Sonntag, 16. November 2014

Aus dem Fuhrpark XI: Moulton Mk1 - geliebt und gefedert!


VORHER!

Darf ich vorstellen: mein Moulton mit dem legendären F-Frame von 1964. Ein echtes Sammlerrad, das in Deutschland eher rar ist. Dass ich so ein Schätzchen habe freut mich und macht mich ein klein wenig stolz. Denn um es in einen fahrbaren Zustand zu bringen, musste ich etliche Stunden daran schrauben. Ich finde, es hat sich gelohnt. Denn so ein Moulton ist ohne Zweifel ein Meilenstein der Fahrradgeschichte. Und wie ich dazu kam, hoffentlich eine lesenswerte Geschichte.

NACHHER!


Auslöser, nach einem Moulton der ersten Generation zu suchen, waren die Cyclassics 2014. Statt wie üblich mit einem modernen oder Vintage-Rennrad zu starten, fuhr ich die 100-Kilometer-Distanz dieses Jahr auf einem aktuellen Moulton TSR 2  mit dem filigranen Gitterrohrrahmen, das mir freundlicherweise der deutsche Moulton-Importeur Holger Hammel zur Verfügung stellte. Ein Erlebnis, der besonderen Art. So ein Moulton gilt als besonders schnell; trotz 16-Zoll-Rädern und Federung soll es Rennradqualitäten haben. Nun, diese Einschätzung konnte ich auf dem Radrennen nicht ganz teilen, aber das Gerät macht wahnsinnig viel Spaß und so war der Moulton-Virus übertragen.

Schon aus meinen Tagen mit meinem alten Mini Cooper war der Name Moulton ein Begriff. Hatte Dr. Alex Moulton doch die Gummifederung für dieses legendäre Auto entwickelt. Die Kombination aus Gummi und Stahl, um damit Fahrzeugen eine Feder-Dämpfer-Einheit zu verpassen, war seine große Spezialität. In einen sehr schönen Moulton-Film ist zu sehen, wie der Konstrukteur das Rad entwickelt und auch fährt. Nachdem ich die Rennversion des Moulton F-Frames in diesem historschen Streifen gesehen habe, war es komplett um mich geschehen. So ein frühes Moulton musste her!
Die Moulton F-Frame Modelle im Überblick
Nur, wo kriegt man so ein Ding? In Deutschland sind sie nicht oder kaum zu bekommen. Also in England, wo sonst? Eine Suche auf der britischen E-Bay-Seite brachte gleich mehrere viel versprechende Ergebnisse. Doch alle Anbieter schließen den Versand nach Deutschland aus, warum auch immer. Bleibt also nur, mein Moulton persönlich abzuholen. Nachdem ich mich bei dem Anbieter eines blauen Deluxe (das Spitzenmodell) nach Wohnort (London) erkundigt habe, biete ich fleißig mit. Die E-Bay-Fotos zeigen ein ziemlich verrostetes Exemplar; aber es ist komplett und laut Beschreibung ein "nice project-bike", was etwa die charmante Umschreibung für eine größere Fahrrad-Baustelle ist. Egal, nach genauem und mehrfach wiederholtem Studium der Bilder bin ich entschlossen, bis 100 Pfund mitzubieten - für ein verrostetes Projektrad eine stolze Summer, aber hey, ich will ein Moulton. Unbedingt!
Abholung bei Bobs Bikes in London: Bob ist der Typ in der
Mitte. Auf den ersten Blick sieht mein Moulton, na sagen
wir mal, okay aus.

Darum steigere ich mit und kriege tatsächlich den Zuschlag bei 90 Euro. Anschließend gehen ein paar Mails hin und her: Der Verkäufer ist die nächsten Tage nicht da, gibt das Moulton bei Bobs Bikes in der Londoner City ab.

Ab auf die Insel, London ist immer eine Reise wert. Moultons haben zwar kleine Räder, aber ein langen Radstand. Zur Abholung kommt darum nur ein größeres Auto in Frage. Über Holland, Belgien und Frankreich setze ich von Dünkirchen mit einem Skoda Octavia Combi nach Dover über. Nicht ganz billig, so ein Wochenendtrip nach England. Was tut man nicht alles für ein Moulton? Der berüchtigte Verkehr in der englischen Hauptstadt hält sich am Samstag zum Glück in Grenzen, und Bobs Bike liegt außerhalb der Maut-Zone. Bislang war alles ein Kinderspiel. Und als ich den Radladen von Bob ebenfalls rucki zucki finde, bin ich total happy.

Kaum drin, überreicht mir Bob das, sagen wir mal, stark patinierte Moulton Deluxe. Es stammt aus dem Jahr 1964, wie ich der Prägung am Sattelrohr entnehmen kann. Der weißblaue Rahmen und die Schutzbleche sind übersät mit starkem Flugrost. Auch der lange Seitenständer ist total verrostet, die Bremsen fest. Besonders schlimm hat es die kleinen 16-Zoll Stahlräder erwischt: Rost statt Chrom, an einigen Stellen sogar Durchrostungen mit größeren Löchern. Ob die zu retten sind? Die Dunlop-Reifen in der Größe 349 sind nur noch eine klebrige Masse. Eigentlich ein Häufchen Elend, was da vor mir steht . Trotzdem bin ich happy. Ab jetzt bin ich Moulton-Eigner, auch wenn es noch nicht rollt. Aber das kriege ich hin.
Bevor das Rad in meinem Skoda-Kofferraum landet,
schnell noch einen Schnappschuss mit einem ähnlich
alten Zeitgenossen aus englischer Produktion. Der MGA
lange der meistverkaufte Roadster der Welt; das
Moulton ebenfalls ein großer Verkaufs- und Design-
Erfolg 

Ab in den Kofferraum damit. Aber natürlich bleibe ich noch etwas in London und erkunde die City mit dem Brompton-Leihrad. London ist eine supercoole Stadt. London ist zur Radfahrmetropole geworden. London ist in jeder Beziehung faszinierend. Ich mag London.

Mit meinem Moulton im Kombi-Kofferraum fahre ich am nächsten Tag gut gelaunt nach Deutschland zurück. Natürlich war der Trip nicht billig: Sprit, Kosten für die Fähre, Übernachtung, Verpflegung - da kommt einiges zusammen. Ein Wochenende in London ist das Geld aber allemal wert. Und als Zugabe habe ich nun mein Moulton im Auto - ich bereue keinen Penny.

Zuhause angekommen stelle ich das Schätzchen erst einmal in die Ecke und lese etwas über die Historie dieses Rades. Literatur gibt es reichlich; am besten sind die Bücher von Tony Hadland. Tony ist auch bei den Moultoneers aktiv, dem offiziellen Club der Moulton Fans, und ist dort für die Clubzeitschrift zuständig. Fehlen seltene Teile? Kein Problem. Über den Club ist vieles noch zu beziehen. Das macht mich zuversichtlich für die anstehende Renovierung. Vor allem die 4-Gang-Sturmey-Archer-Nabe und die vordere Federung sollen, speziell beim Zerlegen und bei Defekten, ihre Tücken haben. Ersatzteile sind vor allem für die Nabe rar.
Stark verrostetes Felgenbett. Die Löcher habe
ich mit Silikon aufgefüllt 

Darum beschäftige ich mich als erstes mit diesen beiden neuralgischen Komponenten. Und siehe da: Die Federung ist in Ordnung, die Freilaufnabe wird gesäubert und dann kräftig durch den Helmöler und die beiden Achseingänge mit Schmiermittel geflutet. Auch sie scheint zu funktionieren und alle vier Gänge sind intakt. Wie gut sie wirklich ist, kann allerdings erst eine Probefahrt zeigen.


Bei Renovierungsbeginn ein eher
trauriger Anblick
Die Teilzerlegung geht gut von
der Hand
Die SA-Nabe ist ein bemerkenswertes Stück Technik. Sturmey hat sie schon in den Vorkriegs-Jahren rausgebracht. Ich finde die Briten waren damals führend in der Getriebenaben-Technik und der deutschen Konkurrenz Fichtel & Sachs voraus.

Im Zentrierständer drehe ich aus beiden Rädern die leichten Seitenschläge raus. Nun fehlen noch die Reifen. Dunlop-Gummis in ETRO 349 - 37 gibt es leider nicht mehr; nur Schwalbe in der Dimension 349 - 32, also etwas schmaler und leider mit einem auffälligen Reflexstreifen auf der Seitenwand. Nun, ich hätte schon gerne die Originalreifen. Weil sie wie der Rest des Rades aus Great Britain kommen.

Denn das ist erstaunlich: Am Moulton ist wahrlich jede Schraube, jedes Teil, einfach alles aus englischer Produktion. Selbst die massiven Pedalachsen tragen die Aufschrift Made in England. Ja, in den 60ern war Engineering und lokale Produktion auf der Insel noch ein großes Thema.
Das Tretlager nach dem Ausbau

Nach den Rädern widme ich mich dem Rahmen. Soll ich ihn nackig machen und neu beschichten? Nein, ich entscheide mich dafür, ihn so gut wie möglich zu reinigen, aber seine Patina zu erhalten. Zwar sehen die einst weißlackierten Gepäckträger vorn und achtern mit ihrem braunen Rostverfärbungen besonders traurig aus, aber eine Teillackierung würde es eher noch schlimmer machen. So gehe ich nur hier und da mit feinem Sandpapier über die besonders verrostete Stellen. Viel nützt es nichts; immerhin wirkt das Rad jetzt etwas sauberer. Erstaunt bin ich darüber, dass auch das hintere Federelement problemlos seinen Dienst tut. Nach 50 Jahren hätte ich erwartet, dass das Gummi porös ist. Ist es aber nicht, sondern federt einwandfrei. Vielleicht gönne ich diesem Teil demnächst noch etwas Talkumpuder.
Zerlegtes Moulton-Pedal
Da kann ich nur hoffen,
dass am Ende keine
Tretlager-Kugel fehlt

 Okay, Räder vorn und hinten drehen mit neuen Reifen, die Federung ist intakt, Rahmen und Gabeln ohne Beschädigungen - ich kann das Moulton wieder zusammensetzen. Leider ist der weiße Originalsattel Schrott. ER war nur am Deluxe montiert. Am Standard-Modell wurde ein einfacherer Sattel verbaut. In meiner Ersatzteilsammlung finde ich einen schönen, schwarzen Brooks, der einen perfekten Ersatz ergibt. Eigentlich wollte ich auch eine neue Kette montieren, doch nach Säuberung der alten und nach deren Musterung (keine Längung) kommt sie wieder rauf, denn eine so qualitativ massive Kette habe ich lange nicht gesehen.

Alles lässt sich problemlos montieren und ich bin erstaunt, wie schnell das geht. Einzig das Alu-Einstellrädchen auf dem Schaltkettchen aus Stahl lässt sich nicht mehr drehen. Trotzdem scheinen alle vier Gänge schaltbar.

Und dann ist er da, der große Moment der Probefahrt: Wie wird sich das F-Frame-Moulton fahren? Erleuchtung oder Enttäuschung?
Die SA-Nabe hat vier Gänge
Gründliche Reinigung des Kettenblattes aus Stahl
 Der Zeitpunkt ist ungünstig. Es regnet und ist trüb. Aber jetzt will ich es wissen und schieb das Rad auf die Straße. Lenker und Sattelhöhe sind korrekt auf mich eingestellt. Los geht's. Im vierten Gang rolle ich langsam mit mässigem Krafteinsatz vorwärts. Wunderbar, nichts klappert oder hat Spiel. Das ist schon mal gut. Nun die Schaltung durchtesten: Ich drück am Klickschalter, sofort wechselt der Gang von vier auf drei. Meine Trittfrequenz wird merklich höher. Geil!

Gleich nochmal schalten: Zweiter! Auch da funktioniert tadellos. Ich bin happy. Fehlt noch der erste Gang, der so genannte super low gear. Der gilt als besonders einstellintensiv. Dazu muss der Klickschalter mit viel Kraft nach unten gedrückt werden. Dabei kollidiert er leicht mit der Lenkstange. Noch mehr Druck. Klick! Drin! Tatsächlich drin, denn mein Tritt wird noch leichter. Wahnsinn! Alle vier Gänge lassen sich schalten und funktionieren. Große Glücksgefühle! Was gibt es Schöneres als ein kaputtes Rad zu reparieren und anschließend bei der Probefahrt festzustellen, das alles funktioniert? Das spricht für die Qualität des Moulton und ein ganz kleines bisschen auch für meine Fähigkeiten als Fahrrad-Schrauber.
Liebe zum Detail: Die klassische Rennklingel ziert das Moulton-Logo

Einzig das Kettenschutzblech gilt es auszurichten. Es macht leichte Schleifgeräusche am rechten Pedalarm. Fünf Mal oder so muss ich leicht biegen und drücken. Dann ist auch dieses Problem erledigt. Das Moulton ist fit für die große Tour. Es gibt nichts mehr zu tun. Gut, ich könnte eine Lichtanlage nachrüsten. Aber eine Nachttour habe ich zunächst nicht vor. Schön wären die beiden Originaltaschen. Doch die werden extrem teuer gehandelt. Wahrscheinlich werde ich noch die Bremsbeläge erneuern, denn die Verzögerung vorn wie hinten könnte deutlich besser sein.
Der Klickschalter macht ein tolles Geräusch. Für den ersten Gang ganz unten ist viel
Krafteinsatz nötig.
Das Geheimnis des Moulton ist die Kombination aus kleinen
Hochdruck-Reifen und Vollfederung. Dadurch rollt es nicht
nur komfortabel, sondern auch extrem wendig und ähnlich
sportlich wie ein Rennrad.
Mein Moulton im aktuellen Zustand: Die Mechanik funktioniert tadellos. Alle Lager sind ohne Spiel und schön
leichtgängig. Den kaputten Original-Sattel habe ich gegen ein passendes Exemplar von Brooks ausgetauscht. Front- und -heckträger sowie der Rahmen sind leider ziemlich vom Oberflächen-Rost gezeichnet. Oder nennen wir es Patina? Immerhin ist das Rad 50 Jahre alt. Sehr originell finde ich den Seitenständer; es dürfte der längste Ständer der Fahrrad-Geschichte sein. Gerne hätte ich die beiden Original-Taschen, die vorn und hinten montiert werden. Auch die optionale SA-Dyno-Hub steht samt Front- und Rückleuchte auf der Wunschliste. Das Deluxe-Topmodell ist übrigens am zweifarbigen Sattel- und Steuerrohr erkennbar. Die Moulton-Fans nennen das Billard-Queue-Look, weil der Stil in der Tat an einen Queue erinnert. Unter Fahrrad-Historikern gilt das F-Frame-Moulton deshalb als etwas Besonderes, weil sein Design mit dem gängigen Diamant-Rahmen-Konstruktionsprinzip bricht und auf winzige Räder setzt. Es war nach den Hochrädern die erste revolutionäre Änderung im Fahrradbau.

3 Kommentare:

  1. Danke für die schöne Geschichte! Mit lechzendem Blick betrachte ich nun schon minutenlang die Bilder. Da erkennt man wirkliche Qualität. Und das Gefühl ein Stück Radgeschichte in der Garage zu haben und noch dazu eine so besondere... beneidenswert! Viel Freude beim Anschauen und Fahren!

    PS: Im fahrstil-Magazin Nr.3 findet sich eine äußerst lesenswerte Reportage über den Alex Mouton.

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  2. Hallo David, danke für den Hinweis auf den Fahrstil-Beitrag. Gleich mal das Heft raussuchen.

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  3. Ein Tipp: Der Viergang ist eigentlich ein Fünfgang, die Ansteuerung wurde bloß vereinfacht um mit einem Hebel auszukommen. Die meisten Teile sind mit dem späteren Fünfgang ab '66 bis Anfang der 90er austauschbar. Falls einfach ölen mal nicht reicht.

    Es war wohl auch zeitweise beliebt, den Viergang zum Fünfgang aufzurüsten. So habe ich hier einen Viergang mit eingebautem Nabendynamo (!) mit der Achse und den Schalthebeln eines defekten Fünfgangs verheiratet.

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