Mittwoch, 5. Juni 2019

Gesucht: Das beste Elektro-Faltrad


Wie alle Fahrradgattungen hat der Elektrifizierungstrend schon länger auch das Faltradsegment erreicht. Der Markt ist voll. Und unübersichtlich. Hier gibt es eine Orientierung.

Kompakt: Mit seinem Faltmass passt das Brompton auch gut in einem Heli
Die meisten Elektro-Falträder sind schwer. Zu schwer. Viel zu schwer. Zu schwer jedenfalls, um sie täglich in ICEs, Stadtbusse und Kleinwagenkofferräume zu hieven oder durch Treppenhäuser zu schleppen. Nur die wenigsten Modele bleiben unter der 20-Kilo-Marke. Und selbst mit 15 Kilo Gewicht, ist ein gefaltetes Klapprad noch immer ein ganz schöner Brocken. Gute Fahrradkonstruktionen sollten von je her Leichtbauprinzipien folgen. Schwere E-Komponenten und erforderliche Verstärkungen wirken da kontraproduktiv, leider.

Für wen?

Das wirft die Frage auf: Wer braucht überhaupt ein elektrisch unterstützendes Faltrad? Meine Antwort: niemand! Falträder sind für die „Last Mile“ gemacht. Sie sind typische Kurzstreckenräder, ideal für die Fahrt von der Wohnung zum nächsten Bahnhof, vom Campingplatz zum Bäcker, vom Büro durch den Park zum Termin. Oder ein guter Begleiter im Autokofferraum: Mit der Karre bis an den Stadtrand, Deckel auf, Rad auskappen, weiter in die City. Auf Distanzen bis etwa 10 Kilometer spielen diese Bikes ihre Stärken aus. Da braucht es eigentlich keinen Motor. Eigentlich.

Megatrend E-Bike

Doch in Zeiten, in denen auch Salzstreuer elektrifiziert werden und die Fahrradindustrie fast nur noch vom E-Bike zu leben scheint, bleibt natürlich auch das Faltrad nicht von der Aufrüstung mit E-Motoren verschont. Und es soll ja auch Zeitgenossen geben, die mit Bromptons, Birdys und Co. ausgedehnten Expeditionen in entlegene Regionen unternehmen. Riese und Müller hat sein ebenfalls kultige Birdy bereits vor geraumer zeit mit einer BionX-Hinterradnabe bestückt. Das Rad ist aber schon wieder vom Markt verschwunden. Schade eigentlich, denn mit der Rekuparation-Möglichkeit des BionX verfolgte das Birdy einen spannenden Ansatz.

Also gut, was muss ein Elektro-Faltrad können? Es muss natürlich kompakt bleiben. Und leicht. Darum kommen konstruktiv vorrangig Nabenmotoren zum Einsatz. Dazu kleine Akkus. Zusätzliches Gewicht bringt das trotzdem. Der Großteil des Marktangebotes sprengt schamlos die 20-Kilo-Hürde. Das ist zu schwer, denn es raubt dem Faltrad seinen Sinn. Was nützt das beste Faltrad, wenn es angesichts seines Übergewichts nicht gefaltet und getragen wird? Dann doch lieber gleich ein fixes Kompaktrad anschaffen. Davon gibt es ja auch jede Menge.

Kompakt also soll es sein. Und eben leicht. Die folgenden Modelle erfüllen diesen Anspruch so gut es geht.

Kandidat Nummer 1: Das Brompton Electric
Drei Jahre wurde darüber geredet oder länger. Jetzt ist es endlich da: das Brompton mit E-Unterstützung. Puristen werden vielleicht die Nase rümpfen. Denn die große Fangemeinde hat das britische Kultbike unter Menschen, die umweltfreundliche Mobilität schätzen; die sich darum auch noch gerne bewegen möchten. Ein Motor, der von einem Lithium-Ionen-Akku gespeist wird, ist da eher von verdächtiger Natur. Sei’s drum. Brompton kann und will auf eine E-Variante nicht verzichten. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an diese Faltrad-Ikone. Ein schweres Los, schwerer jedenfalls als das der zahlreichen Newcomer in diesem Wachstumssegment. 
Begegnung: Brompton Electric und R&M Birdy mit BionX-E-Antrieb

Design und Konstruktion

Was die Firma von Andrew Ritchey da anbietet, folgt glücklicherweise den typischen Brompton-Kriterien: Es faltet wie ein normales Brompton auf ein winziges Format. Wer den Faltmechanismus des Stahlrahmens erst mal beherrscht, also die richtige Reihenfolge der Handgriffe, darf sich über ein perfekt durchkonstruiertes Produkt freuen. Faltlogik, Abmessungen und Robustheit sind konkurrenzlos gut. Der extrem flach bauende Nabenmotor ist in der Gabel implantiert und durch sehr kurze Speichen mit der 16-Zoll-Felge verbunden. Die Gabel wurde dafür verstärkt. Eine schwarze Allwettertasche am Steuerrohr beherbergt den kompakten Akku. Zusätzliche Kabel führen zum Tretlager und liefern die Trittkraft und –frequenzdaten zur Steuerung des Motors.


Neben dem Ein- und Austaster lassen sich am Akku drei Unterstützungsstufen ansteuern. Außerdem das Licht an- oder ausschalten. Es wird aus dem Akku mit Strom versorgt. Schon der schwächste Modus liefert genug Kraft, um angenehm zügig durch die Gegend zu fahren. In Stufe drei schießt das Brompton mit derart viel Kraft nach vorn, das sensible Naturen erschreckt aufschreien dürften. Totaler Turbo eben. Das Testbike war die Version mit nur zwei Gängen. Darum kommt es bei zügiger Fahrt auf ebener Strecke, besonders bei Rückenwind, früh an seine (Tempo)Grenzen.

Fahreindruck und Umgang

Aber egal ob volle Kraft oder Schleichfahrt, der Motor spricht beim Anfahren jedes Mal leicht verzögert an. Das macht die Gewöhnung einfach, weil sich das E-Brompton nicht von der unmotorisierten Variante unterscheidet. Erst wenn das Rad schon etwas auf Tempo gekommen ist, schaltet sich sanft und einigermaßen leise der Motor zu. Er gibt seine Leistung in Stufe 1 schubartig, statt kontinuierlich ab. Auch bei gleichmässiger Fahrt und rundem Tritt heult er immer nur turbinenhaft in Phasen auf und zieht das Rad nach vorn. Mit dieser Charakteristik erinnert das E-Brompton an ein Hybridauto wie den Toyota Prius. Bei dem jault allerdings der Verbrennungsmotor unter Last auf, nicht die E-Maschine. Für Fahrer normaler E-Bikes ist die Brompton-Leistungsabgabe ungewohnt. Effektiv ist es trotzdem. In Stufe 3 ist der Motor hörbar mit einem hochfrequenten Summen stets präsent; jetzt gibt es permanente Unterstützung. Zügig rollt das Brompton vorwärts und selbst stärkere Steigungen verlieren ihren Schrecken. Ein schönes Gefühl.

Weniger schön: Da der Motor vorn sitzt und der Akku darüber wird das Brompton kopflastig. In der Praxis bedeutet das eine spürbare Schmälerung des ohnehin schon harten Abrollkomforts. Gullideckel, Kopfsteinpflaster und Querfugen schlagen heftig in den Lenker, die Hände und Arme durch. Ein Schlechtwege-Fahrrad war das Brompton trotz Hinterradfederung nie. Die E-Variante ist es erst recht nicht.
Überflieger? Nee, das Brompton ist gut gemacht. Mehr aber auch nicht

Darum lieber schön auf dem glatten Asphalt bleiben. Dann gibt es auch kein Geklapper von der Akkutasche und alles fühlt sich straff und angenehm an. Mögen die 16-Zoll-Räder unter Komfortgesichtspunkten nachteilig sein, hat das kleine Vorderrad in der E-Variante durchaus Vorteile. Denn die Nabenmaschine bringt es viel schneller auf Touren als bei Fahrrädern mit größeren Laufrädern, Stichwort Massenträgheit. Außerdem wirkt die Antriebskraft direkt auf die Felge; es gibt keine Reibungsverluste wie bei Mittelmotorkonzepten. Durch die elektrisch angetriebene Vorderachse wird das E-Brompton außerdem zum Fahrrad mit Allradantrieb. Das verbessert Stabilität und Traktion, aber wie erwähnt: Offroad-Wege oder gar Trails sind nicht das Terrain für ein Brompton.

Fazit:

Der geniale Faltmechanismus und seine Robustheit bleiben dem E-Brompton erhalten. Trotz Stahlrahmen erzielt die motorisierte Variante ein vertretbares Gewicht. Fürs tägliche Ein- und Aussteigen in Busse und Bahnen sind 18 Kilo inklusive Akku aber trotzdem ein gravierender Nachteil. Geometrie, Fahrgefühl, Verzögerung, E-Unterstützung und Reichweite sind ohne Tadel. Nur der Abrollkomfort ist schlecht, weil zu hart. Insgesamt überwiegen die Nachteile der 2900 Euro teuren E-Variante deren Vorteile. Das normale Brompton mit reinem Muskelantrieb ist der bessere und natürlich auch günstigere Kauf.

 Fortsetzung folgt...

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