Donnerstag, 6. Oktober 2016

Märchenstunde mit Peter Lohmeyer oder: Wie geht es weiter mit der Fahrradstadt Hamburg?

Drischner, Lohmeyer, Lohse und Schwarz diskutieren 
Zur Sache, Hamburg! Straßenkampf in der Hansestadt. An der beliebten Polarisierung Auto- kontra Radfahrer kommt auch die sonst so gelassene ZEIT nicht vorbei und lud heute zu einer öffentlichen Diskussion ins Bucerius Kunstforum. Auf dem Podium: die Redakteure Patrick Schwarz und Frank Drieschner, als Autofahrer-Sündenbock Taxi-Lobbyist Thomas Lohse und Schauspieler Peter Lohmeyer, das Zugpferd des Abends. Denn die "Fahrradpersönlichkeit 2016" erzählt genau das, was die Leute hören wollen: Autos raus aus der Stadt, mehr Rad, ÖPNV, Taxi und Carsharing. Aber ganz so einfach ist das leider nicht.
Klar, der Mann ist Schauspieler. Ein richtig guter sogar. Meisterhaft kann er sich auf sein Publikum einstellen, die Stimmung erspüren und dann die richtigen Worte mit rhetorischem Witz treffen: "Ich bin für die autofreie Stadt", sagt er. Und: "Die blöden SUV verpesten unsere Luft." Und: "Man muss radikal an das Luxusdenken rangehen." Applaus aus dem Saal. Was sonst?

Denn dort sitzt überwiegend das Bildungsbürgertum mit akademischen Hintergrund, ZEIT-Abo, HVV-Proficard und Brompton-Faltrad. Ja ich weiß, dass ich hier ganz tief in die Klischeekiste greife; aber was Wahres ist an der Beobachtung schon dran. Auch das hier und da vornehm an Weingläsern genippt wird passt da ganz gut ins Bild. Wir sind schließlich auf einer Veranstaltung der ZEIT. Und die ist als Medienmarke auf allen ihren Kanälen erfolgreich unterwegs. Auch der heutige Termin ist ein Hit: Gut 150 Interessierte füllen das Kunstforum - nicht schlecht für ein Randthema. Denn das ist es der Fahrradverkehr immer noch. In zehn Jahren soll der Velo-Verkehranteil an der Elbe von derzeit zwölf auf 25 Prozent steigen. Kann das klappen? Und wenn ja,  mit welchen Massnahmen und wie reduziert man die Konflikte mit Autofahrern? Das sind die zentralen Diskussionspunkte.

Hinter mir verteilt eine Frau kleine Flugblätter zur Unterschriften-Aktion "Kurs Fahrradstadt". Ihr geht das alles nicht schnell genug, wird sie später sagen. Die Stadt müsse noch viel mehr tun. Ein Herr bekennt, das er vom Auto- zum Radfahrer geworden ist, weil ihm das Autofahren in der Stadt einfach keinen Spaß mehr macht. Und so geht es munter weiter. Ein paar überzeugte Autofahrer mag es auch geben. Doch die bleiben gut in Deckung. Kein Wunder bei der mehrheitlichen Stimmungslage.

Dass Lohmeyer hier als bekennender Fahrradfan und -sammler  leichtes Spiel hat, liegt auf der Hand. Und einige im Publikum ihm zu Füssen. Hin und wieder fahre er E-Auto, manchmal auch Taxi, meistens aber Fahrrad. Applaus! Aber ohne Helm. Kein Applaus. Das E-Auto kriegt er gesponsort. Die meisten Taxifahrten sicherlich auch - da fällt die Argumentation leicht.

Ich mag den Mann, seine Art, seine Filme, seine Fußballleidenschaft und natürlich seinen Fahrradfimmel. Und mit seiner Einstellung zum Helm bin ich auch voll bei ihm. Darum halte ich ihn für einen Populisten der symphatischen Sorte, der hier und da zum Märchenerzähler wird. Natürlich ist eine Stadt ohne Autos lebenswerter, weil die Luft besser wird, es weniger Unfälle gibt und mehr Raum zum Leben frei wird. Nur dass das illusorisch ist, sagt er nicht, sondern er malt das Bild einer besseren Fahrradwelt. Aber vielleicht muss der Schauspieler auch hier spielen, überzeichnen, dramatisieren, damit sich schneller was bewegt.

Viel realistischer und bemerkenswerter finde ich die Analyse von ZEIT-Hamburg-Redakteur Frank Drieschner. Auch er ist Radfahrer, aber anders als Lohmeyer ist er analytischer, sachlicher, langweiliger, trocken und pessimistischer. Den massenhaften Umstieg vom Auto aufs Rad hält er für illusorisch. "Dafür ist das Auto eine zu große Suchtdroge" sagt Drieschner. Das Verlangen nach der Bequemlichkeit werde der Mensch nicht mehr los. Ich fürchte, da hat er recht. Applaus gibt es auch nicht. Die Wahrheit schmeckt eben oft bitter.

Den schwersten Stand des Abends hat Taxi-Mann Lohse. Auch er ein eher unemotionaler Realist. Tapfer, mit welcher Sachlichkeit er seinen Standpunkt vorträgt. Er plädiert für einen Ausgleich aller Interessen und gibt sich für einen Autobewürworter verblüffend fahrradfreundlich.

All das macht Mut. Hamburg ist für eine Groß- und Hafenstadt auf einem ganz guten Weg - auch wenn es einigen Aktivisten alles viel zu lange dauert. 50 Jahre autogerechte Verkehrspolitik lässt sich eben nicht handstreichartig rückgängig machen oder schlagartig Richtung Fahrradinfrastruktur abändern.

Und eines wird an diesem Abend auch ganz deutlich: Die Uneinigkeit der Rad-Befürworter. Rauf auf die Straße? Oder besser baulich abgetrennte Hochwege? Helm ja oder nein? Tempo 30 im gesamten Stadtgebiet? Zu all dem gibt es unterschiedliche Positionen. Einfach gegen Autos zu sein greift da viel zu kurz. Die Problemlösung beginnt im Prinzip beim Wohnungsbau, hat mit Gentrifizierung zu tun und..., aber das ist dann doch ein anderes Thema.

3 Kommentare:

  1. Verstehe die Kritik an Lohmeyer nicht. Er hat seine Meinung zum Thema Autonutzung in der Stadt gesagt … immer mehr Suffs, immer mehr Abgase findet er doof. Dass sich 100 Jahre autogerechte Stadt- und Verkehrsplanung nicht morgen rückgängig machen lassen, versteht sich doch von selbst. Das zu ändern ist Sache der Politik (und nicht Lohmeyers). Aber wenn man die Autopolitik korrigieren will, sollte man jetzt damit anfangen. Einfach nur ein paar Wege moderniseren – Hauptsache, das Etikett "Fahrradstadt" klebt gut – reicht da nicht.

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  2. Die Verkehrswelt verändern werden letztendlich nicht die Peter Lohmeyers. Und auch nicht die schöngeistigen Critical-Mass-Mitfahrer. Sondern die, die täglich Wind, Wetter und hupenden Autofahrer trotzen - und so Platz im Verkehrsgeschehen einfordern. Für sich und die, die ihnen folgen werden.

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  3. Hm, E-Autos günstiger, so dass man sich die auch ohne Sponsor leisten kann? Wie wär`s, die Diesel-Subventionierung abzuschaffen und ggf zeitweise für E-Cars zu nutzen? ... der Artikel spricht aber zurecht an, dass der Wandel von Mobilitätsverhalten zu vielschichtig für populistische Einzel-Forderungen ist. Hamburg ist zudem recht groß, so dass nur Fuß- und Fahrradmobilität nicht komfortabel ist und ÖPNV nicht als ausreichende Ergänzung funktioniert.

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