OBike-Gründer Yi Shi will mit seinen Rädern das Bikesharing revolutionieren. Das Foto stammt illustriert ein Portrait über ihn in der Singapore The Strait Times |
Frisch, fröhlich, farbenfroh: Die OBike-Webpage wirbt derzeit mit Freiminuten |
Gutmensch und gewiefter Unternehmer
Kürzlich hat er der Goethe Universität Frankfurt 300000 Euro gespendet, damit sich Schülerlabore mit den "Herausforderungen und Problemen unseres Jahrhunderts auseinandersetzen können". Kleiner geht es bei Shi nicht. Der Mann hat immer das große Ganze im Blick. Internet of things, Big Data und Big Buisiness sind seine Spielwiesen. Drei Monate hat er am Main Informatik und Wirtschaftswissenschaften studiert, abgebrochen und die Firma Avazu gegründet - eine Plattform, die werbetreibenden Unternehmen eine möglichst zielgerichtete Ansprache auf mobilen Websites und Apps bietet. Vor zwei Jahren hat er das Unternehmen für 300 Millionen Dollar verkauft, ist aber nach wie vor Chef des Anzeigengeschäfts. Im Mobilitätssektor hat er bislang keinerlei Erfahrung. Das soll sich jetzt ändern.Yi Shi auf einem Foto aus der Business-Times mit OBike |
Shis neues Baby heißt OBike und soll das Fahrrad-Sharing revolutionieren. Vom Firmensitz Singapore aus verfolgt er eine globale und rasante Ausweitung seiner Bike-Flotte; seit Jahresbeginn auch in Europa. Quasi über Nacht überfluteten die grau-gelb-silbernen Leihbikes München und sorgten für Ärger, weil sie Gehwege, Plätze und Grünanlagen versperrten. Man mag es halt sauber an der Isar und die Welle der über 6000 (!) neuen Drahtesel stört das Ordungsempfinden der überrumpelten Münchner. Die Ausstattung der rustikalen Räder mit Vollgummireifen und Eingang-Nabe bietet ein wenig faszinierendes Fahrerlebnis. Für längere Strecken sind sie ungeeignet. Fahrradexperten haben zudem Sicherheitsbedenken bei Details wie der Lichtanlage. Es läuft also nicht rund für die OBiker aus Berlin, wo der deutsche Ableger seine Zentrale eröffnet hat, gleich neben den Büros von Avazu. Kritik an der Nacht-und-Nebel-Taktik von OBike kommt auch aus der Schweiz und Frankfurt.
Free-Flow-Bikesharing als Datenkrake
Denn anders als etablierte Platzhirschen wie Call-a-bike, ein Tochterunternehmen der Bahn, setzt OBike nicht auf stationsbasiertes Bikesharing, sondern auf das Free-Flow-System. Die Räder werden mittels einer Smartphone-App ausgeliehen und dürfen fast überall parkiert werden. Das sei bequemer für die Nutzer und der bessere Ansatz für die Last-Mile-Mobilität, begründet Shi seine Überall-OBike-Strategie. Keine Frage, da ist was dran. Wer sein Leihbike direkt vor einem Restaurant oder Firmeneingang abstellen kann, spart den Fussweg zur nächsten festinstallierten Ausleihstation. In deutschen Metropolen wie Berlin, Hamburg und München beträgt der Stationsradius im Innenstadtbereich geschätzt meist zwischen 300 und 500 Meter - fünf bis zehn Minuten Zeitersparnis spricht dann für ein OBike.In Zeitungs-Interviews betont Yi Shi, für wichtig er Ortungstechnik für Werbung im Internet hält. OBike will aber keinen Datenhandel betreiben, sagt zumindest die deutsche OBike-Zentrale in Berlin |
Aber sind es wirklich Effizenz, Bequemlichkeit und Klimaschutz die Shis-Unternehmen antreiben? Oder ist es die Möglichkeit, umfangreiche Nutzerdaten zu generieren? Das zumindest befürchten Datenschüzer und warnen: OBike verstösst gegen das Transparentgebot. Dem User wird nicht klar gemacht, welche Daten erhoben werden und was mit ihnen passiert. Denn wahr ist auch: Wer mittels GPS-Technolgie seine Kunden von der Haustür über den Weg durch den Park über den Zwischenstopp beim Supermarkt bis hin zum Ziel zu einem Geschäftstermin in einem Bürohochhaus verfolgen kann, erzeugt gläserne Radfahrer. Diese sind perfekte Adressaten, sagen wir mal für Badehosen-Werbung, wenn der Betreffende regelmässig ein Schwimmbad ansteuert. Ob Besuch im Zoo, beim Arzt oder Scheidungsanwalt, wer die Mobilitätsgewohnheiten seiner Kunden kennt, kann ihn perfekt mit massgeschneiderter Werbung ansprechen. Das Leihfahrrad wird also zu einem trojanischen Pferd, das umso effektiver funktioniert, desto genauer die erfassten Geo- und sonstigen Daten sind.
Heatmaps und hyperlokales Targeting
Laut OBike-Webpage wird während der Fahrt sowohl das Handy des Entleihers als auch das Fahrrad getrackt, folglich wird es einen eigenen GPS-Sender haben. Zum Erstellen möglichst detaillierter Heatmaps eignet sich daher ein Free-Flow-System besser als eine stationsbasierte Variante. Anders als etwa Call-a-bike speichert OBike nicht nur Start- und Zielort einer Radtour, sondern erstellt detalierte Bewegungsprofile seiner Kunden. Diese will man bei Bedarf den Verkehrsplanern der Städte kostenlos zu Verfügung stellen, damit die beispielsweise Radwege besser projektieren können. Wie nobel! "Deine Daten werden von uns nicht an dritte Unternehmen weitergegeben, die nicht mit OBike verbunden sind. Hierzu zählt natürlich auch der Verkauf von Daten – wir verkaufen keine Daten weiter an dritte Unternehmen", heißt es auf der OBike-Seite. Kingt gut, wirft aber die Frage auf, wer eigentlich die verbundenen Unternehmen sind.So sieht eine Heatmap aus, in diesem Fall von Bike Citizens |
Wer OBike für einen weltverbessernden Heilsbringer hält, glaubt wahrscheinlich auch das China eine kommunistische Volkrepublik ist, die Menschenrechte achtet und Chancengleichheit für alle anstrebt. Ein Blick auf Yi Shis Werdegang und Firmengeflecht nährt zumindest Zweifel an seinen ausschließlich vornehmen Motiven. Kann ein gewiefter Geschäftsmann, der mit personalisierter Werbung viel Geld verdient, plötzlich als Mobilitätsdienstleister und Vordenker in städtischer Verkehrsplanung Zeichen setzen? Was will der Mann wirklich?
Yi Shi ist eine schillernde Dotcom-Persönlichkeit
Ein Rückblick auf seinen beeindruckenden Lebenslauf: Mit elf Jahren zieht er von China nach Neu-Ulm, wo seine Eltern ein chinesiches Restaurant betreiben. Ehrgeizig lernt er Deutsch und kann sich schon nach einem Monat fließend unterhalten. Zwei Jahre später sitzt er abends stundenlang in der örtlichen Bücherhalle vorm Computer, lernt fleissig programmieren und das Erstellen von Websites.Im Alter von 14 erhält er seine ersten Einnahmen durch Online-Werbung: 250 Dollar von Google. Ob Themen wie China, die Börse oder Finanzstrategien, Shis-Online-Seiten sind erfolgreich. Als er 16 wird kann er bereits 30 erstellte Internetauftritte vorweisen und verdient 4000 bis 5000 Dollar im Monat mit Web-Reklame. Eine steile Karriere mit spannenden Stufen.
Beschäftigte Shi SPIEGEL-Mitarbeiter als Lohnschreiber?
Eine davon ist, dass Shi angeblich auch Aufträge an deutsche Redakteure vergeben hat. Um relevanten Content für seine Seiten zu erzeugen, sollen sogar SPIEGEL-Journalisten für ihn als Lohnschreiber gearbeitet haben. "Ich habe denen ein paar Schlüsselwörter gegeben und die haben geschrieben", koketiert er in einem Interview mit der Singapore Strait Times. "Je nach Textmenge betrug die Bezahlung zwischen 15 und 20 Dollar." Rund 800 Dollar pro Monat Nebenverdienst seien so drin gewesen", so Shi. Dass ausgerechnet renommierte SPIEGEL-Leute auf der Honorarliste eines chinesischen Turbo-Unternehmers stehen sollen ist nur eine von vielen Anekdoten, die sich ums Dotcom-Wunderkind Shi ranken.Die OBike-Kampagne zielt offenbar vor allem auf junge Kunden |
Da er nach wie vor beim Internet-Werbepowerhouse Avazu mitmischt und inzwischen noch den App-Entwickler DotC United gegründet hat, liegt der Schluß nahe, dass es sich bei diesen Shi-Firmen um die so genannten "verbundenen Unternehmen" von OBike handelt. Ein Datenverkauf an Dritte ist also gar nicht nötig, sondern die im Steuerparadies Brunei gegründete Avazu könnten die Nutzerdaten übernehmen, um lukrative Werbedeals aufzulegen - zum Beispiel das von Yi Shi gepiesene hyperlokale Targeting. Bei dieser Methode werden Smartphone-Nutzer im direkten Umfeld eines Geschäfts oder Restaurants auf dessen Angebot aufmerksam gemacht. OBike Deutschland dementiert solche Gerüchte hartnäckig. Aber was ist, wenn - durchaus nicht branchenunüblich - OBike und die Kooperationsfirmen von einem anderen Unternehmen übernommen werden? Und Anpassung von AGB sind im Interntbusiness eine sehr gängige Sache. Was heute gilt, ist oft morgen schon überholt.
Risikokapital aus Russland
Noch ist es nicht so weit. Momentan geht es nur darum zu wachsen und die Konkurrenz vom Markt zu drängen. Gut ausgestattet mit rund 100 Millionen Dollar Risikokapital, darunter vom russischen Internet-Tycoon Dmitry Grishin, sollen im ersten Schritt möglichst viele Nutzer geködert werden. Und OBike ist nur einer von mehreren Anbietern, die es auf den deutschen Markt zieht. Mit Mobike, Yobike und Ofo stehen weitere Bikesharing-Unternehmen aus China in den Startlöchern, um Großstädte mit ihren Drahteseln zu beseelen - ebenfalls nach dem Freeflow-Datensammel-System. Mobike ist bereits in Berlin aktiv.OBike-Datenleck vom BR aufgedeckt
Wenn die ähnlich sorglos mit den Daten umgehen wie OBike, dürften demnächst der Chaos Computer Club und andere Datenexperten Stammgast in Talkshows werden, um über das Bike-Sharing-Phänomen Made in Asia zu diskutieren. Denn kürzlich machte OBike mit einem Datenleck Negativschlagzeilen. Rechercheure des Bayrischen Rundfunks (BR) hatten aufgedeckt, dass Nutzerdaten wie Telefonnummer, Profilbild und gefahrene Strecken ungeschützt im Internet einsehbar waren - eine eklatante Sicherheitslücke, die über die Social Media-Funktion der App entstand. Durch Versenden von Einladungscodes wurden private und angeblich anonymisierte Daten für jeden sichtbar.Dieses OBike-Bewegungsprofil stand ungeschützt im Internet und wurde vom BR vorher versuchsweise erstellt |
Steuertricks auf den British Virgin Island
Außerdem durchleuchteten die BR-Spürnasen das Firmengeflecht von Yi Shi. Die Spur führt ins Steuerparadies British Virgin Islands, wo Shis DotC United und die OBike Inc ihren Sitz haben. Für Finanzexperten liegt auf der Hand: Das macht man um Steuern zu sparen. Das Modell könnte so aussehen, dass der deutsche OBike-Ableger hohe Gebühren für die Nutzung der Markenrechte ins Offshore-Steuerparadies überweist und diese mit den erzielten Umsätzen verrechnet. Gewinne bleiben nicht übrig; der deutsche Fiskus geht leer aus. Sehen so wirklich innovative Weltverbesserungs-Geschäftspraktiken aus? OBike Deutschland dementiert und behauptet, dass ihre Einnahmen in Deutschland versteuert werden. Wenig glaubhaft, denn OBike sagte gegenüber dem BR zunächst auch, dass die OBike Inc in Singapore registriert ist, korrigierte die Angabe später jedoch und nannte die British Virgin Island als Firmensitz. In Singapore arbeitet demnach nur das operative Management. Von einer durchsichige Firmenstruktur kan keine Rede sein.Fehler wie die Verwechslung der Firmenzentralen sollten selbst einem forschen Start-Up in der wilden Gründungsphase nicht unterlaufen. Überhaupt geht es bei der Markteinführung der Räder vielerorts diletantisch zu. Da entschuldigt die PR-Verantwortliche Sis Timberg im Schweizer Tagesanzeiger das plötzliche Aufstellen von OBikes in der Kleinstadt Uster mit einem Versehen der Spedition. Ein anderes Mal soll ein Einbruch ins Lager Schuld dafür sein, dass OBikes in Winterhur und St. Gallen aufgetaucht sind. In Zürich dagegen ist ein OBike-Schreiben an den falschen Ansprechpartner bei der Stadt eingegangen. All das sind abenteuerliche Begründungen, die für wenig Seriosität stehen.
Bikesharing ohne städtische Unterstützung soll profitabel werden
Ungewöhnlich offen präsentiert sich Timberg bei der Frage, wie OBike ausschießlich mit dem Fahrradverleih Geld verdienen will. Ohne städtische Unterstützung wie bei StadtRad Hamburg beispielsweise gilt es als äußerst schwierig, mit dem Fahrradverleih wirtschaftlich zu operieren. So legte der chinesiche Betreiber Bluegogo schon nach nur einem Jahr eine spektakuläre Pleite hin. OBike aber bleibt optimistisch. Erfahrungswerte hätten gezeigt, dass ein Rad pro Tag drei Mal ausgeliehen würde. Bei 1000 bis 2000 OBikes in einer Stadt errechneten sich so Einnahmen von bis zu 230000 Euro monatlich. Die Gesamtkosten für ein aufgestelltes OBike beziffert sie mit knapp 215 Euro pro Stück. Die OBike-Nutzung kostet übrigens einen Euro pro halbe Stunde; außerdem ist eine Kaution von 79 Euro zu hinterlegen. In Deutschland wurde die OBike-App bislang etwa 40000 Mal herunter geladen.Diese entwaffnende Transparenz wünscht man sich auch in Sachen Datenumgang und Aufklärung darüber, wer in Shis Firmenreich was mit den digitalen Schätzen vor hat. Stattdessen bleibt es bei der stereotypen Absage, dass man mit niemandem Datenhandel betreiben wolle, sondern seinen Geschäftszweck in der Fahrradvermietung sehe. Fehlt eigentlich nur der Hinweis, dass die Welt eine Scheibe ist und Yi Shi sie demnächst mit einem OBike zu umrunden gedenkt.
Kommentar!
Big Data mit großen Missverständnissen
Natürlich spricht nichts dagegen, mit einem Big-Sharing-System Geld zu verdienen. Im Gegenteil: Konkurrenz belebt das Geschäft und könnte der Mobilitätswende zu frischem Wind verhelfen. Auch gegen die Erhebung und dem Handel mit Nutzerdaten ist per se nichts einzuwenden, so lange sich der Leihrad-Betreiber an Transparenz-Grundsätze hält. Das ist bei OBike nicht der Fall, sondern das Start-Up verschleiert seine Beteiligungen, Koperationen und Firmensitze. Viel Vertrauen in die Geschäftspraktiken kann da nicht aufkommen. Schlimmer noch: OBike-Mitarbeiter nennen Uber und AirBnB als Vorbilder. Genau wie diese Firmen kommt OBike unter dem Deckmantel der Sharing-Economy daher, faselt in Pressemiteilungen über Nachhaltigkeit, grünen Lebensstil und sammelt fleißig Daten seiner Nutzer ein. Angeblich um den Behörden die Radwege-Planung zu erleichtern. Einen Beweis, was mit den Daten wirklich passiert, gibt es zwar (noch) nicht, dafür aber jede Menge Verdachtsmomente. OBike gehört zu einem Firmengeflecht, das sich auf personalisierte Werbung spezialisiert hat. Genau dort sind solche Daten Gold wert. Warum also sollte OBike auf die Weitergabe an die Partner- und Mutterfirmen verzichten? Wahrscheinlich es es nämlich genau für diesen Zweck gegründet worden. Jedes noch so harte Dimmenti klingt vor diesem Hintergrund unglaubwürdig. Das ist kontraproduktiv für die angestrebte Mobilitätswende. Statt umweltfreundliche Mobilität zu verkaufen, schaden Daten-Heuschrecken wie OBike der Branche. Statt Klimaschutz fördert OBike das Bild eines profitgierigen Asien-Startup, das mit Schrotträdern die Innenstädte zumüllt. Und statt Fahrradfahren einfach cool zu machen, bringen OBike und Konsorten die Fahrrad-Ausleihe in Verruf. Das ist schade. Aber es gibt Hoffnung, dass sich OBike am deutschen Markt die Zähne ausbeist. In Hamburg funktioniert das städtische StadtRad trotz Stationszwang ausgezeichnet, wird weiter ausgebaut und die Nutzerzahlen wachsen stetig. Da dürfte es jede Konkurrenz schwer haben - selbst mit einem Freeflow-Angebot. Außerdem herrscht nirgends auf der Welt so viel Skepsis gegenüber Datenerfassern wie in Deutschland. Der Fahrdienstleister Uber hat viel versucht, ist bislang aber mit seinem privaten Ridesharing Uber Pop gerichtlich gescheitert. Auch die zahlreichen Einsprüche gegen Google Street View sind legendär. Datenschutz wird für viele junge Deutsche immer wichtiger. Es wäre daher nicht verwunderlich, wenn OBike in Deutschland scheitert und den Geschäftsbetrieb bald wieder einstellt. "Innovation ist das Resultat vieler Niederlagen", predigt Firmengründer Yi Shi und schiebt in einem Interview hinterher: "Wir sollten Leuten danken, die Niederlagen erleiden." Klingt was so, als ahnt er was...
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