Freitag, 16. Oktober 2015

Neuer Gratis-Lastenrad-Verleih: Ein Date mit Klara

Sicher und groß wie ein Bunker: Klara - Hamburgs kostenloses Lastenrad
Kennengelernt haben wir uns übers Internet. Das ist heute schließlich die gängige Art für Romanzen aller Art. Klaras Maße klangen so vielversprechend, dass ich unbedingt ein Date mit ihr wollte: 72/44/20*. Und dann ihr Foto: Eine strahlende Schönheit mit schlanken, drahtigem Körper. Klar, Klara muss ich unbedingt treffen. Auch wenn Klara nur ein Lastenrad ist.
*Abmessungen der Ladebox

Eine schöne Dänin erobert Hamburg 

Klara ist natürlich ihr Künstlername. Bürgerlich heißt sie eigentlich Triobike Cargo. Klara ist ein Einspur-Lastenrad der sportiven Sorte, ein Konkurrenzprodukt aus Aluminium zum beliebten Kurier-Liebling Bullit. Wie sein Vorbild kommt auch das Triobike aus der Lastenrad-Hauptstadt Kopenhagen. 
Macht überall eine gute Figur: Das Triobike ist aus Alu,
damit leicht und ein schick designtes Lastenrad

Die schöne Dänin hat der ADFC Hamburg auserkoren, um den Hansestädtern die Vorteile eines Cargobikes näher zu bringen. Jeder kann das Rad bis zu drei Tage ausleihen - kostenlos. Ja, richtig gelesen: Klara kostet nix. Zero Euro. Nulltarif! Für lau. Gratis. Keine Kosten! Ich finde das grossartig und hoffe, dass Klara viele Nutzer mit dem Lastenrad-Virus infiziert, dass sie begeistert, dass sie jede Menge Fans, Freunde und Follower findet, ja, dass sie einen Cargobike-Hype auslöst.

Cargobikes: das "next big thing"

Cargobikes unter sich: Triobike trifft Omnium vor der
Wilhelmsburger Kaffeklappe
Denn moderne Transportfahrräder sind in der Fahrradbranche neben den E-Bikes so etwas wie das "next bis thing". Studien belegen: Lastenräder ersetzen schon jetzt vielerorts den Zweitagen. Für die selbsternannte "Fahrradstadt Hamburg" und Möchtegern-Olympiametropole kommt die kostenlose Klara daher genau richtig - auch wenn es dafür bessere Startzeitpunkte gibt als den verregneten Oktober. Als ich Klaras Sedcard auf ihrer Webseite entdeckte, habe ich sofort online ein Rendezvous vereinbart. Das klappte problemlos. Nach der Registrierung reservierte ich zwei Tage - ein Glücksfall, denn schon kurze Zeit später war Klara wochenlang bis Anfang November ausgebucht. Denn Klara trifft offenbar den Nerv der Zeit. Jeder will Klara!


Aber wie ist sie denn nun, die Klara? Nun, unser Treffen beginnt unspektakulär bei Ahoi Velo Cargobikes am U-Bahnhof Schlump. Hier ist Klara vorerst bis Anfang November stationiert. Später sollen andere Standorte dazu kommen. Wo die sein könnten, wird gerade geprüft. Ladenbesitzer René Reckschwardt checkt meinen Personalausweis, ich schreibe meine Daten auf ein Formblatt und schon halte ich den Schlüssel fürs massivste  aller massiven Abus-Schlösser in der Hand. "Bitte sicher abstellen und gut anschließen", gibt mir René noch mit auf dem Weg. Ich bin der erste offizielle Ausleiher, der sich mit mit dem Leihlastenrad einlässt.  Dann sind Klara, mein achtmonatiger Sohn und ich alleine. Eigentlich wollte ich meinen Nachwuchs natürlich gerne in der großen Transportkiste platzieren. Doch für den Kindertransport ist das Leih-Lastenrad noch nicht mit einer Babyschalenhalterung/Sitzbank vorbereitet. Das soll noch kommen. Hoffentlich bald, denn die meisten Lastenräder werden ja für den Kindertransport benutzt.
Notlösung: Für den Kindertransport ist Klara noch nicht vorbereitet. Ich
habe mir darum mit einem Spanngurt eine eigene Fixierung für die Baby-
schale im Lastenrad gebaut. Funktioniert bestens, weil der Maxi Cosi
quasi "saugend" in die Triobike-Kiste passt und darum nur eine Abspannung
in Längsrichtung benötigt

Heute muss mein Kleiner im Tragetuch Platz nehmen und wird vorm Bauch durch die Stadt kutschiert. Das bringt mir ein paar schräge Blicke ein: Warum hängt der Lütte vor Papis Bauch wenn er doch eine riesige Ladefläche am Fahrrad hat? Die Tagebuch-Methode ist übrigens sicherer als so mancher (und meine Frau) befürchtet. Für den Lütten ist sie jedes Mal eine Freude.

Klara mag es sportlich

Leider regnet es immer noch und die Temperatur beträgt nur sechs Grad. Egal, wir strampeln via Dammtor zur Alster, weiter am Hauptbahnhof vorbei zu den Deichtorhallen, über die Oberhafen-Spange zu den Elbbrücken auf den Loop und ins Herz von Wilhelmsburg. Die 15 Kilometer sind mit Klara ein Klacks. Das Rad ist leichtfüssig und fährt sich zügig. Technisch lässt die Ausstattung kaum Wünsche offen: Angetrieben wird es von einem geräuschlosen Gates-Riemenantrieb und einer Elfgang-Alfine Nabe, die schnell und knackig die Gänge wechselt. Vorn und hinten wird Klara von zwei hydraulischen Scheibenbremsen verzögert. Das schafft Vertrauen. Den vorderen Scheinwerfer speist ein Nabendynamo mit Strom, er hat eine Standlichtfunktion und wirft ein quadratisches Lichtbild auf die wasserglänzende Fahrbahn - er taugt eher zum "gesehen werden" als zum "sehen". Genial: Der Frontscheinwerfer hat eine Automatik; im Tunnel, unter Bäumen und bei einrechender Dunkelheit schaltet sich das Licht selbsttätig ein. Nach hinten leuchtet eine helle Akkuleuchte an der Sattelkerze. Aber das Beste überhaupt: Dieses Lastenrad darf 185 Kilo inklusive Fahrer zuladen. Es eignet sich also, um damit rund zehn Kästen Bier, Tannenbäume, Möbel oder Waschmaschinen weg zu schaffen.
 
Kind plus eine Kiste Bier passen
problemlos auf die Ladefläche des
Lastenrades
Nach rund 30 Minuten bin ich trotz zahlreicher roter Ampeln Zuhause; das ging schneller als mit U- und S-Bahn und zeigt, dass Klara der eher sportliche Typ ist. Auffällig wird das besonders bei der Sitzposition. Ähnlich wie beim Bullit ist diese eher nach vorn geneigt. Sie erinnert durch den langen Vorbau an die Haltung und auf einem Rennrad und begünstigt den Vortrieb. Auf einem klassischen Bakfiets und Lastenrad-Trike geht es jedenfalls deutlich gemütlicher und langsamer zu. Ich finde es mutig und gut, dass die Verantwortlichen auf ein sportliches Lastenrad setzen - auch wenn diese Charakteristik vielleicht nicht jedem liegen mag. Im höchsten Gang erreicht man Rennradtempo - vorausgesetzt man hat die Muckies dafür oder es geht bergab.

Eigentlich kann jeder, der einigermassen routiniert Rad fährt, Klara sicher durch die Gegend bewegen. Das Anfahren wirkt auf den ersten Meter manchmal etwas eierig, dann aber liegt das Rad satt auf der Straße. Nur enge Kurven und Umkehrmanöver erfordern Eingewöhnung, denn der langen Radstand schafft logischerweise einen sehr großen Wendekreis. Auch das Rangieren vor der Haustür oder im Fahrradhäuschen will geübt werden. Zum Glück ist Klara ja aus Aluminium und wiegt nur 22,5 Kilo. Darum kann man sie am Sattel packen und den Hinterbau um die Ecken wuchten - ein echter Vorteil gegenüber Lastenrad-Stahlkonstruktionen.


Problem: Wohin mit dem sperrigen Lasti?

An meinem Mehrfamilienhaus parke ich Klara wettergeschützt unter einer Treppe und sichere die Lasetnrad-Dame mit gleich drei (!) dicken Schlössern. Schließlich will man so etwas Gutes und Wertvolles beschützen, damit es möglichst lange bei einem bleibt. Angemessene Abstellmöglichkeiten sind ein echter Schwachpunkt von Lastenrädern. In Kellern und engen Fahrradhäuschen werden sie zur Qual; vielleicht sollte die "Fahrradstadt Hamburg", die ja auch seit 1. Oktober eine Fahrradkoordinatorin hat, spezielle Lastenrad-Parkplätze einrichten oder Stellplätze in Parkhäusern dafür schaffen.

Insgesamt ist das Klara-Projekt eine runde Sache. Die Verantwortlichen wollen das Rad noch mit einer Rohloff 14-Gang-Speedhub und Kettenantrieb umrüsten. Mir fehlt eigentlich nichts. Zu Mäkeln gibt es nicht viel. Der Schnellverschluss für die Sattelhöhenverstellung ist etwa zu fummelig, die Klingel lächerlich leise und ein Gepäckträger fehlt. Und an der Hinterachse wünsche ich mir einen Kupplungsadapter für den Fahrradanhänger. So könnte Klara gleich vier Kindern Platz bieten.

Bleibt nur eine Frage: Wofür steht Klara eigentlich? Antwort: Kostenloses Lastenrad. Feine Sache. Und wenn ich die Signale richtig deute, soll Klara nicht lange allein bleiben und bald mindestens eine Schwester bekommen.

Ach Klara, werden wir uns wieder sehen? Das wird schwierig. Denn bis 7. November hat sie bereits andere Verabredungen. Anschließend bekommt sie einen anderen Standort und wird sicher auch über den Winter ein gefragtes Model bleiben.
Die Alfine Elfgang-Nabe bietet ein sehr breites Übersetzungsspektrum

Der Gates-Riemenantrieb sorgt für lautlosen Vortrieb

Griffige Pedale garantieren effektiven Tritt

Der verstellbare Vorbau ist eher lang

Optimierungspotential: Der Schnellverschluss der
Sattelstütze dürfte verbindlicher sitzen

Scheibenbremsen vorn und hinten glänzen mit kräftiger Verzögerung

Details und Verarbeitung wirken hochwertig

Die Klingel ist leider Murks, weil viel zu leise

Schnellverschlüsse erleichtern den Ausbau des Vorderrades

Die hintere Akkuleuchte ist schön hell. Aber warum wird
sie nicht vom Nabendynamo gespeist?

Die elf Gänge werden über zwei Drückhebel gewechselt

Sehr solider Rahmen und massives Steuerrohr

Wie alle Lastenbikes nach dem Long John-Prinzip wird das Vorderrad von
einer langen Lenkstange bewegt






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