielleicht war ihm Ollis LED-Scheinwerfer zu hell. Oder er sah zu wenig Platz zwischen den beiden Shelton-Gedächnsfahrern. Egal. Weniger egal finde ich, dass doch noch immer zahlreiche Abend- und Nachtradler gänzlich ohne Licht unterwegs sind. Tragen diese dann auch noch schwarze Klamotten, werden sie erst in letzter Sekunde sichtbar.

Nach 24 Kilometern und rund 3,5 Stunden stehen wir an der Alsterperle und trinken auf Sheldon ein letztes Bier; unter freiem Himmel natürlich. Ich bin sicher: Sheldon hätte das gefallen.




Unsere Route anlässlich der Sheldon Brown Gedächnissrunde. Länge: 24 Kilometer, Durchschnitts-Tempo: sieben km/h.








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