Freitag, 14. November 2025

Schulsportmeisterschaft Mountainbike: Wenn in Hamburg der Berg ruft

Mountainbiken in Hamburg? In der Hansestadt gibt es Beliebteres. Segeln zum Beispiel. Oder paddeln, rudern und angeln. Gelände-Radfahren mit Berg-Bikes gehört zu den exotischen Nischensportarten. Trotzdem hat der Radsportverband Hamburg die 1. Schulmeisterschaft Mountainbike veranstaltet. 



"Burg-wei-de! Burg-wei-de!" Die Anfeuerungsrufe gelten Julius (8), der gerade von einem Palettenstapel springt. "Prima, ein Profi", sagt der ältere Herr mit dem Klemmbrett. Er ist vom BDR, dem Bund deutscher Radfahrer, der sich neuerdings lieber neudeutsch "German Cycling" nennt. Klingt moderner, cooler.

Cool und mutig ist jedenfalls, was Funktionäre von Landes- und Bundesverband Ende September auf dem BMX-Track in Hamburg-Farmsen auf die Beine gestellt haben. In der Wassersportmetropole Hamburg eine MTB-Meisterschaft zu veranstalten ist kein Selbstläufer. Vermutlich ist es sogar einfacher, für ein Championat in der Disziplin Wasserspringen mehr jugendliche Teilnehmer zu begeistern als füs Mountainbiken. Hamburg ist eben nicht München oder Stuttgart, wo Mountainbikes deutlich beliebter ist. Kein Wunder also, dass der erste Termin vor den Sommer-Schulferien ausfallen musste. Grund: zu wenige Anmeldungen. Erst im zweiten Anlauf am 26. September lagen genug Nennungen von Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 3 bis 13 vor, um die Meisterschaft veranstalten zu können.

"Tut mir leid. Leider vier Strafsekunden", sagt der Klemmbrett-Onkel zu Henning (11), nach dem der im schwierigen Geschicklichkeitsparcours ein paar Klötzchen umgefahren hat. Insgesamt sechs knifflige Fahrübungen gilt es zu absolvieren. Lenk- und Gleichgewichtsfehler werden mit Strafsekunden geahndet. "Echt heftig", stöht Mattis, der sein vollgefedertes MTB durch die Hindernissgasse balanciert. Julius, Henning, Mattis und ihre Teammates fahren nicht nur täglich mit dem Bike zum Unterricht, sondern sind auch im Fahrradkurs ihrer Schule aktiv. Die liegt in Hamburg-Wilhelmsburg und wird nur kurz "Burgweide" genannt. 

Fahrradfahrer waren hier bis vor einigen Jahren die große Ausnahme. Wer hier eingeschult wurde, kam zu Fuß aus der gegenüberliegenden Großraumwohnsiedlung Kirchdorf-Süd oder mit dem Bus. Dann unterwanderten internationale Großevents wie Bauaustellung (IBA) und die Gartenshow IGS den Stadtteil, der einst als Bronx des Nordens Schlagzeilen machte. Der Hinterhof Hamburgs liegt zwischen Norder- und Süderelbe. Hier dominierten lange türkische Gastarbeiter das Straßenbild, bis die Stadt entschied, das Inselquartier aufzuwerten. Mit den Baggern und Kränen für die hochwertigen Bauprojekte  rollte die Gentrifizierung nach Wilhelmsburg. Kinder zugezogener Besserverdiener strampelten plötzlich im Windschatten von Cargobikes mit teuren Jugendfahrrädern durchs Schultor der Burgweide - so zahlreich, dass sich die Schulleitung gezwungen sah, die Zahl der Abstellplätze innerhalb kürzester Zeit zu verdoppeln.

Heute herrscht schon wieder Bike-Parkplatznot an der rasch wachsenden Schule mit ihren knapp 400 Kindern. Kein Zweifel: Der Stadtteil ist im Wandel. Vor allem auch durch die Bikebrille betrachtet. Statt des Fahrradladens Prondzinski, der einst am Vogelhüttendeich mit jeder Menge Nachkriegscharme Drahtesel reparierte und eher wie ein Museum statt eines Geschäftes wirkte, ist Wilhelmsburg mit Velo 54 heute eine der wichtigsten Anlaufstellen für Lastenräder.

Viele der Burgweide-Biker sind in Bullits und Urban-Arrows groß geworden, bevor sie mit 3 oder 4 Jahren auf den Sattel eine Woom oder Early Riders gewechselt sind. Gutes Rad-Handling und Ausdauer liegt ihnen quasi im Blut. 

Die anderen, also die Konkurrenz bei der Schulmeisterschaft, wird beäugt. Mal interessiert, mal neugierig, mal belustigt, aber immer respektvoll. Meistens zumindest. "Haha, guck! Der hat alles gerissen", lacht Fritz etwas zu laut und kriegt gleich was von einem Kampfrichter zu hören: "Macht man nicht. Immer fair bleiben bitte." Fritz nickt und streckt die Hand in die Höhe. High Five für den Gegner. Sein Trikot hat er abgelegt. So wie Julius, der das Treiben auf dem Parcours im Kurzarm-T-Shirt verfolgt. Ein böiger Wind fegt immer wieder Regentropfen übers Gelände. 

In diesem Moment wirken die Kinder ein wenig wie kleine Wikinger, die im Wettkampf Wind und Wetter trotzen. Harte Jungs! Blonde Jungs! Deutsche Jungs! Denn das ist auffällig: Die Teilnehmenden an MTB-Schulmeisterschaften heißen typischerweise Niklas, Simon oder Caroline und nicht Mohammed, Ibrahim oder Aylin. Auch dunkelhäutige Biker sind nicht dabei. Schade, denn die Meisterschaft zeigt, wieviel Teamspirit und Verbindendes in dieser Sportart steckt. Auch talentierte Turner, begeisterte Ballsportler und athletische Ausdauerläufer haben wenig Möglichkeiten, mit Radsportarten wie Rennrad, BMX oder eben MTB in Kontakt zu kommen. 

Warum ist das so?

Dazu 5 Thesen:

1. Hohe Zugangshürde: Radsport ist Nischensport. Und Mountainbiken quasi die Nische in der Nische. Ohne massiven elterlichen Support und/oder Radsport-Tradition in der eigenen Familie gibt es kaum Zugang zu dem Sport.

2. Teure Ausrüstung: Ein ordentlicher Fußball ist für 30 Euro zu haben, brauchbare Mountainbikes oder Rennräder für Kinder kosten ab 800 Euro. 

3. Kaum Vereinssport: Anders als Fuß-, Hand-, Volley- oder Basketball sowie Leichtathletik gibt es für Radsportler sehr wenig bis keine organisierten Trainings- und Wettkampfmöglichkeiten.

4. Örtliche Lage: Nur wer einen BMX-Track oder Berge in der Nähe hat, kann sinnvoll für diese Disziplinen trainieren. Rennradfahren ist zwar fast überall möglich, erfordert aber verkehrsarme Straßen und erfahrene Trainer.

5. Fehlende Idole: Jan Ullrich ist (zu) lange her. Trotz Tour-de-France-Podiumsplatz ist Florian Lipowitz noch lange kein Sportheld. Was fehlt ist ein "Dennis Schröder des Radsports", also ein charismatischer Selfmade-Elitesportler mit Sendungsbewußtsein.

Es sind solchge Zugangsbeschränkungen, die die MTB-Schulmeisterschaften überwinden wollen. Das ist ein dickes Brett. Aber es lohnt sich, es zu bohren. Ein Anfang ist in Hamburg gemacht. Wird es eine Wiederholung 2026 geben? Das steht noch nicht fest. Leider!

Wäre jedenfalls toll, wenn es auch 2026 eine MTB Schulmeisterschaft in der Hansestadt Hamburg gibt. Also lieber BDR, sorry, German cycling: On your marks...



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