Gaaaaanz lang, gaaaaaanz tief und gaaaaaaanz cool: Die Fans von Fahrrad-Cruisern sind die Extremisten der Bike-Szene. Statt Hightech und Carbon stehen bei ihnen derbe Rahmenkonstruktionen aus massivem Stahl und abenteuerliche Extravaganzen im Mittelpunkt. Hier und da sieht man eines der auffälligen Gefährte bei der Critical Mass oder zufällig an der Alster lang choppern; ansonsten leben die schweren Jungs eher im Verborgenen, in der Gruft so zu sagen. Einmal im Jahr, am 31. Oktober, kamen sie in Hamburg ans Licht - dann schlief der gute Brauch ein. Jetzt sind sie wieder da. Ober-Cruiser "Junior" hat den Halloween-Ride wiederbelebt und bei der Polizei unter einem Demomotto (für bessere Radwege oder so) angemeldet. Teilnehmer, Verkleidungen, Routenführung und Stimmung waren vom Feinsten.
Horrorszenen am Hauptbahnhof: Gruselig geschminkte Gestalten auf gewaltig gepimpten Gelöt parken ihre auffälligen Gefährte auf dem Vorplatz. Passanten machen Handy-Fotos und tuscheln. Was ist das denn? Harley-Fahrer ohne Führerschein? Zombie-Treffen? Alles falsch. Die rund 50 Teilnehmer machen eine Fahrrad-Demo für bessere Radwege. Denn dann gibt es Polizei-Begleitung. Und die kann bei derart grausamen Figuren nicht schaden.
Nur Insider wissen: Der Halloween-Ride ist die coolste Art, Hamburg unter die Räder zu nehmen. Irgendwie der Gegenentwurf zur ADFC-Fahrradsternfahrt - klein, nischig, extrem, abgefahren, subkulturig. Und zu den Insidern gehören meine Freunde brimore (mit Rosalie-Klapprad), mad.mat (mit Preisausschreiben-Cruiser) und HFS-Erfinder Helmut (mit Halfway-Klapprad).
Als ich vom Halloween-Reride bei Facebook las, war mir sofort klar: Da muss ich wieder hin. Aber womit? Ich habe keinen Cruiser. Und ein würdiges Exemplar selber bauen, würde bei mir etwa 100 Jahre dauern. Darum habe ich das Bonanzarad genommen - das passt irgendwie zur Szene. Und es hat den Vorteil, ein hervorragender Bierhalter zu sein: Ein Fünf-Liter-Fässchen passt problemlos unter den Bananensattel und macht das Bonanza zur mobilen Pilsbar. Dazu einen Hokkaido-Kürbis zwischen die beiden Lenkstangen, fertig ist mein Halloween-Cruiser, der oft jede Menge Kindheitserinnerungen bei Passanten aus dem Gedächtnis spült.
Mein Exemplar habe ich aus Neu- und Gebrauchtteilen zusammen gebaut, was Monate gedauert hat. Aber gegen die wilden Konstruktionen rechts und links von mir ist es eine Lachnummer. Mit wie viel Liebe, Aufwand und Detailversessenheit die Cruiser-Fans ihre Fahrräder gestalten ist bewundernswert.
Da wird umgebaut, geschraubt und gepimpt bis der Arzt kommt. Helfen kann der selten. Tretharleys kreieren kann zur Sucht werden. Und weil es so schön ist, erstmal ausgiebig all die Extrem-Bikes zu bestaunen und darüber zu schnacken, verschiebt sich der Start von 14 Uhr rund eine Stunde nach hinten. Wer hier preußische Pünktlichkeit erwartet, ist definitiv falsch. Seinen Internet-Treffpunkt hat die Szene übrigens auf den Seiten von Tretharley.
Entsprechend locker und langsam setzt sich der Tross in Begleitung mehrerer Polizei-Motorräder in Bewegung, rollt gemächlich die Mö runter und steuert die Hafencity an. Über die Freihafenbrücke geht es rein nach Veddel, vorbei an der Ballinstadt und hinein ins Wilhelmsburger Unterholz. Die Route führt über versteckte Pfade offroad an der Dove Elbe entlang über eine idyllische Holzbrücke ins Herz der neuen Wilhelmsburger Mitte. Cool, wie wild und grün Hamburg so nah am Hamburger Zentrum sein kann. Vor der Behörde für Stadtentwicklung wird pausiert; ziemlich praktisch, weil ich nur wenige Meter von hier entfernt wohne und so meine Familie begrüßen kann. So kommt es unverhofft zu einem Revival des legendären Teams Klapp mi am Mors, dass beim World-Klapp in Berlin einst Geschichte schrieb.
Wieder wird gefachsimpelt, neue Freundschaften geschlossen, alte erneuert. Solche Fun-Rides wünsche ich mir viel öfter für Hamburg. Sie machen nicht nur Fahrradfahrer und -lobby sichtbar(er), sondern als Teilnehmer auch viel, viel Spaß. Wäre doch toll, wenn sich die zahlreichen Rennradfahrer mal zu einer Demo-Tour auf diese Art und Weise verabreden würden. Aber die Lockerheit der Cruiser-Szene ist halt nicht überall präsent.
Auf dem Rückweg geht es vorbei an Soulkitchen-Halle, durchs Reiherstiegviertel Richtung Alter Elbtunnel. Auf der Argentinienbrücke wartet ein wunderbarer Sonnenuntergang vor spektakulärer Hafenkulisse auf die Halloween-Rider. Einen besseren Herbsttag für die diese Fahrt hätte es nicht geben können.
Dann verschwindet die Meute im Pkw-Aufzug und ich trete den Rückweg an. Es war ein perfekter Nachmittag auf dem Bike. Bitte unbedingt wiederholen.
Schade, habe nichts davon mitbekommen. Ich war sonst immer dabei. Hoffentlich nächstes Jahr wieder.
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