Bunt bis schräg: Auffällige Fahrräder liegen im Trend |
Voller, größer und bunter
denn je. Das ist mein Eindruck von der diesjährigen Berliner-Fahrrad-Schau
(BFS), die ich für die schönste Bike-Messe weit und breit halte. Ob Aussteller,
Ausstellungshallen oder Rahmenprogramm – seit Jahren hat die BFS ein besonders
Flair. Aber es gibt auch Kritik. Meine BFS-Bilanz.
Wo anfangen? Und vor allem:
wann? Das sind die Fragen, die sich mir dieses Jahr bei meinem Besuch der BFS
stellten. Denn wie im Jahr zuvor ist die BFS nicht mehr nur eine
Wochenend-Ausstellung, sondern zur sogenannten Berlin Bicycle Week
angeschwollen. Eine ganze Woche lang gibt es in Berlin-Fahrrad-Action wie
Mauerwegtouren per E-Bike, Holistic Cycling (eine Art Fahrrad-Yoga) oder die
lange Nacht der Bike-Shops. Kurzum: Für eine Woche wird die deutsche Hauptstadt
zur europäischen Fahrrad-Kapitole.
Darum: Wo anfangen. Und wann?
Ich entscheide mich für
Freitagnachmittag mit einem Besuch auf dem Tempelhofer Feld. Hier ist ein
Cargobike-Spektakel angesagt: Das zweite Berliner Lastenradrennen steht auf dem
Programm – ziemlich genau mein Geschmack. Würde mich nicht wundern, wenn das in
den nächsten Jahren zu einem internationalen Großevent anwächst. Noch geht es
familiär zu.
Rund 50 Cargobiker sind am
Start; aber international ist das Ganze schon. Die Startflagge schwenkt Friis
Arne Petersen, dänischer Botschafter in Berlin. Cargobikes seien quasi eine
Kopenhagener Erfindung, meint Petersen und wird in seiner Eröffnungsrede sogar
politisch: „Ich war vorher Botschafter in China und bedaure, dass die Chinesen
ihre Fahrradkultur zugunsten deutscher Autos opfern!“ Ups, ein Seitenhieb auf die
PS-Industrie. Der Mann hat Recht. Wie radikal sich die Volksrepublik dem
Fahrrad ab- und dem Auto zuwendet macht traurig.
Aber dann wird es zum Glück
lustig: Die Rennen gehen über die Bühne. Jeweils vier bis sechs Cargobiker
treten gegeneinander an. Eine Runde wird ohne Last gefahren, dann werden die
Transporträder mit Zeitschriften, Posterrollen und anderen Frachtstücken
beladen und es gilt, nochmals zwei Runden auf der rund 300 Meter langen Strecke
zu absolvieren. Nicht nur die Kraft in den Beinen entscheidet, sondern das
Beladen des Bikes will gekonnt sein, damit das Gepäck nicht verloren geht.
Dabei kommt es zu
sehenswerten Zweikämpfen, lustigen Pannen und sportlichen Höchstleistungen. Die
Teilnehmer stammen überwiegend aus der Berliner Kurierszene, aber auch Cargobike-Lobbyisten
wie Arne Behrensen und Lastenrad-Prominenz steht am Start. Hans Bullitt
persönlich zeigt, was das gleichnamige Transportrad als Sportgerät drauf hat.
Ein eigenes Bullitt hat Hans nicht dabei. Wozu auch? Es stehen ja genug Bullitts
auf dem ehemaligen Flughafen herum und Hans leiht sich kurzerhand ein Bike aus
– Cargobiker sind halt eine Familie.
Ach, gewonnen hat auch irgend
jemand. Wer? Unwichtig! Den Cargobikefans geht es hauptsächlich um die
Botschaft, dass Lastenräder ideale Stückgut-Transporter für die Stadt sind.
Auftrag erfüllt! Lastenräder gewinnen stark an Popularität.
Das war ein gelungener
Auftakt für den Messebesuch. So darf es weiter gehen. Tut es auch. Am Abend! In
den Hallen am Gleisdreieck. Um 18 Uhr wird die eigentliche BFS eröffnet und die
Ausstellung ist gut besucht. Es ist die Mischung aus neuen Fahrrädern, Mode,
Zubehör, Technik, Dienstleistungen, Skurilitäten und Partystimmung, die
anziehend wirkt. Locker mit der Bierbuddel in der Hand um die Stände ziehen –
wo gibt es das sonst? Dieses Messekonzept sorgt für maximale Lockerheit. Das
kommt an. Große internationale Bikehersteller direkt neben Einman-Betrieben und
ehrgeizigen Start-Ups, winzige Modelabels neben High-Tech-Firmen, Berliner
Fahrradsubkultur neben kommerziellen Mainstream, dazu Flohmarkt, Kinder-Kiez
und allerlei Aktionen – all das trifft offenbar den Zeitgeist so gut, dass die
BFS einen neuen Besucherrekord feiert. Dazu noch die Sportszene mit BMX- und
Trailwettbewerben, Bikepolo und Kunstradfahren sowie Ausstellungen – mehr
buntes Fahrradtreiben gibt es nirgends.
In Zahlen ausgedrückt: 365 Marken, 4000 Quadratmeter Fläche in sechs Hallen, gegenüber 2015 hat sich dadurch die Besucherzahl fast verdoppelt, heißt es seitens der Veranstalter. Ein großer Erfolg also, diese BFS.
In Zahlen ausgedrückt: 365 Marken, 4000 Quadratmeter Fläche in sechs Hallen, gegenüber 2015 hat sich dadurch die Besucherzahl fast verdoppelt, heißt es seitens der Veranstalter. Ein großer Erfolg also, diese BFS.
Trotzdem bleibt es schwierig,
den Markt zu analysieren. Wohin steuert die Bikebranche? Was ist nachhaltig? Was
Eintagsfliegen? Letztlich basiert dieses Urteil auf subjektiven Beobachtungen
und Bauchgefühl. Hier kommen die Trends, die auf der BFS zu beobachten waren.
Einige werden bleiben, andere schnell wieder verschwinden. Und wenn ich mich
irre, umso besser.
Trend 1: E-Fahrräder
Klar, Pedelec und E-Bikes
sind buchstäblich der Motor der Bikebranche. Das war auch in Berlin zu sehen.
Elektrifizierte Fahrräder hatten einen eigenen Ausstellungsbereich, der aber
für die Bedeutung dieses Segments eher klein ausfiel. Neben der Integrierung
der Antriebstechnik in den Rahmen wächst die Zahl jener Anbieter, die
E-Nachrüstlösungen für normale Fahrräder wie beispielsweise die Firma Relo auf
den Markt bringen. Ob sich das durchsetzt, darf bei Preisen ab zirka 2000
bezweifelt werden. Auch optisch ist ein nachträglich ans Tretlager
angeflanschter Hilfsantrieb fragwürdig.
Trend 2: Fahrräder als Holz
Gefühlt präsentierte fast
jeder vierte Stand ein Holzfahrrad. Bambusbikes - die ja eigentlich nicht aus
Holz, sondern Gras sind - kennen wir ja schon seit ein paar Jahren. Nun aber
kommen immer mehr Bikes aus Schicht- und anderen Hölzern dazu. Ich frage mich:
Was soll das? Warum ein Fahrrad aus Holz? Oft gehörte Antwort: „Ist
nachhaltiger als anderes Material, verschlingt in der Herstellung weniger
Energie...“ Öko eben. Und natürlich
sauauffällig und das scheint mir die wahre Triebfeder für den Holztrend zu
sein. Stahl, Alu, Titan, Carbon... – alles alt(bewährt) und langweilig. Wer
wirklich anders sein will, fährt Holz. Bitteschön, aber ohne mich. Für mich
sind Holzfahrräder auf dem Holzweg.
Trend 3: Retrobikes
Nicht ganz neu, aber immer
noch vielerorts zu sehen: Fahrräder mit klassischen Rahmen und Lackierungen,
aber moderner Technik. Diese Youngtimer ab Werk scheinen sich im Fahrradhandel
nachhaltig zu etablieren. Auffällige Farben und Details wie gehämmerte
Schutzbleche ziehen Kunden an. Gut so, denn diese Fahrräder machen nicht nur
Freude sie anzuschauen, sondern dank zeitgemäßer Komponenten auch zu fahren.
Beachtlich fand ich vor allem das Portfolio der kalifornischen Firma Electra,
die es gut versteht, zweirädrige Lebensfreude unters Fahrradvolk zu bringen.
Demnächst sogar mit einem eigenen Flagshipstore in Hamburg.
Trend 4: Lastenräder
Sie sind ein Wachstumsmarkt
mit immer neuen Konstruktionen. Ob als Kurierfahrzeug, für den Kindertransport,
als Coffee-Bike oder Reiserad – das Segment wächst sichtbar und wird auch in
Deutschland mehr und mehr Freunde finden. Vor allem elektrifizierte Cargobikes
könnten dafür sorgen, dass diese Fahrradgattung sich zunehmend als Alternative
zum (Zweit-)Pkw etabliert.
Trend 5: Handbuilt
Teure Maßrahmen vom
Lötkünstler sind eine wachsende Marktnische. Das „Fahrrad fürs Leben“ gewinnt
nicht nur bei passionierten Langstrecklern an Bedeutung, sondern auch als
Statussymbol bei Schönwetter-Fahrern, deren Motivation sich überwiegend aus
Besitzerstolz eines urbanen Trendartikels speist.
Trend 6: Velo Couture
Fahrradfashion ist ein
Glanzlicht der BFS. Eine ganze Halle ist für Austeller reserviert, die Bikemode
anbieten. Natürlich, es geht um den Look auf dem Rad, aber auch um Funktion.
Reflektierende Textilien, wasserabweisende Stoffe, Röcke zum Radfahren – all
das war erneut auf der BFS zu sehen. Das Thema bleibt sicherlich heiß. Sehr
schön war wieder der Stand von Race Baby – eine Firma, die Strampler, T-Shirts,
Trikots und Mützen für Klein(st)kinder anbietet.
Ganz klar: Heute ist es
wichtig, mit und auf dem Fahrrad gesehen zu werden. Grelle Warnwesten aus dem
Pkw-Kofferraum sind für mich der falsche Weg. Das geht schöner und ist eine
schöne Spielwiese für Designer, die sich vor allem auch genderspezifisch
definieren können.
Gutes Stichwort: Anders als beim
Auto, nehmen Velo-Konstrukteure fast seit Erfindung des Fahrrades auf die
anatomischen Besonderheiten von Frau und Mann Rücksicht. Trotzdem oder
vielleicht gerade darum gilt das Fahrrad als emanzipiert. Nicht die, nicht der,
sondern das Bike ist zumindest im deutschen Sprachgebrauch ein Neutrum und
passt damit bestens in die Zeiten der Gleichberechtigung.
Warum ich so weit aushole?
Ganz einfach: US-Firma Spezialized sorgte auf der BFS für einigen Aufruhr mit
der Präsentation einer E-Bike-Edition in Zusammenarbeit mit dem Playboy. Es
wirkte oldstylish und deplatziert, dass dieses Rad von zwei jungen Damen im
Bunnykostüm beworben wurde. Denk nicht nur ich. Sondern durch die sozialen
Netzwerke fegte ein kleiner Shitstorm angesichts der sexistisch empfundenen
Präsentation. Aber war das vielleicht genau Sinn der Aktion? Hauptsache im
Gespräch sein? Nun ja, bei Twitter beklagten vor allem Frauen, dass diese
altbackene Bewerbung nicht zum modernen Markenbild von Spezialized passen
würde. Der Kollateralschaden für die Firma wird sich in Grenzen halten.
Wichtiger halte ich kritische
Stimmen und Warnungen, dass die BFS insgesamt auf dem Weg zu einer reinen
Hippster-Messe ist. 21 Euro Eintritt fürs Zweitage-Ticket, hohe Standgebühren
und zu viel Anziehungskraft aufs Szenevolk, dass eigentlich nicht viel fürs
Fahrradfahren übrig hat, sind einige der Vorwürfe, die ich am Rande der Messe
vernehmen konnte. Mag sein, dass das Konzept velophilen Puristen der alte
Schule zunehmend auf den Geist geht. Der Besucheransturm vor allem am
regnerischen Sonntag gibt den Machern aber recht. Gegen Mittag wartete eine
sehrt lange Schlange auf Einlass. Kein Zweifel: Fahrradfahren ist in. Auch bei
Leuten, die bisher mit Fahrradfahren und mit Fahrradfahrern nicht viel am Hut
hatten. Das ist nicht schlecht. Im Gegenteil: Das ist gut. Rückt es doch das
Rad noch weiter in die Mitte der Gesellschaft.
Mit dem Holzrad hast du sicher recht. Das zeigt auch schon der andere, waher Trend zum Retrobike. Das Fahrrad war gegen Ende des letzten Jahrhundert in seiner reinen Form praktisch perfekt ausgereift. Alles andere sind Spielereien, um neue Märkte zu öffnen, die es nicht gibt.
AntwortenLöschenIch war dieses Mal leider nicht dabei, konnte aber bereits im letzten Jahr eine deutlich Entwicklung zur Kommerzialisierung erkennen. Auch damals gab es schon Klagen über die hohen Standgebühren...
Die Gebühren sind straff und es ist eine reine Showmesse. Verkäufe gab es nur im Bereich der Mitnahmeartikel. Hipstermäßig empfand ich die Messe nicht. Die wirklichen Neuigkeiten waren sehr spannend. Ferrari und PlayBoyBunnys kamen selbst bei mir als Mann extrem dämlich an.
AntwortenLöschenAls Holzwurm möchte ich mal eine Lanze für den Baustoff Holz brechen: Mal abgesehen von Öko- und Hipster-Aspekten hat Holz tatsächlich auch technische Vorteile zu bieten. So hat es bei etwa 1/3 der Festigkeit von Stahl nur 1/15 des Gewichts. Bei richtigem Einsatz lassen sich damit tolle und richtig leichte Konstruktionen zaubern.
AntwortenLöschenNur, viele der gezeigten Holz-Exponate sind schlichtweg zu schwer geraten und werden den Vorzügen des Holzes nicht gerecht.
Überdimensionierte Schichtholzorgien sehe ich darum eher kontraproduktiv.
Da geht noch was!