Samstag, 6. Juni 2020

Mit dem Fahrrad ins Autokino

Links Frachtschiff-Giganten, rechts Aida-Kreuzfahrdampfer und in der Mitte Autokino. Mit unseren Fahrrädern wurden wir trotz der riesigen Entfernung verjagt. Leider! Wann kommt endlich das Fahrrad-Kino?
Durch die Corona-Krise entdeckt Deutschland das Autokino neu. Neben einer Handvoll permanenter PS-Lichtspieltheater, gibt es nun vielerorts Pop-Up-Drive-Ins. Sie wollen den Hunger nach Kino-Unterhaltung stillen. Aber warum darf man da eigentlich nicht mit dem Fahrrad rein? Mein Selbstversuch scheiterte mit bösen Worten.
Viele Ankündigungen hat es gegeben. Lange mussten wir warten; eine zähe Sache. Anfang Juni öffneten dann plötzlich gleich zwei große Autokinos in Hamburg: auf dem Gelände des Cruise Terminals in Steinwerder und auf dem Heiligengeistfeld. Früher, als es noch das Autokino in Billbrook gab, bin ich da immer gerne hingefahren. Oft auch ohne Eintrittskarte, um durch die beschlagene Windschutzscheibe meines VW Käfers über den Bretterzaun hinweg kostenlos "Jumpin Jack Flash" oder "The Big Easy" reinzuziehen. Lange her. Wer bezahlte und auf das weitläufige Gelände fuhr, konnten einen massiven Heizlüfter und Lautsprecher von einer Säule ins Auto ziehen und wurde mit Sound und Wärme versorgt. Herrlich! Ich meine zu erinnern, dass die Hauptfilme 10 oder 12 D-Mark kosteten. Heute sind das 12 Euro, aber man muss immer gleich zwei Tickets zahlen. Kinder kosten 6 Euro.

Cruise-In Steinwerder, wir kommen

Aber geht das eigentlich nicht auch per Fahrrad? Und vielleicht auch gratis? So wie damals als ich Anfang 20 war? Probieren geht über studieren. Ab nach Steinwerder. Um 14 Uhr ist ein Kinderfilm terminiert. Sohneman strampelt auf seinem Kinderrad hinter mir her. Bei Budni im Wilhelmsburger Reiherstiegviertel versorgen wir uns mit Popcorn und zwei Flaschen Fanta. Cruise-In Steinwerder, wir kommen.

10 Minuten vor Filmbeginn erreichen wir den riesigen Parkplatz im Hafen. Erstmal die Lage checken. Langsam umrunden wir das Gelände. Der Kinobereich nimmt vielleicht gerade mal ein Viertel der Fläche in Anspruch. Das ganze wird seit ein paar Tagen als "Autokulturfläche" vermarktet. Tolles Wort: Autokuklturfläche! Neben Filmen sollen bald Konzerte mit namenhaften Künstlern folgen.


Viel los ist nicht auf der Autokulturfläche; bestenfalls 20 Wagen stehen vor der riesigen LED-Leinwand, die trotz Sonne ein brillantes Bild erzeugt. Der Ton kommt aus dem Radio: "Stellen Sie Ihre Anlage auf 92,6 MHZ", heißt es auf der Projektionsfläche.

Darauf sind wir vorbereitet. Ich hole mein Telefunken-Kofferradio aus den 60er-Jahren aus dem Rucksack, drehe den Senderknopf und siehe da: Aus dem Gereät namens Bajazzo Sport perlt ein glasklarer Ton. Und er gehört sogar zu den Bildern auf dem XXXL-Monitor in gut 250 Metern Entfernung. Wir haben uns an einem kleinen Gebäude weit hinter den Autos ein Plätzchen gesucht. Hier pfeift der Wind nicht ganz so extrem wie auf der restlichen Fläche. Anlehnen können wir uns auch. Das Bild ist toll, der Ton auch. Was will man mehr? Klar, Fanta und Popcorn! Beides steht vor uns, der Zeichentrick-Film beginnt. Perfekt!
Nannte sich Transistorradio, weil in den 60ern Röhren üblich waren: Bajazzo Sport

Für die Großen sind Schiffe das Alternativprogramm

Das Geschehen ist auf der Leinwand ist kindgerecht. Für den Großen gibt es ein optisches Alternativprogramm jenseits des Kinos. Links wird gerade ein Cosco-Ozeanriese gelöscht. Immer wieder weht das metallischen Knallen der Container, das so typisch ist für den Hafen, zu uns herüber. Hinter den riesigen Hafenkräne drehen die Flügel eines Windmotors in der frischen Nordwestbrise. Noch weiter links spannt sich die Köhlbrandbrücke über den Hafen. Wie lange noch? Vor ein paar Wochen wurde entschieden, das Wahrzeichen 2030 abzureissen.

Kein Zweifel: Für ein Autokino ist die Szenerie ausgesprochen spektakulär. Das dürfte deutschlandweit einmalig sein, vielleicht sogar weltweit. Denn auf der rechten Seite der Leinwand geht es mit Superlativen weiter. Hier bilden gleich zwei Kreuzfahrtriesen eine dramatische Kino-Kulisse: die Aida-Blu und die Aida-Perla. Weiße Giganten, die Corona an die Kette gelegt hat. Schon gut zwei Monate liegen die schwimmenden Plattenbauten mit dem Kussmund am Kai. Was das wohl kostet? An Liegegebühren? Und an entgangenen Umsätzen mit Schiffsurlaubern? Erstaunlicherweise sind auf den Balkons und Open-Air-Decks etliche Personen zu sehen. Alles Besatzung? Muss ja so sein.

Der Kontrolletti trägt Maske

Egal, unser Interesse gilt dem Film. Rund 10 Minuten sind rum. Sohnemann hängt gebannt am Geschehen auf der Leinwand, nuckelt nebenbei an seiner Fanta und stopft Popcorn in seinen Mund. Herrlich, genauso habe ich mir das Fahrrad-Kino, das eigentlich ein Autokino ist, vorgestellt. Doch leider nimmt die Vorstellung eine unschöne Wendung. Plötzlich surrt ein kräftiger Typ auf einem Elektro-Motorroller zu uns und stemmt die Hände in die Hüfte. Er trägt Maske, ist aber trotzdem gut zu verstehen: "Einpacken und das Gelände verlassen", befiehlt er. Ich frage warum. Der Mann erklärt was von "Hygienekonzept" und so. Ich muss schmunzel. Wir sind mehrere hundert Meter von den Autos entfernt, weit und breit kein Mensch. Ansteckungsgefahr? Null! Aber Hygienekonzept ist in diesen Tagen natürlich ein Totschlagargument. Und nach meinem Hinweis, dass das Gelände ja schließlich öffentlich zugänglich sei, holt der Kontrolletti auf dem Roller die große Verbalkeule raus: "Ich kann auch die Polizei rufen", sagt er mit noch deutlicherer Stimme. "Dann zahlen sie 500 Euro Strafe. Pro Kopf. Auch der Kleine." Der Kleine guckt erschrocken; Popcorn fällt auf den Boden. Irgendwie wirkt der Typ auf dem Motorroller zornig. Die Straftat die wir begehen nennt er "Erschleichen von Leistungen".

Vorwurf an uns Fahrradfahrer: Erschleichen von Leistungen

Ich bin kein Jurist, Fakt ist: Das Autokino ist für Autos. Fahrräder sind nicht zugelassen. Eintritt nur nach Online-Buchung. Soweit so gut. Fakt ist aber auch: Das Cruise-Terminal ist für Radfahrer, Fußgänger, Touristen, Rentner, Inländer, Ausländer, Christen, Moslems.... und Kinder frei zugänglich. Ich fahre mit dem Rad oft dorthin, um Kreuzfahrtschiffe anzugucken. Auch bei Rennradtouren baue ich oft eine Schleife übers Cruise-Terminal ein. Darf uns der Kino-Kontrolletti also so einfach wegschicken? Kann das wirklich 500 Euro kosten? Ich kann mir das nicht vorstellen. Und auch das Einschalten eines Radios wird schwerlich eine Straftat sein. Auf Eskalation habe ich aber keinen Bock. Der Mann gestattet uns noch, dass wir uns unter einem Kassenautomaten-Dach unterstellen dürfen, denn es hat angefangen zu regnen. Wie gnädig!

"Kostenlos" steht auf der LED-Wand. Stimmt leider nicht.

Sohnemann ist tief traurig. Der Film hat ihm gefallen. Und nun werden wir barsch weggeschickt. Hätte er uns nicht einfach übersehen können? Oder hätte ihn dann sein Chef gefeuert? Oder droht eine Schließung des Kinos durch die Behörden? Die Gefahr gibt es bei Verstössen tatsächlich. Aber durch ein Vater-Sohn-Duo auf Fahrrädern ganz hinten an einem kleinen Häuschen auf dem riesigen Parkplatzareal...?

Ich hätte da einen Vorschlag, liebe Betreiber: Macht doch bitte ein "Fahrradkino". Ein Hygienekonzept dafür wird möglich sein. Ziemlich sicher kommen dann mehr als die paar Autos zur heutigen Vorstellung. Und einen Terminvorschlag habe ich auch: letzter Freitag im Monat. Dann ist Critical Mass. Steinwerder als Endpunkt mit Film. Natürlich nur wenn Corona wieder größere Veranstaltungen zulässt. Einfach mal probieren. Ihr könnt dann ja die Autos wegschicken, die sich hinterm Terminalzaun "Leistungen erschleichen".

Fazit: Autokinos sind großes Kino. Leider hatte das Betreiber-Personal heute ein (zu) kleines Hirn.
Autokinoa auf dem Heilgengeistfeld Hamburg, kurz vor Öffnung

7 Kommentare:

  1. Hallo Jörg,
    bin begeistert von Deinem Blog, auf den ich gestern zufällig stieß.
    Ein blaumetallic 65er F-Frame Deluxe, ein schwammiges, lebensgefährliches Bickerton und sogar eine schaltfaule Gattin habe ich auch :)
    Und die Autokinogeschichte ist ja ein richtiges juristisches Wespennest. Trotz gewisser Vorkenntnisse könnte ich spontan auch keine vernünftige Analyse beitragen...
    Was mir an Deinem Blog besonders gefällt ist Deine gelassene, entspannte, geduldig abwägende Behandlung der Themen.
    Beste Grüße aus Berlin
    Michael

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  2. Hallo Jörg,
    das ist ja ein richtiges juristisches Wespennest. Trotz ausreichender Vorbildung könnte ich keine spontane Analyse beisteuern. Aber egal: ich bin begeistert von Deinem Blog, auf den ich gestern zufällig stieß. Ein blaumetallic F-Frame Deluxe von 1965, ein lebensgefährliches Bickerton und sogar eine schaltfaule Gattin habe ich auch. (Alles Flohmarktfunde - außer meiner Frau) Besonders gefällt mir Deine freundliche, gelassen abwägende Art, mit der Du Dich mit den Themen widmest.
    Beste Grüße aus Berlin
    Michael

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  3. Hallo Michael, Grüße nach Berlin. Und danke für Dein Lob. Freue mich immer über Fanpost. Jörg

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    1. haha, immer gerne, leider habe ich wegen gewisser Schwierigkeiten meinen Beitrag nochmal geschrieben und gechickt, mit leicht veränderter Formulierung, aber gleicher Message. Kannst Du die 2. Version löschen?

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  4. Ok, schon passiert. Ich kann leider immer nur hier antworten, weil das Blogsystem keine E-Mail-Adressen zeigt. Irgendwi auf diesen Seiten muss auch meine E-Mail stehen. Bin halt ein Digitla-Naivling...

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  5. Leider ist nicht jedem Sicherheitsmitarbeiter eine kundengerechte Kommunikation in die Wiege gelegt worden.

    Die 500 Euro kosten wären, vermutlich, für den besagten Einsatz der Polizei.

    Wobei dieses ein "Kanonen auf Spatzen schießen" wäre.
    Trotzdessen hat der Mitarbeiter recht was den Vorwurf mit dem erschleichen von Leistungen angeht. Hier wäre es besser gewesen dann ein Ticket zu buchen und zu prüfen was in den AGB bezüglich der Nutzung von Fahrrädern steht.

    Grüße
    Jens van Dieken

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  6. Ich habe nahezu exakt dasselbe erlebt, und habe es auf die Spitze getrieben: de facto wurde seitens der Betreiber die Polizei verständigt und es wurde gegen mich wegen "Erschleichens von Leistungen" ermittelt, in der Konsequenz wurde das Verfahren jedoch eingestellt ;-)
    Wenn du möchtest, dass wir uns diesbezüglich detaillierter austauschen, so wäre dies privat gerne möglich!

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