Samstag, 18. Januar 2025

Ersatzbolzen für Schaltwerk DIY oder: Was es nicht gibt, wird gebaut

Nach vielen Jahren ganz hinten im Lager hole ich mein altes Benotto-Rennrad ans Licht und stelle fest: Schaltwerk hängt schief und will nicht mehr. Ach ja, das war ja auch einst der Grund, den Italo-Stahlrenner in den Kerker zu verbannen. Irgendwie erschien das Problem damals schwer lösbar. Jetzt ein neuer Anlauf, in dem Metallsäge, Feile und Gewindebohrer und Schneideisen entscheidende Rollen einnehmen.

Das schwarze Benotto bin ich vor rund zwölf bis 15 Jahren gerne gefahren. Dann kam das Problem mit der Zehngang-Kettenschaltung. Ich stellte es erstmal weg, um den Mangel bei Gelegenheit zu beheben. Nun ist es soweit. Endlich! Der silberne Umwerfer vom Typ Suntor VX hängt nicht gerade nach unten, wie es sich gehört, sondern neigt sich unter dem Fünffach-Ritzelpaket zu weit nach vorn. Also abschrauben, das Ding. Geht leicht. Zu leicht. Schon nach ein paar Umdrehungen mit dem Inbusschlüssel fallen Schaltwerk samt Befestigungsbolzen vom Rahmen. Die Ursache ist klar: Gewinde kaputt. Der Bolzen hat kaum noch brauchbare Rillen. Außerdem ist am austauschbaren Schaltauge ein Stück abgebrochen. Das ist das kleinere Problem, weil es Schaltaugen für die Achsmontage problemlos zu bestellen gibt. 
Kaputtgedrehtes M10x1-Gewinde

Ganz anders der Bolzen. Ein passendes Exemplar für so ein Vintage-Schaltwerk finde ich leider weder in meinen Teilekisten, noch im Internet. Dort werden Suntour VX-Derailleur für rund 50 Euro gehandelt. Nur weil der Bolzen kaputt ist, gleich das ganze Schaltwerk austauschen? Nein, das wiederstrebt mir. Vor allem auch deshalb, weil das Schaltwerk offensichtlich zu den begehrten Vintage-Teilen gehört, in Foren einen guten Ruf hat und mein Exemplar gut erhalten ist.

Also, wie kann man das Teil retten und wieder seinen Funktion zuführen? Ich vermesse den Bolzen. Er ist 23 Millimeter lang, hat ein M10-Feingewinde mit einer Steigung von einem Millimeter. Dieses Maß gibt es auch bei Fahrradhinterachsen. So eine habe ich in meinem Fundus, inklusive Konen und Kontermuttern. Das ist meine Ausgangsmaterial für den Ersatzbolzen. Natürlich gibt es im Fachhandel auch Inbus- und Sechskantschrauben in M10x1. Und ein Innensechskant kommt dem Originalbolzen optisch natürlich näher und sieht besser aus. Darum besorge ich mir zusätzlich kurze M10x1-Schrauben mit verschiedenen Köpfen, um später zu checken, welche am Benotto am besten aussehen. 

Achsstummel mit Kontermutter, Rohrkragen und Sägeschlitz

Doch zunächst bleibe ich bei der kostenlosen Methode, säge von der Achse ein rund 25 Millimeter langes Stück ab, entgrate die Schnittstelle und verkontere zwei M10-Flachmuttern. Das wird die Außenseite des Bolzens, der hier normalerweise einen Innensechskant trägt. Das Lösen des Bolzens wird mit einem Konusschlüssel erfolgen müssen. Festziehen mit einem Maul- oder Ringschlüssel. Optisch sieht die Sache, na ja, rustikal aus - vor allem an einem filigranen Italo-Racer.

Nun fehlt noch eine Gewindescheibe, die im Suntour-Schaltwerk auf der Innenseite des Befestigungsloches liegt. Leider habe ich das Originalteil verloren. Die Funktion ist mir nicht ganz klar. Die Scheibe positioniert das Schaltwerk zwischen Schaltauge und der Bolzenaufnahme, so dass es sich am Rahmen nach vorn und hinten drehen kann. Das Ganze wirkt eigentlich recht einfach, ist aber nicht banal, weil Kettenposition auf dem Ritzelpaket und Schaltwerk-Federspannung gut zusammenarbeiten müssen.

Kleiner Exkurs: Bei vielen Schaltwerken sitzt in der Bohrung des Befestigungsbolzen gerne eine kräftige Drehfeder. Wird die Sicherungsscheibe entfernt, kommt sie zum Vorschein und lässt sich nur unter großen Schwierigkeiten wieder einbauen. Ein zu Studienzwecken zerlegtes Shimano-Schaltwerk habe ich bei diesem Arbeitsschritt nicht wieder zusammen bekommen, weil beim Eindrehen der Feder unter Spannung die Federinge aus der Fixierung "hervorquellen". Ärgerlich!

Zurück zur Scheibe im VX-Schaltwerk. Im Original ist sie aus Alu und trägt zwei Schlitze. Um sie nachzubauen, spanne ich eine M10-Kontermutter (natürlich funktionieren auch Flachmuttern M10x1) von der Spenderachse in den Schraubstock, feile die Ecken rund und trage so lange Material ab, bis sie saugend in die Bohrung des Schaltwerks passt. Die beiden Schlitze säge ich mit einer Metallsäge in die jetzt runde Mutter. Fertig.

Fünf Lösungen fürs Schaltauge: Ganz rechts der Originalbolzen, daneben Achse mit Kontermuttern, Sechskant und Inbusschraube mit Feingewinde
und ganz links schwarz eloxierter Ersatzbolzen mit Inbusantrieb

Einziges Problem ist nun noch das durchgehende Gewinde. Der Originalbolzen hat über die Hälfte seiner Länge das Gewinde, die andere Hälfte ist ein zwölf Millimeter breiter Kragen, der als Lauffläche für den Drehpunkt in der Schaltwerkbuchse dient. Kann mein Konstrukt auch ohne diesen Kragen funktionieren? Ich fürchte nicht. Also muss auch hier eine Reaparaturlösung her. Dafür brauche ich ein Rundrohr mit Innendurchmesser neun Millimeter und außen zwölf. So etwas gibt es glücklicherweise im Baumarkt in der Abteilung für Schubkarrenräder und Achsenmaterial. Dort entdecke ich ein 50 Zentimeter langes Achsrohr mit neun Millimeter Innenmaß bei 1,5 Millimeter Wandstärke. Macht also einen Außendurchmesser von den gewünschten zwölf Millemetern. Und das Ganze kostet schmale 3,15 Euro für den halben Meter.

Bolzen mit Lauffläche aus Achsrohr

Von diesem Rohr schneide ich ein paar Stücke mit zwölf Millimter Länge ab, also das, was ich beim Originalbolzen gemessen habe. Diese Hülsen benötigen nun ein Feingewinde M10x1. Entsprechende Gewindebohrer sind nicht teuer und kommen als Zweierset zum Vor- und Fertigschneiden. Problematisch ist nur das Fixieren der kurzen Rohrstücke im Schraubstock. Bei zuviel Druck werden die Hüsen oval, bei zu wenig drehen sie sich in den Schraubstockbacken. Gefühl ist daher gefragt. Besser ist es, wie ich nach einigen Versuchen feststelle, ein längeres Rohrstück sehr fest einzuspannen, und an dessen Ende ein langes Gewinde zu schneiden und die Gewindehülsen erst später auf die gewünschte Länge zu kürzen. Der Klemmbereich des Rohres wird durchs Quetschen zwar als Gewindeträger unbrauchbar, aber die Arbeit ist so deutlich einfacher. Und ich benötige ja auch nur eine zwölf Millimeter lange Hülse.

Gewindeschneider und Achsrohr

Jetzt die frisch hergestellte M10x1-Hülse auf zwölf Millimeter Länge kürzen und auf die M10-Nabenachse oder eine entsprechende Inbus/Sechskantschraube drehen. Das gelingt nur unter Einsatz einer Zange, was wiederum die Gefahr birgt, auf der Außenseite Kratzer zu erzeugen, und die habe ich ungern auf einer Lauffläche. Darum schmirgel ich die Hülse nach Erreichen ihrer finalen Position mit 400er Korn erneut blank. So, sieht ganz okay aus. Mein erster Ersatzbolzen ist fast fertig. Er muss nur noch auf 23 Millimeter Länge gekürzt werden.

Alternative: M10-Langmutter mit Regelgewinde. Ich frage mich, ob nicht auch eine runde Langmutter mit M10x1,5-Gewinde geeignet ist. Also ob sich ins Regelgewinde das Feingewinde schneiden lässt. Versuch macht klug. Also rein mit so einem Ding in den Schraubstock und Gewindebohrer angesetzt. Klappt! Fein- statt Regelgewinde ist drin. Und gekürzt kann auch dieses Teil die Funktion des glatten Bolzenparts übernehmen. Allerdings liegt der Außendurchmesser bei 13 statt zwölf Millimetern. Wer diesen Weg wählt, muß also von der Hülse noch einen Millimeter abschmirgeln, und das dürfte kaum gleichmässig genug erfolgen um eine gute Rundung zu erhalten.

Alternative II: Mit einer Reparaturgewindebuche M10x1 lässt sich ebenfalls ein Schaltwerk-Bolzen herstellen. Eigentlich sind diese für die Reparatur von ausgerissenen Schaltaugen in Stahlrahmen gedacht. Aber sie lassen sich auch auf einen Bolzen schrauben und haben dann mit 11,8 Millimeter Außendurchmesser das richtige Laufflächemass. Von Cyclus Tools gibt es außerdem Gewindeeinsätze für Alurahmen. Diese haben aber ein M12-Außengewinde und sind daher eher ungeeignet für die Bolzen(re)konstruktion.

Fehlt noch die Funktionsüberprüfung.

Bolzen aus Achse: Das Festziehen des Schaltwerks mit dem selbstgebauten Bolzen aus der M10-Achse funktioniert etwas mühsam, weil dafür ein 17er Ring- oder Maulschlüssel nötig ist. Aber es geht. Das Schaltwerk dreht sich wie es soll und schaltet bei der Probefahrt alle zehn Gänge durch. Nur groß-groß (also vorn und hinten größtes Kettenblatt und Ritzel) will nur wiederwillig, weil das Schaltwerk zu viel axiales Spiel hat. Doch das lässt sich nachjustieren. Optisch nicht schön.


Bolzen mit Inbus: Klappt und kommt dem Originalbolzen am nächsten, weil mit Inbusschlüssel fixierbar. Gänge schalten leichtgängig. Der schwarze Bolzenkopf passt zum Schaltwerk, silber wäre vielleicht noch schöner.


Ersatzbolzen aus Internet-Shop: Funktioniert perfekt. Bolzen-, Gewinde- und Kragenlänge sind optimal auf dieses Schaltwerk abgestimmt. Bolzen ist aus Alu statt Stahl. Bolzenkopf fügt sich optisch schön in die Bohrung des Schaltwerks ein. Der Preis von 3,83 Euro ist okay. Arbeitsaufwand durch Anpassungen im Vergleich zu den anderen Methoden gleich null.




Feingewinde-Schraube mit Sechskant: Ähnlich wie Bolzen aus Achse und Kontermuttern. Funktioniert gut, sieht aber sehr rustikal aus. Maul-, Ringschlüssel oder eine 17er Nuss drehen den Bolzen ins Schaltauge. Alle Gänge lassen sich schalten. Operation geglückt. 




Originalbolzen nachschneiden: State-of-the-Art-Lösung, weil der Originalbolzen mit sein Suntour-Schriftzug erhalten bleibt. Das nachgeschnittene Gewinde lässt sich sauber und spielfrei ins Schaltauge drehen. Alle Gänge schalten natürlich wie sie sollen und das Rad bleibt 100 Prozent im Originalzustand.



Fazit: Für diesen Fall war das Schneideisen M10x1 für rund 5 Euro inklusive Versand von Amazon die beste Lösung. Es stellt die Funktion des Bolzens wieder her. Alle anderen Reparaturmethoden funktionieren aber auch. Und sind dann eine gute Lösung, wenn der Originalbolzen verloren gegangen ist.



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