Fahrtenbilanz: Null Euro, 10 Stationen, nichts bezahlt |
1650 Stadträder, 129 Stationen, fast 220000 Kunden - Stadtrad Hamburg ist unbestritten ein Erfolgsmodell. Die meisten Fahrten bleiben unter 30 Minuten und damit kostenfrei. Das brachte mich auf eine Idee: einmal rund Hamburg, von der südlichsten, über die östlichste, nördlichste und westlichste Station zurück zum Ausgangspunkt. Und das ohne einen Cent zu zahlen. Eine logistische und sportliche Herausforderung.
Besonders bei Studenten ist die Masche beliebt: Stadtrad ausleihen und in unter 30 Minuten zur Uni oder nach Hause pesen. Billiger kann man in der Stadt nicht mobil sein. Denn bis zu einer halben Stunde ist die Stadtrad-Nutzung kostenfrei. Gut für die Ausleiher, schlecht für den Betreiber, da Stadtrad Hamburg wenig Geld in die Kasse kommt. Sollte die Strecke zu weit sein, um unter 30 Minuten zu bleiben, wird das Stadtrad oft schnell an einer Station zurück gegeben, danach erneut angemietet und die Fahrt danach fortgesetzt. Mit dieser Methode bleibt die Ausleihe auch bei längeren Touren gratis.
Mir hat neulich ein regelmäßiger Stadtradfahrer berichtet, dass er das System sehr schätzt und das ganze Jahr gerne nutzt. Seine Begründung klingt logisch: Er habe immer ein gepflegtes und funktionierendes Rad zur Verfügung, für das keinerlei Kosten entstehen. Das brachte mich auf eine etwas schräge Idee.
Station xyxy: Wilhelmsburg/Am Inselpark. Hier startet mein Rennen gegen die Zeit |
Der Plan: Vom südlichsten Ausleihpunkt fast direkt vor meiner Haustür auf der Elbinsel Wilhelmsburg erst zum östlichsten beim Otto-Versand, dann zum Stations-Nordpol Stellingen, weiter an den Standort, der Amerika am nächsten liegt, zurück zu meinem Startplatz beim IBA-Gelände.
Das Zeitfahren: Um Punkt zwölf Uhr schiebe ich meine Kreditkarte in den Leseschlitz, wähle das Stadtrad mit der Nummer 7626, los geht's. Der kürzeste Weg in die Innenstadt führt über den so genannten Loop - ein bis zu vier Meter breiter Fahrradhighway, auf dem Radfahrer stellenweise Vorrang vor den Autofahrer haben. Blaue Leitstreifen sowie Markierungssteine zeigen die Richtung. Parallel zur Wilhelmsburger Reichsstraße komme ich flott voran. Nach knapp 20 Minuten erreiche ich Veddel und passiere die hübsche Feuerwache.
Feuerwehrwache Veddel |
Dem Stadtteilen auf der Elbinsel tut das gut. Das Schmuddel-Image von Wilhelmsburg stimmt schon länger nicht mehr. Das Quartier kommt in Mode. Es ist richtig lebenswert geworden. Klar, ich muss so was sagen, schließlich habe ich kürzlich den Sprung über die Elbe gemacht, meinen Wohnsitz verlegt und entdecke den Stadtteil nun mit neugierigem Blick. Das geht bekanntlich mit dem Fahrrad am besten.
Gepflegt präsentiert sich der breite Radweg beim IBA-Dock, der mich gut ausgeschildert auf die Elbbrücken leitet. Hier ist es aber vorbei mit der Radfahr-Herrlichkeit.
So genannter "Radweg" auf den Elbbrücken |
Beim Bridge Hotel lande ich auf der tosenden Straße. Seit 22 Minuten bin ich unterwegs. Keine Zeit, umständlich die Straßenseite zu wechseln. Ich gebe Gas, rolle ein kurzes Stück an der Hochwasserschutz-Baustelle vorbei hinein nach Rothenburgsort. Noch sechs Minuten. Natürlich habe ich mir vorm Start die Lage der Stadtrad-Stationen eingeprägt. Die nächste liegt an der Billstraße vor der Baubehörde. Tempo, Tempo. Es könnte knapp werden. Dann fällt mir auch noch krachend das Navi vom Lenker. Mist! Zum Glück geht nichts kaputt, aber das kostet eine halbe Minute.
Nach 28 Minuten und 50 Sekunden verriegele ich Stadtrad 7626 an der Station. Puh, ganz schön knapp. Erstmal eine Schluck trinken. Dann wieder Karte ins Terminal und 7626 erneut angeklickt. Mit einem surrenden Geräusch gibt das Rad den Sperrbügel frei. Schon sitze ich wieder im Sattel. Durch Hamm und Hohenfelde fahre ich nach Uhlenhorst. Viele Ampeln bremsen mich ein. Der Schnitt sinkt. Vor allem die großen Querstrassen wie die Wandsbeker Chaussee nerven, weil mir die Rotphasen ewig vorkommen. Egal, ich habe genug Zeitpuffer als ich der Station Mundsburg mit gleich zwei weiteren Stadtrad-Nutzern eintreffe.
Station Mundsburg vor den markanten Hochhäusern |
Ein Phänomen, das übrigens auch bei den Fahrern der Car2Go- und Drive-Now-Carsharing-Autos zu beobachten ist. Die fahren fast immer (zu) schnell. Zeit ist Geld. Im Falle eines Car2Go kostet jede Minute 29 Cent. Wer steht schon gern im Stau oder an der roten Ampel wenn die Kostenuhr tickt?
Weiter geht's. Über die stark befahrene Bramfelder Chaussee rolle ich in nordöstliche Richtung und erreiche viel schneller als erwartet den Otto-Versand. Doch wo ist die Stadtrad-Station? Vor dem Versandhaus stehen jede Menge Fahrräder. Rechts gibt es sogar ein Fahrradparkhaus. Nur kein Stadtrad-Terminal. Das versteckt sich hinter einem kleinen Gebäude ist offenbar nur für die Otto-Mitarbeiter eingerichtet worden. Ebenso wie die direkt daneben liegenden Car2Go-Parkplätze. Gleich acht blauweiße Smarts parken dort. Der Otto-Versand ist Sachen Mobilitätsangebot für Mitarbeiter ein Vorzeigeunternehmen.
Station Otto-Versand |
Barmbek, Ring 2 Richtung City Nord |
Ab nach links in den Lattenkamp. An der U-Bahn-Station erreiche ich meinen vierten Zwischenstopp. Inzwischen habe ich Routine: Entleihe beenden und gleich wieder beginnen. Auf Richtung Hagenbeck. Die Station beim Zoo ist momentan der nördlichste Ausleihpunkt des Hamburger Stadtradsystems. Hinter den Kulissen wird über einen weiteren Ausbau gestritten. Offenbar ist unklar, wer die Kosten dafür übernimmt. In Karlsruhe wurde das entsprechende Angebot der Bahn bereits wieder abgeschafft. Sehr schade. Eine Erweiterung des Stadtrad-Netzes, zum Beispiel nach Harburg, scheint nur möglich, wenn sich innovative Unternehmen wie Unilever und Beiersdorf an der Finanzierung beteiligen.
Eppendorf: Schönes Wohnen zu extremen Preisen |
Am Ausleihpunkt Hagenbeck habe ich erstmals Probleme. Ich kann das Stadtrad nicht zurück geben, also die Miete nicht beenden. Statt dessen wird mir im Display mein persönlicher Verriegelungscode angezeigt. Den benötigt man, wenn man das Rad nur parken, aber nicht zurückgeben will - beispielsweise um Einkäufe zu tätigen. Aber ich will nicht einkaufen. Ich will die Miete beenden, wenn auch nur für eine Augenblick. Der Countdown läuft. 26 Minuten, 20 Sekunden zeigt die Stoppuhr auf meinem Naiv. Ruhig Blut. Noch mal versuchen. Wieder geht es nicht, wieder wird nur mein Code angezeigt. Verdammt. Was ist hier los? Haben die in der Zentrale mein merkwürdiges Treiben bemerkt und mir die Rückgabe aus Rache unmöglich gemacht?
Nervös wähle ich die die Stadtrat-Hotline und lande in der Warteschleife. Gleichzeitig schiebe ich mit dem Handy am Ohr das Rad zu einem der Verriegelungspoller. Bislang hatte ich versucht, das Rad freistehend zu verriegeln. Sollte eigentlich kein Unterschied sein. Und siehe da: An einem der Poller klappt es. "Rückgabe erfolgreich", meldet das Display. Endlich! Uhrencheck: 27.57 Minuten. Gerade nochmals gut gegangen. Ich drücke die rote Taste auf meinem Handy. Die Stadtrad-Zentrale brauche ich nicht mehr. Zum Glück. Hätte sonst wohl nur blöde Fragen gegeben, was ich denn da mache und so.
Gut gelaunt setzte ich mich wieder auf 7626 und gehe die vor mir liegende Strecke in Gedanken durch. Hagenbeckstraße, Eimsbüttel, Osterstraße, Altona - so sieht sie aus, meine imaginäre Karte im Kopf. Die Gegend hier ist nicht unbedingt meine Westentasche, eher so was wie das Innenfach eines Sonntagsanzugs, den ich nie trage. Wo geht es noch mal zur Fruchtallee? Rechts oder links? Ich entscheide mich für rechts. Ein Fehler. Unnötig schlage ich einen Haken über die Kieler Straße. Ich bin einen Kilometer zu weit nach Westen abgedriftet.
Station Völckerstraße |
Hamburgs teuerste Straße |
Zum Glück ändert sich das beklemmende Gefühl auf der Elbchaussee. Hier gibt es Platz. Tief Luft holen, die Frühlingsluft genießen. Dann geht es steil bergab. Durch den Donnerspark fahre ich runter zur Elbe; eine wunderbare Strecke über gepflegte Sandwege. Hier macht das bleierne Stadtrad Spaß; es liegt satt und ruhig auf der Fahrbahn - herrlich.
Donners Park |
Die Station Neumühlen ist die westlichste der 129 Hamburger Radstationen. Und offenbar eine der neuesten. Denn hier sehe ich erstmalig ein anderes, moderner wirkendes Ausleihterminal. Doch das täuscht. Das Ding sieht zwar nach High-Tech aus, funktioniert aber langsamer als an allen bisherigen Stationen. Rückgabe und Neu-Ausleihe von 7626 dauern jedenfalls länger. Irgendwie scheint hier die Funktechnik nicht optimal zu klappen. Das sollten die Stadtrad-Techniker mal durchchecken.
Neumühlen gehört aber definitiv zu den schönsten Stadtrad-Stationen. Wo sonst gibt es einen spektakulären Blick auf auslaufende Containerriesen? Gleich zwei XXXL-Frachter schieben sich nacheinander über die Elbe. Jetzt habe ich sogar etwas Zeit. Denn als nächste Station habe ich den Fischmarkt angepeilt. Das sind nur wenige Kilometer und hat taktische Gründe. Da die Strecke zurück nach Süden durch den Alten Elbtunnel führt und das Teilstück nach Wilhelmsburg zu den längeren gehört, will ich mich mit möglichst großem Zeitbudget auf die Reise machen. Darum stoppe ich am Fischmarkt nochmals für die "Rückgabe-Neuausleihe-Prozedur".Kaistraße: Auf dem Stadtrad eine echte Steigung |
Station Fischmarkt |
Um so mehr ärgert es mich, dass kürzlich von der Hamburg Port Authority eine Maut für Radfahrer für die Elbtunnel-Befahrung ins Gespräch gebracht wurde. Ein Unding! Wer denkt sich so etwas aus? Wenn Hamburg es ernst meint mit der Radverkehrsförderung, darf man möglichen Umsteigern nicht mit Kosten drohen. Veddel und Wilhelmsburg werden gerade als Wohnquartiere interessant, der Radverkehr belebt sich und dann so ein blödes Störfeuer. Also liebe HPA, bitte nächstes Mal woher überlegen, was ihr da so in die Welt setzt oder setzen lasst.
Wegweisung für Radfahrer Durch Hafengebiet komme ich flott vorwärts, passiere erst die Ellerholzbrücke, dann die Ernst-August-Schleuse. Beim Blick nach links werden ich nachdenklich. Dort liegt ein weitläufiges Rangiergelände der Bahn. Genau dort hatte im Juli 2006 der Pilot des bekannten Wasserflugzeugs aus dem Hafen eine Notlandung hinzulegen. Leider ohne Erfolg. Fünf Menschen kamen dabei tragisch ums Leben. Eine Tragödie. Seit dem hat Hamburg kein Wasserflugzeug mehr auf der Elbe. Zwei Kilometer weiter bin ich mitten im Reiherstieg-Viertel. Hier liegt die Stadtrad-Station prominent in der Veringstraße. |
Station Veringstraße |
Die ungewöhnliche Stadtradtour lehrt also nicht nur was über das Verleihsystem und den Zustand der Radwege, sondern wird auch zu einem bewegten und bewegenden Heimatkundeunterricht.
Weimarer Straße |
Und wären ich so darüber nachdenke, wie sich die Stadt und ihre Bewohner verändert, taucht links neben mir das Bürgerhaus Wilhelmsburg auf. Hoppla, das ging jetzt schneller als gedacht. Nur noch weniger Meter und ich bin wieder an meinem Startplatz angekommen.
Nur elf Minuten. Elf Minuten, um von der alten in neue Mitte Wilhelmsburgs zu gelangen. Auf so einer Strecke ist das Fahrrad einfach ideal. Besonders wenn das Wetter so schön ist, wie an diesem Früh-Apriltag.
Nur noch zwei Stadträder stehen an der Station 2713. Ich gebe mein Rad zurück und lege mich erstmal auf die Wiese daneben. Durchschnaufen. Was für eine Tour. Dreieinhalb Stunden hat sie gedauert. Zehn Stadtradstationen bin ich angefahren, habe meinen treuen Begleiter 7626 zehn Mal ver- und wieder entriegelt. 51 Kilometer habe ich absolviert, verrät mein GPS-Empfänger. Mein höchstes Tempo betrug 36,2 km/h. Die höchste Erhebung betrug knapp 40 Meter. Insgesamt 400 Höhenmeter soll ich gefahren sein - ein schwer zu glaubender Wert; das Gramin hat das so berechnet. Kann aber nicht stimmen.
Das Fazit: Das Stadtradsystem ist eine feine Sache. Es ermöglicht eine gesunde und umweltschonende Mobilität. Und ist ausgesprochen kostengünstig. Es muss ja nicht zum Nulltarif sein. Ab der 31 Minute kostet jede weitere Minute acht Cent (HVV- und Bahncard-Besitzer zahlen sogar nur sechs Cent). Zwei Stunden Stadtradauseihe kosten also 4,80 Euro (3,60 Euro). Wer den ganzen Tag mietet, zahlt zwölf Euro. Und dann kann man die Rundtour ganz entspannt angehen, vielleicht einen Besuch im Stadtpark einstreuen. Oder im Zoo. Oder durch eine Hafenrundfahrt unterbrechen. Oder, oder, oder...
Moin,
AntwortenLöschenein toller Bericht.Bei St. Pedali ´reinschauen gehört mitlerweile für mich zum Tagesablauf.Eine art-Fahrrad Tageszeitung.Ich bin ja gespannt,ob es dich auch mal zu den östlichen Fahrradläden (Max Lange,Ramme und Harrys Radstation )verschlägt.
Gruß
cm Fahrer
Hi, na da bin ich aber beim nächten mal auch mit von der Party.
AntwortenLöschenGruß Christian vom ESK aus HH-Wilhelmsburg
Hallo Christian! Gerne doch; wir können dann ja alle 129 Stadtrad-Stationen abfahren ;-)
AntwortenLöschenNa dann muß ich aber nen Brot mehr einpacken.
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