Freitag, 12. Juni 2015

Fahrrad-Hauptstadt Hamburg: Made an der Waterkant

Fahrradtasche von Re-Tube aus altem Schlauchmaterial. Made in Hamburg!
Deutsche Fahrrad-Tradition ist eigentlich in Provinzstädten wie etwa Bielefeld zu Hause. Hier gab und gibt es jede Menge Fabriken, die Drahtesel herstellen. Hamburg dagegen hat kaum jemand auf dem Schirm, wenn es um Fahrradproduktion und -industrie geht. Völlig zu Unrecht. Ich behaupte: Hamburg ist ein wichtiger Fahrrad-Standort, vielleicht sogar die deutsche Fahrrad-Hauptstadt schlechthin. Denn wer die Firmen zählt, die mit und rund ums Fahrrad Geschäfte machen, findet neben etablierten Unternehmen eine stark wachsende Anzahl an originellen Start-Ups und Dienstleistern. Das schafft Arbeitsplätze, Umsatz und Steuereinnahmen.
Fahrradproduktion in Hamburg? Gibt es nicht! Es existieren ja Deutschland kaum noch Fahrradfabriken, die Zweiräder herstellen. Also kann es auch in Hamburg eigentlich keine Bikemarken geben. Falsch. Falsch. Falsch! In der Hansestadt gibt es gleich drei größere Fahrradfirmen: Bergamont, Stevens und Trenga. Zumindest Stevens und Trenga produzieren in Hamburg tatsächlich Fahrräder. Wobei Produktion in größerer Stückzahl in Deutschland heute überall eher Montage heißt. Eine große Fertigungstiefe mit eigenen Rahmenbau gibt es heute nicht mehr. Es sei denn, man heißt Retrocycle und stellt quasi Unikate her. Auch diese kleine, feine Manufaktur ist in Hamburg zu Hause. Etwa außerhalb in Elmshorn baut Norwid ebenfalls feinste Manufaktur-Räder in Kleinserie. Mit Electra und Bellitanner/Pearl sind mindestens noch zwei weitere Marken in der Hansestadt ansässig.

Aber damit nicht genug: Besonders spannend finde ich, das sich zahlreiche Hamburger Start-Ups mit Produkten fürs Fahrrad beschäftigen. Wie zum Beispiel Mooxi Bike. Die Grafikerin Bettina Wiedner hat das fürs Fahrrad adaptiert, was bei Autos schon länger Mode ist: ein neuer Look durch Folierung. Mit ihren gemusterten oder einfarbigen High-Tech Klebestreifen lassen sich Fahrrädern relativ einfach neue Looks verpassen. Ich habe bei Bettina eine Packung in der Farbe Mint bestellt und werde die Folierung demnächst an dieser Stelle vorstellen. Ich denke Idee und Produkt haben ein großes Potential, denn auf diese Weise sind Räder nicht nur leicht individualisierbar, sondern auch alte Gurken lassen sich damit aufhübschen. Mit 29 bis 49 Euro ist das auf jeden Fall günstiger als eine Pulverbeschichtung oder Lackierung.

We love velo bietet individuelles Fahrradzubehör
Um Individualisierung geht es auch bei welovevelo. Der Name ist Programm: In diesem Webshop des Hamburger Ronald Mencke geht es um Produkte, die das Rad verschönern und aufwerten. Wer ausgefallenes Zubehör oder ein Geschenk für einen Bike-Nerd sucht, sollte mal auf die Seite surfen.

Creux Cycling Jeans für
Frauen. Zu haben bei Veloved
Ebenfalls einen inzwischen etablierten Webshop hat Arne Malöwsky gegründet und residiert damit in cooler Lage am Fuße des Michels. Bei Arne war es das Defizit an schicker Kleidung, die sich gut für Fahrradfahren eignet, die ihn zum Unternehmer werden lies. "Um an schöne Bike-Klamotten zu kommen, musste ich diese In Australien oder sonst wo bestellen", erzählt Arne. Vor ein paar Jahren hat er darum unter seiner Marke Veloved  ein spannendes Portfolio an Fahrrad-Kleidung zusammengeführt und freut sich über eine langsame, aber positive Geschäftsentwicklung.

Die Radkappe will Schluss machen mit hässlichem Kopfschutz


Ein waschechtes Start-Up ist auch die junge Firma Radkappe von Janna Horstmann. Janna war es leid, sich ihre Frisur von modisch fragwürdigen Helmen ruinieren zu lassen und entwarf ihren eigenen. Mit einem 3D-Computermodell flog sie nach China, suchte sich einen Produzenten und brachte dann den stark an eine Reiterkappe erinnernden Kopfschutz auf den Markt. "Das Geschäft zieht langsam an, macht aber auch viel Arbeit erzählt Janna, die kürzlich so nett war, mir ihre Radkappe in der Mittagspause persönlich vorzustellen. Auf jeden Fall sind inzwischen sogar große Bike-Versender auf sie aufmerksam geworden und nehmen ihren stylischen Helm ins Lieferprogramm auf.

Der Hook von der Hamburger Produkt-
designerin Alexa Lethen
Gleich zwei Hamburger Gründerfirmen beschäftigen sich mit dem weiten Feld der Wandbefestigungen für Fahrräder. Einen schönen, reduzierten, ja minimalistischen Weg geht Produktdesignerin Alexa Lethen. Sie hat sich den Hook ausgedacht - ein bestechend einfacher Wandhaken, der durch seine Schlichtheit sehr elegant wirkt.

Harper von Kraft und Ulrich: Made in Hamburg
Auf dem "Holzweg" dagegen ist das Duo Kraft und Ulrich. Und zwar deshalb, weil ihre Halterung eben aus Holz ist. Halterung ist da schon fast untertrieben. Denn das "Harper" genannte Stück ist ein Modulsystem und gleicht eher einer coolen Freizeitgarderobe für aktive Bewegungsmenschen, die neben ihrem Bike auch die dazugehörige Kleidung unterbringen wollen. Ich habe die beiden kürzlich auf der Radrennbahn getroffen und wir haben uns nett unterhalten. Kraft und Ulrich legen wert darauf, dass sie keine Designer sind, sondern Bike-Fans und das Produkt aus Leidenschaft entwickelt haben.

Einen sehr coolen Laden mit Fahrradbezug gibt es im Herzen von Ottensen. Dort fertigt und handelt Textilingenieur Björn Claßen Taschen und andere schöne Dingen aus alten Fahrradschläuchen. Ich habe mir dort von Björn einen flexiblen Getränkehalter fürs Fahrrad bauen lassen, der nun prima Flaschen oder Dosen aufnimmt und sich gut am Lenker fixieren lassen. Damit bin ich übrigens nicht allein. Auch Werner-Erfinder Rötger Feldmann alias Brösel ist dort Kunde und hat einen Getränkehalter für den geliebten Bölkstoff geordert. Reinschauen bei Re-Tube lohnt auf jeden Fall.

Nun denn, was gibt es noch? Zum Beispiel die Fahrradgarderobe. Sie hat übrigens den deutschen Fahrradpreis gewonnen, kommt natürlich aus Hamburg und kümmert sich um die sichere Aufbewahrung tausender Besuche-Fahrräder bei Festivals und anderen Großveranstaltungen.

Quasi eine Großveranstaltung ist auch die Firma BOC. Das steht für Bike und Outdoor Company. BOC betreibt nicht nur einen großen Online-Shop, sondern hat seinen Hauptsitz in Hamburg, hat dort derzeit drei Filialen und gehört damit zu den wichtigsten Mega-Fahrradmärkten.

Hamburg ist darüber hinaus ein wichtiger Standort für Firmen, die mit dem Verleihen von Fahrrädern ihr Geld verdienen. So ist das Stadtrad der Deutschen Bahn in keiner anderen Metropole so beliebt wie Hamburg. Nirgends gibt es mehr Leihfahrräder, mehr Stationen, mehr Fahrten.

Erwähnt haben möchte ich noch die rührigen Gründer David Loll und Willi Wall, die sich vor rund einem Jahr mit der Zweiradperle selbstständig gemacht haben. Vorher waren sie als Bikeguides auf Kreuzfahrtschiffen aktiv. Nun bieten sie mit ihrem Fahrradcafe geführte Touren für Touristen durch Hamburg an. Auch hier mein Tipp: Unbedingt mal hingehen!

Nur der Vollständigkeit wegen: Hamburg City Cycles bietet ebenfalls geführte Radtouren und wie die Zweiradperle auch einen  Bike-Verleih an.

Ähnliches ist bei Erfahre zu haben, nur das es sich hier ausschließlich um E-Bikes und -Lastenfahrräder handelt. Idee dahinter ist die Verknüpfung automobiler mit umweltfreundlicher E-Mobilität in der Stadt. Denn der Vermietpunkt liegt in einem Luxusparkhaus mitten in der City - ein Novum in ganz Deutschland.

Soweit mein kleiner Hamburg-Patriotismus in Sachen Fahrrad. Habe ich was vergessen? Na, ganz sicher! Für Hinweise und Ergänzungen bin ich jederzeit dankbar. Einfach per Kommentarfunktion schicken.

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