Donnerstag, 28. Januar 2016

Critical Mass wissenschaftlich beleuchtet: Politischer Protest oder nur Pedal-Party?

Eigentlich fährt Gabriela ein schickes Koga-Vintage-Rennrad. Fürs Foto musste sie aber mein Bonanza nehmen

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Ich hatte Besuch. Hohen Besuch! Gabriela war bei mir. Gabrila studiert Kulturwissenschaften und will ihre Masterarbeit über die Critical Mass schreiben. Das ist spannend. Denn Gabriela wird versuchen, die Motive und Auslöser zu ergründen, warum sich allmonatlich bis zu 6000 Fahrradfahrer mehr oder weniger spontan bei der CM treffen. Was für ein Phänomen ist das, die kritische Masse? Geht es vorrangig um bessere Bedingungen für Radfahrer? Oder ist das "Jeden-Letzten-Freitag-Im-Monat-Ritual" einfach nur eine lustige Bike-Party? Bei ihrer Recherche ist Gabrila auch auf meine Typologie der CM-Fahrer aufmerksam geworden. Nun sitzt sie in meiner Küche, wir trinken Kaffee und reden über Fahrradfahrer und Fahrräder, über Politik und Protest und natürlich über die Critical Mass.
Nein, eine Demonstration will die CM nicht sein. Dann wäre sie genehmigungspflichtig und eine Route wäre vorgegeben. Darum sehen die unbekannten Initatoren sie eher als spontanes Radfahrertreffen an jedem letzten Freitag im Monat. Eigentlich ist da schon der erste Widerspruch: spontan und regelmässig gehen irgendwie nicht gut zusammen.

Das sind sie, die Themen die Gabriela und ich diskutieren. Was treibt die Teilnehmer an? Selbst bei schlechtem Wetter zieht es inzwischen sogar im Winter sehr viele Radfahrer auf die Straße. "We are traffic" lautet der CM-Slogan. Wir sind Verkehr! Übersetzt bedeutet das etwa: Auch uns gehört die Strasse. Aber ist das wirklich der Auslöser? Das versucht Gabriela durch Beobachtungen und Interviews herauszufinden.

Ein spannender Ansatz, nötigt er mich doch zum Nachdenken. Warum fahre ich da eigentlich mit? Die Antwort fällt mir gar nicht so leicht. Anfänglich war es pure Neugier. Ich wollte wissen: Was geht da ab? Was sind das für Typen bei der CM?

Anschließend hatte ich ein diffuses Bild. Es gab viele Normalos, aber auch etliche stark engagierte Radlobbyisten und einige "Kampfradler", die es auf Provokationen mit Autofahrern angelegt haben. Vor ein paar Jahren war die CM in Hamburg deutlich politischer und aggresiver. Das ist vorbei. Heute ist die CM noch vielfältiger. Neben den weniger echten Protestfahrern ist es heute ein breiter gesellschaftlicher Mix, der da in die Pedale tritt. Vom Greenpeace-Campaigner bis zum CDU-Mitglied ist fast das gesamte politische Spektrum dabei.

Gabriela hat es darum nicht leicht, das CM-Phänomen zu deuten. Aber genau das kann ja auch der Reiz sein, die Herausforderung: CM, das unbekannte Wesen.

Auf Demos werden in der Regel Missstände angeprangert. Für viele Critical-Mass-Teilnehmer sind das zu wenige und schlechte Radwege, Radverkehrspolitik eben. Die Forderungen werden bei der CM aber nicht mit Plakaten und Magaphonen verkündet, sondern eher stillschweigend dadurch kommuniziert, dass man gemeinsam mit Fahrrädern die Straße benutzt und von seinem guten Recht gebraucht macht. Mehr nicht. Agitation, Reden, Trillerpfeifen, Plakate, all das gibt es nicht. Nein, echte Demos sehen anders aus.

Offensichtlich sehen viele in der CM vielmehr eine bunte Spaßveranstaltung. Schließlich wird in Tunneln und unter Brücken heftig geklingelt und gejohlt - und zwar nicht aus Protest, sondern aus purer Lebensfreude. Gut so. Mir gefällt diese Leichtigkeit.

Ob politisch motiviert oder als reiner Feierabendspaß - alle Teilnehmer eint, dass Radfahrern eine gute Sache ist, eine Sache, die sinnvoll ist für Umwelt, Geldbeutel und Lebensqualität. Und die natürlich Spaß macht. Die Lust an der Bewegung auf dem Rad und das Gemeinschaftserlebnis ist vielleicht die noch größere Triebfeder, um zur CM zu kommen. Völlig unpolitisch, völlig ohne Botschaft, einfach nur Fahrradfahren! Warum nicht? Für mich ist das okay. Wenn sich Freunde und Arbeitskollegen dort ohne tiefere Mission treffen, finde ich das wunderbar.

Einen nicht unerheblichen Teilnehmerkreis kann man auch als "Rad-Exibitionisten" bezeichnen. Sie haben Spaß daran, ihr Bike und sich zu präsentieren. Irgendwie gehöre ich auch zu denen; warum sonst tue ich mir 30 Kilometer auf einem Klapp- oder Bonanzarad an? Ähnliches gilt für Lastenradfahrer, Soundbikes, Tallbikes und so weiter. Die CM ist also auch ein Laufsteg für fahrradbegeisterte Menschen. Auch das ist eine feine Sache, zeigt dieser Trend doch, dass das Fahrrad dem Auto als Statussymbol Konkurrenz macht oder vielleicht sogar schon ablöst.

Ein glasklares Destillat, was die CM ist und wer dort mitfährt, kann ich Gabriela nicht liefern. Sie wird sich ihre eigenen kulturwissenschaftlichen Gedanken dazu machen und in ihrer Masterarbeit zu Papier bringen. Bin gespannt und wünsche ihr toi, toi, toi.

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