Karl kommt: Neues Fahrrad-Szeneblatt aus Stuttgart
"Die Zeit der dicken Eier ist vorbei." Dazu ein Bild vom Schauspieler Jürgen Vogel, wie er in Kampfradler-Marnier auf seinem Fahrrad an stehenden Autos vorbei rauscht. Ohne Helm! Dafür mit Teufelsgruß der rechten Hand. Halleluja, das nenne ich mal einen gewagten Zeitschriften-Titel.Ankündigung für Karl. Ob der Titel so bleibt? Am 18. April wissen wir mehr |
Zu finden ist er auf dem neuen Bike-Magazin namens "karl.", das von der Motorpresse aus Stuttgart verlegt wird. Ersterscheinung ist der 18. April, also in ein paar Tagen. Das ist bemerkenswert, denn die Motorpresse veröffentlicht sonst PS-Blätter wie auto, motor und sport, sportauto und Motorrad. Nun also ein Fahrradheft benannt nach dem Erfinder des Fahrrades Karl Drais.
Freiherr Karl von Drais erfand vor 201 Jahren das Fahrrad und ist Namensgeber des neuen Magazin Karl |
Dass ausgerechnet ein auf Autofahren spezialisierter Verlag sich dem Thema annimmt ist jedenfalls ein gutes Signal. Fahrradfahren liegt voll im Trend. Der Markt wächst, vor allem getrieben durchs E-Bike. Und damit steigt auch die Zahl der potentiellen Leser von Fahrradzeitschriften. Denn karl. ist nach Bike Bild, My Bike und Bike Adventure nur eine von mehreren Neuerscheinungen in diesem Segment.
Aus zwei mach eins: Ebike und Trekkingbike werden My Bike
Seit 11. April liegt bereits das zweite Heft von "My Bike" am Kiosk. Es erscheint im Delius-Klasing-Verlag und ist eine Fusion aus E-Bike und Trekkingbike - beide Titel verschwanden vom Markt. Aus zwei macht eins. Bedeutet das wirklich Wachstum? Klingt doch eher nach Schrumpfung. Es sei denn, My Bike erreicht eine höhere Auflage als die beiden eingestellten Titel. Das könnte durchaus sein, wenn das neue Magazin den richtigen Themenmix findet.Die Logik hinter der Fusion könnte diese sein: Elektrofahrräder sind der wichtigste Wachsumstreiber der Branche und Trekkingräder die meistverkaufte Radgattung. Beide Segmente zu vereinen schafft folgerichtig ein Heft, das die breite Masse der Radfahrer und Kaufinteressierten ansprechen dürfte und so eine höhere Auflage verspricht als die beiden eingestellten Einzeltitel.
My Bike richtet sich damit nicht an eine spezielle Radfahrergruppe, sondern will alle Biker ansprechen. "Das Fahrrad - ob mit oder ohne Motor - ist in unserer modernen Gesellschaft gleichermaßen ein Spaßgerät für Freizeit, Sport und Urlaub wie auch ein unglaublich effizienter Problemlöser für tausendundeine Transportaufgabe und drängende Verkehrsprobleme," schreibt Chefredakteur Thomas Musch, der auch die Rennradzeitschrift Tour verantwortet.
Bemerkenswert: Freut sich Delius-Klasing mit Tour (Rennrad) und Bike (Mountainbike) bislang über die Marktführerschaft in den sportlichen Nischen, zielt der Verlag nun mit My Bike auf die Allgemeinheit und macht den Titel zum Generalisten. Das klingt paradox: Special- wird also eine Art Generalinterest. Ganz offenbar wächst die Zahl der Radfahrende so rasant, dass die potentielle Leserschaft gute Geschäfte verspricht. Immerhin ging My Bike mit einer Druckauflage von 100.000 an den Start. Das kann auch den Werbemarkt nicht kalt lassen. Und tatsächlich ist das neue Heft gut gefüllt mit kleinen und großen Anzeigen.
Aber ist das Zeitschriftensegment Fahrrad wirklich schon Mainstream? Werden die Bike-Hefte tatsächlich zu hochauflagigen Titeln so wie es Autozeitschriften einmal waren? Für einen echten Wachwechsel in den Printmedien ist es wohl noch etwas zu früh. Zumindest die Reklame in My Bike stammt (bislang) fast ausschließlich von Fahrrad- und Zubehör-Firmen. Fakt ist: Unser Mobilitätsverhalten ändert sich. Und damit auch die Anforderungen an die Zeitschriften.
Was mir fehlt ist ein echtes Mobilitätsmagazin, das dass gesamte Spektrum des unterwegs seins abdeckt - vom Fußgänger bis zum Vielflieger... . Einen Schritt ist diese Richtung unternimmt hier moove. Das Heft erschien erstmalig am 6. März als Submarke von auto, motor und sport und berichtet über Mobility, Connectivity und Digitalisierung.
Central wollte die urbane Avandgarde ansprechen |
Pionier der Fahrrad-Style-Zeitschriften: Cycle |
So gesehen ist das Markenkonzept von Karl und Cycle durchaus stimmig. Oder anders ausgedrückt: Fahrrad und Hippster gehören zusammen wie Computer und Nerds. Auch wenn die Hippster natürlich keine Hippster sein wollen. Warum eigentlich ist der Begriff so negativ besetzt?
Spoke gibt sich sportlich |
Und bei allem Hype um die neuen Trendblätter sollte man einen weiteren Pionier der gedruckten Monatslektüre für Biker nicht vergessen: Spoke. Angefangen hat der Paranoia-Verlag mit einem Fokus auf Singlespeed- und Fixie-Kultur; dabei auch schon immer einen Blick auf coole Kleidung geworfen. Neuerdings zielt die Ausrichtung eher auf Gravelbikes und sportliches Events. Hier wird eher die urbane Subkultur als der Mainstream bedient; E-Bikes scheinen im Heft verpönt. Gut so, muss ja nicht jeder auf den Zug aufspringen.
Neuer Trend: Fahrradzeitschriften zielen auf die breite Masse
Bike Bild 1/2018 |
Abenteuerliches Unterfangen: Bike Adventure sucht das Weite
Für Fernweh-Radler: Bike Adventure aus dem Wieland Verlag |
Fahrradfahrer-Feinkost: Ein Blick auf den Coffetable und die Spezialitätenecke
Radkulturmagazin Fahrstil: feuilletonistischer geht es kaum |
BQ ist ein Fahrradmagazin mit philosophischen Ansatz |
Fast noch lieber als Fahrstil lese ich Bicycle Quarterly, kurz BQ. Es bildet eine Art Gegenpol zu den neuen Mainstream-Magazinen, bedient es doch ebenfalls eine spezielle Klientel von Fahrrad-Enthusiasten: nämlich die Randoneure, Langstrecken-Tourenradler und Qualitätsfanatiker mit einem Traditions-Faible für unverwüstliches, teures und rares Material. Der Mann hinter BQ ist Jan Heine, ein in die USA ausgewanderter Ingenieur aus Deutschland mit ausgeprägter Fahrrad-Macke. Quasi als One-Man-Show liefert er nicht nur Bike-Extremisten sehr hintergründigen und exotischen Lesestoff (z.B. eine Alpenüberquerung auf einem 1947 Tandem...), sondern stellt mit wissenschaftlicher Akribie physikalische Gesetzmässigkeiten richtig. So forscht und testet er seit Jahren erfolgreich am Thema Reifenbreiten und ihren Einfluss auf den Rollwiderstand und Fahrkomfort. Heine war einer der Ersten, die für "je breiter, desto besser" plädierten und besonders weiche Reifenmischungen aus Japan in der Randoneurszene etablierten. Ich jedenfalls kann mich stundenlang in seinen ausführlichen Testberichten verlieren. Aber vorsichtig, für echten Lesegenuss muss man schon etwas technikverrückt sein. Übrigens: Seit dem Spiegel.de über BQ berichtet hat, sind die Heftverkäufe im deutschsprachigen Raum sprunghaft gestiegen. Der Artikel bringt Heines Perfektionismus und seinen Einfluss auf die Renaissance der Randoneure und die Konstruktion hochwertiger Komponenten gut auf den Punkt.
Sonderheft von Spektrum der Wissenschaft |
Very Specialinterest: Vom Knochenschüttler in die Fahrradzukunft
Gedruckt wie digital wird seit Jahren die Fahrradzukunft veröffentlicht. Ein Heft mit vielen Inhalten, oft sehr techniklastig. So gibt es lange Abhandlungen und Testberichte über die Funktion und Unterschiede bei Nabendynamos oder mobilen LadegerätenGibt's gedruckt, online oder als pdf: Fahrradzukunft |
Vereinszeitschrift vom Historische Fahrräder e.V.: Der Knochenschüttler |
US Flop, England top
Letzte Ausgabe vom Boneshaker |
Gleiches Schicksal ereilte vor einem Jahr die von mir sehr geschätzte Bicycle Times. Vor allem wegen ihrer vielfältigen und oft kunstvollen Coverfotos mochte ich immer wieder gerne in diese US-Magazin gucken. Nun gibt es nur noch die Webseite und Social media - schade. Anders als in Deutschland sinkt in Amerika offenbar die Zahl der Fahrradpublikationen.
Ein schönes Vorbild für deutsche Fahrradzeitschriften auf der Suche nach neuen Zielgruppen könnte das in England produzierte Urban Cyclist sein. Gerade in London boomt Radfahren extrem. Eine schöne Blaupause für Berlin, Hamburg, Köln... . Gezielt wird hier der großstädtische Radfahrer adressiert - ein Blatt, das den Zeitgeist gut wieder gibt.
No sports? Von wegen! In England boomt das Rennrad
Dass Radrennsport besonders in England über die vergangenen Jahre an Popularität gewonnen hat, wird auch an den Magazinen zu diesem Thema deutlich. Da gibt es so spezielle Hefte wie Rouleur, Peloton und Simpson, letztes wurde nach dem berühmten Profi Tom Simpson benannt und pflegt einen besonders insiderischen und oft historischen Blick auf die Profiszene.
Interessant! Aus heutiger Perspektive habe ich den Eindruck, dass es wieder mehr Fahrradfahre gibt, da sich mehr Menschen Gedanken um Energiewende ,Klimaschutz etc machen. Gerade im Crossbike Bereich vermute ich hohen Absatz
AntwortenLöschen