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Kalkhoff Kinderrad im Fundzustand: ein trauriges Bild |
Wir kennen sie ja alle, die Story mit der Modelleisenbahn: Papa kauft Gleise, eine Lok, Anhänger, den Bahnhof und sagt: "Für den Kleinen. Zu Weihnachten. Wird er lieben." In Wahrheit befriedigt der Herr Vater damit nur seinen eigenen Spieltrieb; er wünscht sich die Eisenbahn eigentlich selber und hat mit dem Nachwuchs die perfekte Rechtfertigung, in das elektrische Spielzeug zu investieren. Auch wenn das Kind noch viel zu jung dafür ist. Genau so ist es mir jetzt mit einem alten Kinderrad ergangen. Mein Sohn ist noch keine zwei. Doch den Hinterhof-Fund musste ich ihm einfach restaurieren. Selbst wenn er damit frühestens in zwei Jahren fahren kann. Zu Weihnachten soll er es kriegen. Doch wenn ich ehrlich bin, ist es natürlich eher ein Geschenk für mich als für ihn. Und vielleicht mag er den feuerroten Fahrrad-Oldtimer gar nicht und will lieber ein giftgrünes Puky aus der aktuellen Kollektion. Oder noch schlimmer: Er will gr kein Fahrrad, sondern lieber eine Playmobilburg oder so. Oh je, nicht auszumalen! Aber vielleicht liest er auch diese Zeilen irgendwann. Und freut sich irgendwann über das Einzelstück, was ich ihm da zusammen gebaut habe.
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Der 16 Zoll-Flitzer nach der Restaurierung |
Mitleidserregend stand das kleine 16-Zoll-Kinderradbei einem Gebrauchtwaren-Höker auf dem Hinterhof. Ein Kalkhoff aus den 60er oder 70er Jahren. Total verrostet und runter gekommen. Ein echtes Schrottrad. Ein hilfloser Fall, eigentlich. Aber komplett. Und irgendwie klassisch vom Stil her: gute Proportionen, eleganter Stahlrahmen, ansehnliche Pedale, Klemmgepäckträger, Seitenständer -alles sehr solide ausgeführt.
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Original Steuerkopf-Aufkleber |
Der Händler wollte zehn Euro. Die habe ich ihm gerne bezahlt. Aber erst nach dem ich gut eine halbe Stunde mit mir gerungen habe, ob ich mir das schrottige Kinderrad wirklich ins Haus holen soll. Heute weiß ich: Eine gute Entscheidung. Die Restaurierung hat viel Spaß gemacht. Und entstanden ist aus dem Projekt ein echtes Unikat.
Der Vorteil von Kinderräder ist, das man sie an einer Hand tragen und problemlos in den Kofferraum werfen kann. Durch die kompakten Abmessungen konnte ich es auch an den neugierigen Augen meines Sohnes vorbei schmuggeln. Während er in der Kita spielte, habe ich das Kalthoff vor der Haustür in seine Einzelteile zerlegt. Das Steuerrohr entspricht der gängigen Ein-Zoll-Norm. Der Rest fällt eher ungewöhnlich klein aus, weswegen ich Tretlager-Teile, Kurbeln, Kettenschutz, Griffe und Schutzbleche besonders zaghaft abschraubte, denn Ersatzteile dürften schwer zu bekommen sein. Kalkhoff hat gute Qualität verbaut. Stahl und Chrom sind zwar teilweise stark an- und verrostet, aber die Substanz ist so, dass ich alles aufarbeiten kann.
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Total verrosteter Kettenkasten |
Besonders mitgenommen wirkt der Kettenkasten aus Blech. Er ist mit einer dicken Rostschicht überzogen - da steckt viel Arbeit drin: entrosten, säubern, grundieren und neu lackieren. Das ist der Plan. Nicht nur für den Kettenschutz, sondern fürs ganze Rad. Chromteile wie Lenker, Pedalarme, Zahnkranz, Bremse und Sattelstütze kriege ich mit der Drahtbürste und Schleifpapier wieder hin. Den vollen Glanz bekommen die Teile zwar nicht zurück, dafür aber eine nette Patina.
Dem restaurierten Rad soll man ruhig ansehen, dass es eine Vorgeschichte hat. Wer mag damit wohl früher unterwegs gewesen sein? Wie viele Kinderpopos sind auf dem braunen Plastiksattel hin und her gerutscht? Was hat das Rad wohl neu gekostet? Kinderräder - so habe ich mal gehört - waren früher fast so teuer wie die für Erwachsene. Darum sollen sie selten sein - besonders wenn sie aus der Vorkriegszeit oder den 50er Jahren stammen.
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Entlastung des Rahmens |
Besonders anstrengend und langwierig ist die Entlackung des Rahmens. Erst habe ich ihn mit der Stahlbürste angeraut, dann mit Abbeizer aus dem Baumarkt angestrichen. Das Ergebnis ist mäßig. Nur wiederwillig kommt der rote Metallic-Lack vom Stahlrahmen herunter. Ein Indiz für die hohe Verarbeitungsqualität. Deshalb müssen Zopfbürste und Bohrmaschine ran. Aber auch das dauert. Irgendwann ist der kleine Rahmen blank. Ein Herrenrad dürfte deutlich länger dauern.
Nun beginnt der spannende Teil: Konservierung, Lackierung, Verschönerung und Wiederaufbau. Obwohl ich bezweifle, dass der Rahmen jemals durchrosten kann, spüle ich das Rahmenrohr mit Cola aus. Denn die enthält Phosphorsäure, die wiederum Rost angreift und löst. Dann lasse ich den Rahmen austrocknen. Anschließend kommt Hohlraumkonservierer aus der Dose mittels Spühschlauch ins Rohr. Jetzt hält er 1000 Jahre.
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Hohlraumschutzwachs für ein ewiges Leben |
Dann schleife ich den Rahmen nochmals mit 280er Sandpapier an, wische ihn mit Waschbenzin sauber und spritze zwei Schichten rote Grundierung auf. Nach dem diese getrocknet ist, wird die Oberfläche nochmals zart angeschliffen. Nun kommt meine neueste Entdeckung dran:
Spray Bike. Das ist ein pulverartiger Lack, den man aus großer Nähe aufbringen muss und der dadurch wenig Sprüverluste erzeugt. Bei normalem Dosenlack gehen geschätzt zwei Drittel der Farbmenge daneben und wer nicht aufpasst, erzeugt hässliche Lacknasen. All das funktioniert mit Spray Bike besser. Die Deckkraft des Lackes ist verblüffend. Eine Dose reicht, um das Kalthoff-Kinderrad mit zwei satten Farbschichten zu versorgen. Meine gewählte Farbe nennt sich Redbridge und wirkt im Ergebnis wie ein Feuerrot - sehr intensiv und auffällig.
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Rahmen nach der Grundierung |
Als Finish sprühe ich noch zwei Schichten Klarlack - auch von Spray Bike wegen der Verträglichkeit der Produkte - oben drauf. Das Ergebnis ist buchstäblich glänzend. Nur so hart wie eine Profi-Pulverbeschichtung ist der Do-It-Yourself-Lack leider nicht. Beim Entfernen aus dem Schraubstock stosse ich mit dem Tretlager leicht an und verursache so ein ersten Lackabplatzer - wie ärgerlich. Was macht eine Werkslackierung nur so viel widerstandsfähiger als die Farbe aus der Dose?
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Kettenkasten |
Den lackierten Rahmen spanne ich in meinen Fahrrad-Montageständer ein, in dem der keine Rahmen verloren wirkt. Durch die gute Arbeitshöhe geht der Wiederaufbau schnell von der Hand. Gabel rein, Steuersatz mit den gereinigten und gefetteten Lagern bestückt und verschraubt; es folgen Vorbau und Lenkstange. Als die gesäuberten Schutzbleche montiert sind, fällt meiner Frau auf, dass die roten Linierungen nicht mehr schön sind. "Die musst Du nachmalen", meint sie. Also auf zum Bastelladen und matten Acryllack und einen feinen Pinsel besorgt. Dann die Schutzbleche mit Moltoband abgeklebt und den Picasso gegeben. Und tatsächlich: Die frische Farbe werten die ansonsten etwas angeschossenen Schutzbleche sichtlich auf. Gabel und Kettenschutz habe ich übrigens in Schwarz glänzend lackiert und dabei eine ganze Dose verspritzt.
Für alle Befestigungen benutze ich übrigens Edelstahlschrauben und Muttern, damit hier ja nie wieder was rostet. Es sind vor allem diese kleinen Details, die das Rad aufwerten. Leider sind sie die Felgen nicht mehr rettbar - zu viel Korrosion. Darum kaufe ich extra ein weitere Kinderrad mit blanken Stahlfelgen auf einem Flohmarkt. Sie lassen sich gut polieren und bekommen zwei neue Mäntel in braun. Als Quelle hierfür empfehle ich den
Hollandbike-Shop. Hier findet man auch seltenere Teile.
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Zu guter Letzt: Steuerkopfschild aufkleben |
Ruckzuck ist auch die überholte Bremse mit neuem Zug, Hülle und Belegen montiert. Mir geht das fast zu schnell; irgendwo muss doch noch eine Falle lauern.
Tut sie aber nicht. Der Oldtimer lässt sich spielend montieren - eine echte Freude. Nur das Vorderrad will nicht so leicht in die Gabel flutschen. Die Einbaubreite meines Ersatzrades ist offenbar etwas breiter als die Gabel. Doch mit Kraft und Geduld ist auch das Problem gelöst. Es folgen Kette und Kettenkasten. Und dann, nee - das Rad ist schon fertig. Ganz zum Schluss noch ein Kalkhoff-Steuerkopfschild als Zierde an den Rahmen - und mein Geschenk glänzt im Wohnzimmer. Blöd nur, dass ich noch rund zwei Jahre warten muss, bis Sohnemann damit seine ersten Meter macht. Und das ist dann auch gleich der Unterschied zur Modelleisenbahn. Ich kann mit den 16-Zoll-Rad nicht fahren. Schade eigentlich.
Nett geworden. Besser als Cola zum Spülen des Rahmens ist übrigens Fertan. Phosphorsäure ist Rostlöser und kriecht gut, empfiehlt sich daher für festgegangene Sattelstützen und Innenlager. Fertan macht rotes Eisenoxid zu schwarzem und das oxidiert nicht weiter.
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