Montag, 24. März 2014

Berliner Fahrradschau: Sehen und gesehen werden im Herzen der Hauptstadt


Ein wunderschöner Backsteinbau mitten in Berlin, entspannte Atmosphäre, Aussteller mit ungewöhnlichen Ideen und jede Menge Fahrradmode - die Berliner Fahrradschau ist die ungewöhnlichste und zugleich schönste Bike-Messe in Deutschland. Ein Rundgang wirkt inspirierend.

Johnny dreht auf. Geschickt lenkt der Sechsjährige mit den blauen Augen sein zu großes BMX-Rad über die Hindernisse. Kleine Absätze im Parcours springt er hoch wie die Großen. Dann bremst er im Sand und berlinert fröhlich drauf los: „Mein Papa fährt dahinten“, sagt er fröhlich in die Runde. Johnny ist aufgedreht wie ein Flug-Spielzeug mit Gummimotor. Heute ist sein Tag. Heute hebt er ab. Denn heute ist Fahrradschau. Genauer: Die Berliner Fahrradschau, auch BFS genannt.
Dufter Typ: Johnny

Als Hamburger schaue ich einigermaßen neidisch auf diese schöne Messe in unserer Hauptstadt. So eine Ausstellung gibt es an der Elbe leider nicht. Dafür reicht das Potential (noch) nicht aus. Berlin ist da weiter, pflegt inzwischen eine bunte urbane Fahrradkultur mit mehreren Teil –und Unterbereichen.



Fahrradmode aus Prag
Kein Wunder also, dass vor allem Bekleidung und Zubehör stark auf der BFS vertreten sind. Unter dem Sammelbegriff Velo Couture gibt es viele Stände, die sich mit Klamotten rund ums Fahrrad beschäftigen. Dazu gehört unter anderem die Firma 222, die ökologisch hergestellte Radsachen anbietet und so ein Zeichen gegen chemisch hergestellte Funktionskleidung setzen will.

Jeans mit Verstärkungen aus altem Fahradschlau

Regenjacke als Frack
Spannend auch der Stand einer groß gewachsenen Designerin aus Irland, die zum Beispiel orange leuchtende Regenjacken in Form eines Fracks mit geschnürten Armen ausstellt. Hochwertig und stylisch wirken die Sachen einer tschechischen Klamottenmarke, die radfahrergeeignete Jeans mit Applikationen aus recycelten Schläuchen zeigt. Recycling und Nachhaltigkeit liegt ohnehin im Trend. Brooks präsentiert neben seinen Leder-Klassiker dem Zeitgeist folgend auch Sättel aus Stoffmaterial, also frei von tierischen Produkten. Ob ein veganer Fahrradsattel allerdings wirklich die Welt verbessert, ist eine andere Frage.

Trail-Sportler in Aktion
In der Aktionshalle dreht Johnny noch immer munter Runde um Runde. Inzwischen hat sein Vater den schwierigen Trail-Kurs absolviert, besser ausgedrückt: Er hat versucht ihn komplett abzufahren. Der Parcours hat es wahrlich in sich. Wer die hohen Hindernisse aus dicken Baumstämmen, Betonröhren und allerlei verwinkelter Hürden erblickt, mag nicht glauben, dass sie mit einem Fahrrad zu befahren sind. Aber es funktioniert. Mit kurz, aber laut quitschenden Bremsen, hüpfen, springen und wuchten sich die Sportler samt Trail-Bike von Hindernis zu Hindernis. Dabei versuchen sie möglichst auf den Pedalen zu bleiben. Einen Sattel haben diese Spezialbikes nicht. Wird ein Fuß zu Hilfe genommen, zählt ein Kampfrichter das als Fehler. „Drei Füße“, ruft eine Jurorin als ein Teilnehmer den Kurs verlässt. Ach, und weil das noch nicht schwer genug ist, läuft auch noch die Stoppuhr mit. Eine packende Radsportdisziplin, bei der man ewig zuschauen kann, ohne dass es langweilig wird.

Trail-Biker trotzen der Schwerkraft


Wenn Johnny so weiter macht, dürfte er in ein paar Jahren zur Weltelite gehören. Was er jetzt schon auf seinem Bike drauf hat – Junge, Junge, ein Knirps mit großem Potential. Eine Halle weiter geht es deutlich rasanter zu. Hier fliegen die BMX-, Cross- und Downhiller um die Wette. Spektakulär, was die Burschen drauf haben. Auf einem aus Holz gezimmerten Rundkurs heben sie ab und zeigen atemberaubende Sprünge. Nur wenige Meter daneben gibt es als extremen Kontrast „Slowbiking“ für Jedermann. Eine zehn Meter lange Strecke gilt es mit Hollandrädern möglichst langsam zu absolvieren. Ich versuche es und bin stolz, mich in rund einer Minute über die Strecke zu zittern. Danach kommt ein Typ und braucht viel länger: 2,24 Minuten – ein Trackstand-Profi? Mitnichten. Er habe nicht geübt, versichert der Langsam-Biker glaubhaft.
Der Himmel über Berlin: BMXler hoch in der Luft


Zurück im Gewühl der Haupthalle konzentrieren wir uns jetzt auf die „Hardware“, also Fahrräder und Fahrradteile. Vor allem Retro-Fahrräder mit klassischem Aussehen scheinen im Trend zu liegen. Jedenfalls sind auf der BFS solche Räder überall ausgestellt. Gleiches gilt für passendes Zubehör wie Spritzschutz aus Holz, trendige Körbe oder Mini-Fahrradlampen mit Magnet. Mag eine kleine LED-Leuchte noch Sinn machen, ist die „Hotelfietsbell“ einer holländischen Firma nur ein Gag. Geklingelt wird wie an der Rezeption durch kräftiges Schlagen auf die Glocke. Der helle Glockenton ist aber eindeutig zu leise, um als wirkungsvolle Fahrrad-Klingel zu funktionieren.
Rezeptionsklingel als Fahrradglocke
Aber das Ding passt dennoch zum Ambiente dieser Ausstellung. Die „Station Berlin“ an der Luckwalderstraße ist ideal für die BFS und zaubert mit ihren Backstein- und Stahlarchitektur genau die richtige Stimmung. Auffällig ist die hohe Zahl an Italienern, die auf der BFS ausstellt. Sie dürften gefühlt den größten Teil neben den Deutschen ausmachen. Warum das so ist? Non lo so! Die Südländer pflegen wohl von jeher eine Leidenschaft zu Fahrrädern. Zu den festen Größen der BFS gehören die Hersteller von Fahrradhelmen, die aussehen wie Mützen oder Hüte. Oder sind es eher gut getarnte Kopfbedeckungen, unter den sich ein Helm verbirgt. Wie auch immer: Die Stände von Ribcap und Helt Pro sind jedenfalls stets gut besucht. Neben großer Zustimmung für diese Art von Kopfschutz gibt es aber auch immer wieder entschiedene Ablehnung.

Nach einer Unterbrechung hat die BFS dieses Jahr auch wieder einen Vintage-Markt ins Programm genommen, der auf dem Innenhof statt findet. Doch regnerisches Wetter lockt nur zwei Aussteller in die vom Veranstalter bereit gestellten Bretterbuden – schade. Ein breites Angebot an historischen Fahrradteilen würde bestens zur BFS passen.
Vintage Markt

Der direkte Kontrast zum Vintage-Markt ist drinnen zu finden. Die Firma Klappstein wagt sich zum ersten Mal in die Öffentlichkeit und präsentiert ein neuartiges Zweigang-Getriebe namens „Dopio“ fürs Tretlager - eine Art Duomatic am Kettenblatt. Außerdem hat das Start Up aus Gotha eine umschaltbare Hinterradnabe entwickelt, die sich er Knopfdruck entweder auf Freilauf oder als fixe Variante schalten lässt. Beide Konstruktionen kombiniert bieten interessante Möglichkeiten für den Einsatz an sportlichen Stadtfahrrädern. Erhältlich ist die Tretlagerschaltung mit Bowdenzug oder ohne. Dann löst einfaches Zurücktreten den Gangwechsel aus.

Gut möglich, dass unser Freund Johnny künftig zu den Kunden dieser innovativen Produkte gehören könnte. Momentan steht der Preis für das Zweigang-Tretlager mit über 500 Euro einer massenhaften Verbreitung noch im Weg. Aber sollten die Fixie-Fahrer die „Dopio“ für sich entdecken, könnte es schnell gehen. Die Fixie-Kultur ist in Berlin besonders stark ausgeprägt, was sich natürlich auch auf der BFS niederschlägt. Einige Fixie-Veranstaltungen bereichern das Rahmenprogramm.

Und wo es um Fixies geht, ist der Hamburger Kultladen „Suicycle“ meist nicht weit. Die Hamburger machen im Fixie-Verrückten Berlin jedenfalls eine gute Figur. Genauso wie Alexa Lethen, die ebenfalls aus Hamburg angereist ist. Alexa ist Produktdesignerin und hat einen cleveren Wandhaken für Fahrräder entwickelt. Für 79 Euro gibt es zwei schicke Bügel, die das Rad elegant an der Wand fixieren. Und auch den Namen des Produktes finde ich sehr gelungen: Hook! Ich haben mir fest vorgenommen, Alexa demnächst in ihrem Büro in der Rothenbaumchaussee aufzusuchen.
Alexa Lethen hat den genialen "Hood" entwickelt

Und dann sind wir plötzlich durch. Sechs Stunden BFS ohne das es auch nur eine Sekunde langweilig wurde. Goodbye Johnny.

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