Ein wunderschöner Backsteinbau mitten in Berlin, entspannte Atmosphäre, Aussteller mit ungewöhnlichen Ideen und jede Menge Fahrradmode - die Berliner Fahrradschau ist die ungewöhnlichste und zugleich schönste Bike-Messe in Deutschland. Ein Rundgang wirkt inspirierend.
Johnny dreht auf. Geschickt
lenkt der Sechsjährige mit den blauen Augen sein zu großes BMX-Rad über die
Hindernisse. Kleine Absätze im Parcours springt er hoch wie die Großen. Dann bremst
er im Sand und berlinert fröhlich drauf los: „Mein Papa fährt dahinten“, sagt
er fröhlich in die Runde. Johnny ist aufgedreht wie ein Flug-Spielzeug mit
Gummimotor. Heute ist sein Tag. Heute hebt er ab. Denn heute ist Fahrradschau.
Genauer: Die Berliner Fahrradschau, auch BFS genannt.
Dufter Typ: Johnny |
Als Hamburger schaue ich
einigermaßen neidisch auf diese schöne Messe in unserer Hauptstadt. So eine
Ausstellung gibt es an der Elbe leider nicht. Dafür reicht das Potential (noch)
nicht aus. Berlin ist da weiter, pflegt inzwischen eine bunte urbane
Fahrradkultur mit mehreren Teil –und Unterbereichen.
Fahrradmode aus Prag |
Kein Wunder also, dass vor allem Bekleidung und Zubehör stark auf der BFS vertreten sind. Unter dem Sammelbegriff Velo Couture gibt es viele Stände, die sich mit Klamotten rund ums Fahrrad beschäftigen. Dazu gehört unter anderem die Firma 222, die ökologisch hergestellte Radsachen anbietet und so ein Zeichen gegen chemisch hergestellte Funktionskleidung setzen will.
Jeans mit Verstärkungen aus altem Fahradschlau |
Regenjacke als Frack |
Spannend auch der Stand einer groß gewachsenen Designerin aus Irland, die zum Beispiel orange leuchtende Regenjacken in Form eines Fracks mit geschnürten Armen ausstellt. Hochwertig und stylisch wirken die Sachen einer tschechischen Klamottenmarke, die radfahrergeeignete Jeans mit Applikationen aus recycelten Schläuchen zeigt. Recycling und Nachhaltigkeit liegt ohnehin im Trend. Brooks präsentiert neben seinen Leder-Klassiker dem Zeitgeist folgend auch Sättel aus Stoffmaterial, also frei von tierischen Produkten. Ob ein veganer Fahrradsattel allerdings wirklich die Welt verbessert, ist eine andere Frage.
Trail-Sportler in Aktion |
In der Aktionshalle dreht
Johnny noch immer munter Runde um Runde. Inzwischen hat sein Vater den
schwierigen Trail-Kurs absolviert, besser ausgedrückt: Er hat versucht ihn
komplett abzufahren. Der Parcours hat es wahrlich in sich. Wer die hohen
Hindernisse aus dicken Baumstämmen, Betonröhren und allerlei verwinkelter
Hürden erblickt, mag nicht glauben, dass sie mit einem Fahrrad zu befahren
sind. Aber es funktioniert. Mit kurz, aber laut quitschenden Bremsen, hüpfen, springen
und wuchten sich die Sportler samt Trail-Bike von Hindernis zu Hindernis. Dabei
versuchen sie möglichst auf den Pedalen zu bleiben. Einen Sattel haben diese
Spezialbikes nicht. Wird ein Fuß zu Hilfe genommen, zählt ein Kampfrichter das
als Fehler. „Drei Füße“, ruft eine Jurorin als ein Teilnehmer den Kurs
verlässt. Ach, und weil das noch nicht schwer genug ist, läuft auch noch die
Stoppuhr mit. Eine packende Radsportdisziplin, bei der man ewig zuschauen kann,
ohne dass es langweilig wird.
Trail-Biker trotzen der Schwerkraft |
Wenn Johnny so weiter macht,
dürfte er in ein paar Jahren zur Weltelite gehören. Was er jetzt schon auf
seinem Bike drauf hat – Junge, Junge, ein Knirps mit großem Potential. Eine
Halle weiter geht es deutlich rasanter zu. Hier fliegen die BMX-, Cross- und
Downhiller um die Wette. Spektakulär, was die Burschen drauf haben. Auf einem
aus Holz gezimmerten Rundkurs heben sie ab und zeigen atemberaubende Sprünge.
Nur wenige Meter daneben gibt es als extremen Kontrast „Slowbiking“ für
Jedermann. Eine zehn Meter lange Strecke gilt es mit Hollandrädern möglichst
langsam zu absolvieren. Ich versuche es und bin stolz, mich in rund einer
Minute über die Strecke zu zittern. Danach kommt ein Typ und braucht viel
länger: 2,24 Minuten – ein Trackstand-Profi? Mitnichten. Er habe nicht geübt,
versichert der Langsam-Biker glaubhaft.
Zurück im Gewühl der
Haupthalle konzentrieren wir uns jetzt auf die „Hardware“, also Fahrräder und
Fahrradteile. Vor allem Retro-Fahrräder mit klassischem Aussehen scheinen im
Trend zu liegen. Jedenfalls sind auf der BFS solche Räder überall ausgestellt.
Gleiches gilt für passendes Zubehör wie Spritzschutz aus Holz, trendige Körbe
oder Mini-Fahrradlampen mit Magnet. Mag eine kleine LED-Leuchte noch Sinn
machen, ist die „Hotelfietsbell“ einer holländischen Firma nur ein Gag.
Geklingelt wird wie an der Rezeption durch kräftiges Schlagen auf die Glocke.
Der helle Glockenton ist aber eindeutig zu leise, um als wirkungsvolle
Fahrrad-Klingel zu funktionieren.
Aber das Ding passt dennoch
zum Ambiente dieser Ausstellung. Die „Station Berlin“ an der Luckwalderstraße
ist ideal für die BFS und zaubert mit ihren Backstein- und Stahlarchitektur
genau die richtige Stimmung. Auffällig ist die hohe Zahl an Italienern, die auf
der BFS ausstellt. Sie dürften gefühlt den größten Teil neben den Deutschen
ausmachen. Warum das so ist? Non lo so! Die Südländer pflegen wohl von jeher
eine Leidenschaft zu Fahrrädern. Zu den festen Größen der BFS gehören die
Hersteller von Fahrradhelmen, die aussehen wie Mützen oder Hüte. Oder sind es
eher gut getarnte Kopfbedeckungen, unter den sich ein Helm verbirgt. Wie auch
immer: Die Stände von Ribcap und Helt Pro sind jedenfalls stets gut besucht.
Neben großer Zustimmung für diese Art von Kopfschutz gibt es aber auch immer
wieder entschiedene Ablehnung.
Nach einer Unterbrechung hat
die BFS dieses Jahr auch wieder einen Vintage-Markt ins Programm genommen, der
auf dem Innenhof statt findet. Doch regnerisches Wetter lockt nur zwei
Aussteller in die vom Veranstalter bereit gestellten Bretterbuden – schade. Ein
breites Angebot an historischen Fahrradteilen würde bestens zur BFS passen.
Der direkte Kontrast zum
Vintage-Markt ist drinnen zu finden. Die Firma Klappstein wagt sich zum ersten
Mal in die Öffentlichkeit und präsentiert ein neuartiges Zweigang-Getriebe namens
„Dopio“ fürs Tretlager - eine Art Duomatic am Kettenblatt. Außerdem hat das
Start Up aus Gotha eine umschaltbare Hinterradnabe entwickelt, die sich er
Knopfdruck entweder auf Freilauf oder als fixe Variante schalten lässt. Beide
Konstruktionen kombiniert bieten interessante Möglichkeiten für den Einsatz an
sportlichen Stadtfahrrädern. Erhältlich ist die Tretlagerschaltung mit
Bowdenzug oder ohne. Dann löst einfaches Zurücktreten den Gangwechsel aus.
Gut möglich, dass unser Freund
Johnny künftig zu den Kunden dieser innovativen Produkte gehören könnte.
Momentan steht der Preis für das Zweigang-Tretlager mit über 500 Euro einer
massenhaften Verbreitung noch im Weg. Aber sollten die Fixie-Fahrer die „Dopio“
für sich entdecken, könnte es schnell gehen. Die Fixie-Kultur ist in Berlin
besonders stark ausgeprägt, was sich natürlich auch auf der BFS niederschlägt. Einige
Fixie-Veranstaltungen bereichern das Rahmenprogramm.
Und wo es um Fixies geht, ist
der Hamburger Kultladen „Suicycle“ meist nicht weit. Die Hamburger machen im
Fixie-Verrückten Berlin jedenfalls eine gute Figur. Genauso wie Alexa Lethen,
die ebenfalls aus Hamburg angereist ist. Alexa ist Produktdesignerin und hat
einen cleveren Wandhaken für Fahrräder entwickelt. Für 79 Euro gibt es zwei
schicke Bügel, die das Rad elegant an der Wand fixieren. Und auch den Namen des
Produktes finde ich sehr gelungen: Hook! Ich haben mir fest vorgenommen, Alexa
demnächst in ihrem Büro in der Rothenbaumchaussee aufzusuchen.
Alexa Lethen hat den genialen "Hood" entwickelt |
Und dann sind wir plötzlich
durch. Sechs Stunden BFS ohne das es auch nur eine Sekunde langweilig wurde. Goodbye Johnny.
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