Mittwoch, 4. Mai 2016

Flüchtlinge und Fahrrad: Die grosse Freiheit auf zwei Rädern

Sahar und Ali mit ihren frisch reparierten Flohmarkt-Rädern
Auslöser für diese kurze, aber denk- und berichtenswürdige Begegnung war eine Online-Story des Hamburger Abendblatts. Dort schrieb eine junge Afghanin in der Serie "Angekommen in Hamburg" über ihr Schiksal. Aus ihrer von Bürgerkriegen zerrütteten Heimat ist sie geflohen und machte in Hamburg erstmalig Bekanntschaft mit dem Fahrrad, das sie von wohlmeinenden Gönnern überlassen bekam. Ein Schlüsselerlebnis, denn in Afghanistan ist sie nie Rad gefahren. Es sei für Frauen sogar verboten, berichtet Sahar Raza. Das Fahrrad schenkte ihr nun ein neues Gefühl. Ein Gefühl von Freiheit, von Unabhängigkeit und machte ihr Mut. Dann ging es kaputt: erst das Fahrrad, dann das Gefühl der Unabhängigkeit. Ein Radhändler erklärte das Rad für irreparabel. Das wollte ich nicht glauben, wollte helfen und nahm über die Redaktion mit Sahar Raza Kontakt auf.
Es sollte etliche E-Mails und ein paar Monate dauern, bis wir und treffen, um ihr irreparables Rad instand zu setzen. Wie sich rausstellt, ist das defekte Spendenrad nicht mehr in ihrem Besitz. Statt dessen ein anderes Damenrad vom Flohmarkt mit leichten Schaltungsproblemen. Sahar bringt bei der Gelegenheit ihren Bekannten Ali mit, dessen viel zu kleines Mountainbike ebenfalls Probleme bereitet. Im Hinterrad ist eine Speiche gebrochen. Es eiert. Die Bremse schleift. Da die defekte Speiche leider auf der Ritzelseite liegt und ich keine Speiche in dieser Länge habe, kann ich Ali nur durch grobes nachzentrieren helfen. immerhin läuft das Hinterrad anschließend etwas freier durch die Bremsschuhe - aber so richtig zufrieden bin ich mit dieser Reparatur nicht. Schade.

Anders als bei Sahar. An ihrem Rad sind nur Schaltung und Bremszüge zu Ölen, um für eine leichtgängigere Schaltperformance zu sorgen. Das ist nach wenigen Minuten erledigt. Mir fällt auf, das Sahar zu tief auf ihrem Rad sitzt und biete an, ihr den Sattel höher zu stellen. Sie zögert. Schneller Bodenkontakt mit den Füssen ist ihr wichtig. Wichtiger als eine ergonomisch bessere Sitzposition. Denn noch immer ist Radfahren für sie ein kleines Abenteuer. Aber nach einer Proberunde mit höher eingestelltem Sattel will sie es erstmal so lassen.

Das war's. Ich wünsche Sahar und Ali eine gute Fahrt. Wie verabschieden uns. Wie ihre Zukunft wohl aussehen wird? Werden sie in Hamburg bleiben? Einen Studienplatz bekommen? Eine Wohnung? Oft scheint mir in meinem persönlichem Umfeld vieles ungewiss. Aber mit was für einer Unsicherheit leben Sahar und Ali? Ich habe das Gefühl, ihre Fahrräder sorgen nicht nur für Mobilität, sondern verschaffen ihnen auch Lebensmut.

Als Sahar und Ali am Ende der Strasse immer kleiner werden, muss ich an AfD-Politiker, Pegida-Parolen und die umstrittenen Merkel-Worte denken: "Wir schaffen das", hat sie gesagt. Ein großer Satz. Ein Satz, der vielen Menschen Angst macht. Aber auch ein Satz, der Hoffnung geben kann. Die Hoffnung, das Menschen wie Sahar und Ali eine gute Zukunft vor sich haben, sich gut in unsere Gesellschaft integrieren und sie bereichern. Manchmal sorgen defekte Fahrräder für weitreichende Gedanken.

3 Kommentare:

  1. Hi Jörg,
    man du bist echt ein Guter.
    Danke für deine unermüdliche Hingabe die Welt ein Bisschen besser zu machen.

    Schöne Grüße

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    1. Ach, na ja: Wenn man mit wenig Einsatz auf diese Weise helfen kann, mache ich das gerne und bringt auch mir Freude.

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    2. ist eine gute Idee, mit Fahrräder Flüchtlinge zu unterstützen, Kompliment!

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