Montag, 26. Oktober 2015

Aus dem Fuhrpark XV: Es leben die 70er Jahre - Flokati-Fahrräder mit Bonanzarad-Touch



Ob Ford Capri, Pril Blumen, Schlaghosen, schreiende Farben, Flokati-Teppiche oder natürlich das orangefarbene Bonanzarad - die 70er Jahre haben tiefe Spuren im Gedächtnis unserer Nation hinterlassen. Und da der Mensch dazu neigt, Schlechtes zu vergessen wird die Helmut-Schmidt-Dekade heute gerne romantisch verklärt. Flüchtlinge kamen nur vereinzelt aus der DDR; ansonsten war viel Lebensfreude und Party. Zur bunten Republik Deutschland gehörten unter anderem auffällig undezent lackierte Klappräder, für die ich eine besondere Schwäche hege. Besonders begehrenswert finde ich diverse Sonderformen wie Klapp-Tandems, Bonanza-Klappräder (so genannte "Bonappis") und lustige Kleinräder wie diese beiden Exemplare: das Jumbo Jet und das Wigro Klapprad im Bonanzarad-Stil.


Wo findet man so etwas? Das werde ich öfter gefragt. In diesem Fall ist die Antwort einfach: auf Flohmärkten. Zumindest trifft das für das orangefarbene Wigro-Klapprad zu. Es stammt aus dem Fundus von Suicycle und wurde bei ersten Fahrradflohmarkt im Haus 3 in Hamburg Altona angeboten. Allerdings in einem sehr traurigen Zustand. Trotzdem musste ich es haben - auch ohne zu wissen, ob man dafür noch Reifen in der Dimension 16 -2,25 kriegt. Ich hab das Ding nach dem Kauf aufgemöbelt, einen neuen Hinterreifen dafür gekriegt und bin das Wigro bei der ADFC Sternfahrt 2014 unter anderem über die Köhlbrandbrücke gefahren - ein großer Spaß.

Ansonsten steht es gerne im Wohnzimmer, sorgt immer wieder für Gesprächsstoff bei Besuchern und macht mir als Designobjekt einfach viel Spaß.

Der Markenname Wigro steht übrigens für Wilhelm Grohmann. Grohmann war ein Metallhändler in Kiel, der auch Fahrräder unter seinem Namen produzierte. Oder zumindest sein Wigro-Kürzel auf die Rahmen klebte. Auf dem Sattelrohr trägt mein kleines Klappi zudem das Prädikat "High Class". Das ist schon unfreiwillige Komik bei einem Minirad mit 16-Zoll-Bereifung. Besonderer Clou neben dem teilbaren Rahmen ist die zentrale Schraubenfeder, die den Hinterbau flexibel macht. Dämpfung? Fehlanzeige!

Das Ding wippt bei kräftigem Tritt sehr lustig unterm Hintern auf und ab. Wie so oft in den 70ern: Technik und Look sollen irgendwie an sportliche Autos, geländegängige Motorräder oder gar Motorsport erinnern. Inspiert aus dieser Richtung scheint auch die winzige Gabel zu sein, der eigentlich nur kleine Fake-Federn fehlen, um die sportive Illusion perfekt zu machen. Bei Bonanzarädern und Klappis sind solche falschen Federungen ja gerne zu finden.
Hinten ist es eine winzige Sissybar, die mit Easy-Rider-Attributen versucht, die große Freiheit der Landstraße in die Fahrradwelt zu holen - sehr drollig. Ich habe meiner Sissybar einen kleinen Fuchsschwanz spendiert. Warum der vor 45 Jahren gerne an Manta-Antennen baumelte hab ich allerdings vergessen. Ein wahres Kunstwerk ist der Hebie-Kettenschutz. Er hat eine dynamisch geschwungene Form. Durch seine Aussparungen und Linienführung wirkt er wie ein züngelnde Flamme - wahrscheinlich so eine Art Auspuffersatz. Ganz klar: Für mich ist dieses kleine Wigro eine Designikone, die Zeitgeist und Lebensgefühl der 70er wieder spiegelt. Es wurde übrigens nicht nur als Wigro verkauft, sondern zumindest auch unter dem Namen "Europa".

Bei der Suche nach Infos über mein Wigro stolperte ich irgendwann zwangsläufig über den Namen "Jumbo Jet". Dieses Exemplar ist deutlich größer als das Wigro, hat keinen Klapp- oder Zerlegemechanismus, dafür aber einen größeren, sehr eigenwilligen Rahmen, der auch Erwachsenen problemloses fahren ermöglicht.

In zeitgenössischen Anzeigen wurde das Jumbo Jet auch als "Universalrad" vermarktet. Anders als das Wigro hat der Rahmen eine derart abgefahrene Geometrie, dass es heute zwangsläufig zu den gesuchten Fahrrad-Sammlerstücken gehört. Kein Wunders also, dass ein Jumbo Jet zur kürzlich aufgelösten Embacher Collection zählte. Der Verkaufspreis betrug übrigen 300 Euro.
Erstaunlich sind die Gemeinsamkeiten mit dem deutlich kleineren Wigro. Nicht nur 16-Zoll-Felgen und -Reifen sind identisch, sondern auch Federelement, Kettenschutz, Schutzbleche, die niedliche Sissybar und der Gepäckträger sowie der gefederte Mertens-Kunststoffsattel. Offenbar wurden diese Komponenten in einer Art Baukasten-System gefertigt und in verschiedene Rahmen verbaut.

Wie beim Wigro fehlt der Feder die Dämpfung, so dass der Jumbo Jet ein eher nachgiebiges Abrollverhalten an den Tag legt. Da mein Exemplar aber mit einer Duomatic-Hinterradnabe bestückt ist, bin ich immer wieder verwundert, wie zügig es sich mit dem Jumbo Jet fahren lässt. Selbst Strecken von 20 Kilometern bewältigt das Rad ohne störende Nebenwirkungen.

Einer unbestätigten Legende zu Folge entstand der Name Jumbo Jet übrigens dadurch, dass dieses Rad Gästen des Jungfernfluges der Boing 747 (Volksmund: Jumbo Jet) geschenkt wurde. Kann das wirklich sein? Ich meine nein. Die 747 absolvierte ihren Erstflug 1969 und wurde ein Jahr später offiziell in Dienst gestellt. Das Rad dagegen wirkt wie ein Fahrrad aus der Mitte der 70er Jahre. Aber ich mag mich da täuschen. Das Jumbo Jet Rad ist ein ziemlich deutsches Produkt, eher wenig international. Eine Verbindung zum amerikanischen Unternehmen Boing scheint mir daher unwahrscheinlich. Aber wer weiß? Vielleicht wurde es ja für den ersten Lufthansa-Flug mit dem Jumbo Jet verschenkt oder verlost. Sollte jemand unter den Lesern sein, der hier sachdienliche Hinweise liefern kann, bitte unbedingt melden. Die Geschichte des pedalgetriebenen Jumbo Jets sollte endlich erforscht werden.

Wie auch immer: Auf Fotos habe ich mich ziemlich in den Jumbo Jet verliebt. Irgendwann lief mir dann eine Internet-Kleinanzeige über den Weg, in der ein Jumbo Jet angeboten wurde - ziemlich original und in gutem Zustand. Ich schlug zu und statt Jumbo Jet zu fliegen, fahre ich jetzt damit. Einer der Vorbesitzer hat ihm einen zweiten Dynamo vorne spendiert, um den Frontscheinwerfer zu speisen. Ich werde das auf original zurück rüsten. Das Stromkabel habe ich bereits mit einigem Gefummel durch den Rahmen vom Hinterraddynamo nach vorn geführt (wahrscheinlich der Grund, warum ein zweiter Dynamo montiert wurde). Auch die Melas-Schalterlampe ist nicht original, passt aber gut zum Rad und bleibt dran. Der Rest? Einfach wunderbar.




3 Kommentare:

  1. Moin Moin, sehr schöne Radln! Sicher immer ein Blickfang! Allerdings eine Anmerkung: Im Text ist immer wieder von 12-Zoll-Rädern die Rede. Ich meine, es sind doch auf beiden Radln 16-Zoll Räder drauf, oder? Viele Grüße und weiter Gute Fahrt!

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  2. Hallo
    Ich habe gerade heute so ein Fahrrad ( Jumbo Jet )in einen guten Zustand gekauft.Es lässt sich sehr gut und leicht fahren wie ein großes Fahrrad.Das einzige was bei meinen Fahrrad anders ist,ist die Vorderlampe die ist eckig wie eine Lampe von Union sonst sehr gut wie Chrom original Reifen einfach alles.Eventuell werde ich es Verkaufen macht einfach ein Angebot

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  3. Hallo Leute ich kaufe mir Montag ein Jumbo Jet in original orange auch mit einer runden Lampe wie von einem User hier erklärt wurde dass es nicht original ist ich freue mich schon eigentlich sammle ich nur Klappräder aber das Jumbo-Jet Rad in 70er Jahre orange ist mir sofort ins Auge gefallen ich zahle Montag natürlich einen angemessenen Preis von 200 € weil es richtig schön ist und noch aussieht wie neu jetzt würde ich gerne von euch wissen sind 200 € zu wenig oder zuviel oder oder oder Gruß Alex habe gerade das Handy von meiner Freundin in der Hand

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