Dienstag, 19. August 2014

Meine Zeitung kommt per Klapprad

Mist, keine Zeitung im Briefkasten. So meine erste Reaktion als ich heute morgen weder SZ noch taz wie erwartet im Briefkasten vorfinde. Gleich mal deftig beim Abo-Service beschweren. Doch dann rollt plötzlich Karl-Heinz mit seinem 70er Jahre Klapprad vor die Tür. In den Satteltaschen hat er meine Zeitungen, die er normalerweise zwischen vier und sechs Uhr anliefert. Morgens in aller Frühe versteht sich. Heute geht es ihm nicht gut. Er hustet. Karl-Heinz wirkt angeschlagen. Sein Job ist hart und der Lohn niedrig, wie ich bei einem kurzen Klönschnack erfahre.


Auf den ersten Blick sieht Karl-Heinz aus, als arbeite er bei Müllabfuhr oder Stadtreinigung. Er trägt eine orangene Leuchtjacke und -hose - das typische Outfit der Straßenarbeiter, die bei Wind und Wetter draußen malochen. Doch Karl-Heinz ist nicht bei der Mülle und auch nicht in Diensten der Stadt. Karl-Heinz ist Zeitungszusteller in Hamburg-Wilhelmsburg, ein hartes Pflaster und ein noch härterer Job.

Davon erzählt sein furchiges Gesicht mit dem weißen Bart. Auf dem Kopf sitzt eine Basecap mit Störtebeker-Schriftzug. Auf den Handrücken sind verblichene Tatoos zu erkennen - Abzeichen einer Vergangenheit, die sich kaum an der Elbchaussee oder Alster abgespielt hat. ährend er erzählt, muss Karl-Heinz wiederholt husten. "Astma", sagt er trocken und zieht wie zum Beweis ein kleines Sprühfläschen aus der Tasche.

So wie Karl-Heinz sehen Menschen aus, die schon einiges erlebt haben. Und das, was sie erlebten, spielte meist mehr im Schatten als in der Sonne. Trotzdem wirkt Karl-Heinz zufrieden. Weder über das nass-kalte Wetter mag er meckern, noch über die frühen Arbeitszeiten. Nur das unser Aufzug gerade nicht funktioniert, finde er nicht gut. "Der fährt nur hoch, nicht runter", meint er lächelnd. "Stimmt, umgekehrt wäre aber noch blöder", antworte ich. Nun wird aus seinem Lächeln sogar ein Lachen.

In der Regel arbeitet mein Zeitungsmann vier bis fünf Stunden pro Tag, auch samstags. Am Monatsende überweist ihm sein Arbeitgeber dafür knapp 400 Euro - ehrliches und sehr hart verdientes Geld, finde ich. 24 Tage á fünf Stunden macht 120 Stunden pro Monat. 440 durch 120 ergibt einen Stundenlohn von rund 3,30 Euro. Wird nicht gerade in der Politik über den Mindestlohn gestritten? Ich werde es jedenfalls künftig mehr zu schätzen wissen, wenn ich morgens zum Frühstück meine Zeitung aus dem Briefkasten hole.


Dann kommen wir auf sein Fahrrad zu sprechen. Das hat sogar die legendäre Duomatic von Fichtel und Sachs. Doch das interessiert Karl-Heinz nicht sonderlich. "Ich brauche nur einen Gang", sagt er. Auch bei seinem Rad ist der Mann genügsam. Den Lenker hat er mit zwei Deutschlandfahnen verziert. Die gab es während der Fußball-WM beim Billigshop TEDI für einen Euro erzählt er und zeigt auf die rechte Flagge. Im gelben Stoff sind lauter kleine Brandlöcher. ""Von meiner Zigarette", schmunzelt Karl-Heinz.

Auf dem goldenem Metalliclack des 24-Zoll-Klapprades steht der Schriftzug "Super Star". Ich finde, dieser Markenname passt nicht nur zu seinem Rad, sondern noch besser zu seinem Fahrer. 

1 Kommentar:

  1. Was für ein Typ. Habe ihn schon öfter in Willyburg gesehen und mich gefragt, welche Aufgabe er hat. Jetzt bin informiert, zufällig. Seine Entlohnung empfinde ich übrigens auch als unzureichend.
    Vielen Dank für deinen Bericht

    Gruß DÜRC

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