Donnerstag, 9. Mai 2019

Fahrradstadt Hamburg: So will uns Jung von Matt in den Sattel bringen

HOMEPAGE DER FAHRRADKAMPAGNE FÜR HAMBURG
So viel vorweg: Ich bin befangen. Ich bin neidisch. Ich hätte gerne 4 Millionen Euro gekriegt, um Hamburg fürs Fahrrad zu begeistern. Scheiße! Den Zuschlag hat eine Werbeagentur gekriegt: Jung von Matt! Ein großer Name. Eine Kult-Agentur. Profis eben! Für 4 Millionen Euro dürfen die jetzt eine Imagekampagne fahren. Ziel: mehr Fahradverkehr! Nun ist die Kampagne gestartet. Es gibt einen Web-Auftritt. Es gibt einen Hamburg-Fahrradsong, Es gibt Pläne. Und es gibt mich, der als nicht neutraler Beobachter einen kritischen Blick darauf wirft, was hier mit 4 Mio. Steuergeldern passiert. Ich wiederhole: Ich bin befangen...
Rückblick: Vor einiger Zeit gab es eine Ausschreibung der Hamburg Marketing GmbH. Öffentlich, europaweit und mehrstufig. Mitmachen konnte jeder, der bestimmte Mindestanforderungen an Personal, Erfahrung und Referenzen erfüllt. Bewerbungen gab es viele. Gewinner nur einen: Jung von Matt, kurz JvM - Kultagentur aus dem Karoviertel. Und ganz genau genommen ist es JvM/Sports, die auf Sportmarketing spezialisierte Tochter der Werbeagentur, die sich nun produzieren darf. Strategisches Konzept und die kreativen Ideen sollen laut Branchenkennern den Ausschlag für Wahl zugunsten von JvM/Sports gegeben haben.

Meine erste Reaktion: geil! Wenn die das Imageprogramm Pro-Fahrrad für Hamburg betreuen, kann das nicht schlecht sein. Vor meinem geistigen Auge sehe ich Angela Merkel mit Struwelpeter-Frisur.

Sixt Werbung für Roadster von Mercedes
Eine Werbung für Sixt-Cabrios vor vielen Jahren. Stammt von JvM. Muss man nicht mögen. Mochten aber Experten und Kritiker. Genial. Preisverdächtig. Kult. JvM eben. Unübertroffen. Benchmark. Masterminds made in Karoviertel. Glückwunsch. Usw. Weitere Motive mit Promis folgten. Meistens Lacher. Sixt war sexy.

Diese JvMs also gewinnen den Etat der Stadt Hamburg für eine Fahrrad-Imagekampgane, 4 Millionen Euro schwer, Nachlag und Verlängerung wahrscheinlich. Klar, wer die haarige Sixt-Problemstellung "mach unsere Cabrios sexy" mit "Mutti mietet Mercedes" meistert, kann auch Fahrräder.

Wirklich?

Nein!

Warum? Nochmal, ich bin befangen. Und befangen richte ich meinen Blick auf die ersten Ergebnisse der 4-Mio-Beauftragung.

Da gibt es jetzt diese Webpage, Heimat der neuen Fahrradstadt Hamburg ist: https://fahrrad.hamburg/de/

Wir sehen ein animiertes Bild - Typ mit Kutte und Hamburg-Wappen auf dem Rücken. Darüber eine Afrofrisur. Cool? Geht so. Die Verlinkung führt zum Song "Von Hamburg bis zum Meer", die neue Bike-Hymne für Hamburg. Zu hören ist ein soft-hipper Rap-Song im Easy-listening-style. Ohrwurmchartpotential eher gering. Aber wahrscheinlich Namedropping: Für das Ding musizieren Nico Suave, Tonbandgerät, Chefboss und Cäth. Kennt Ihr? Gut! Kennt Ihr nicht? Ich auch nicht.

Immerhin: Ein Fahrradsong für Hamburg ist nicht die dümmste Idee. Kann nicht schaden. So wie er gemacht ist spricht er wohl vor allem  jugendliche Biker an. Die Zukunft. Und alle fahren ohne Helm. Bei den Frisuren auch kein Wunder... Aber im Ernst: Die Image- soll ja auch eine Sicherheitskampagne sein. So stand es in der Ausschreibung. Gut das sich die Macher in diesem Fall darüber hinweg gesetzt haben. Helm kann, aber bitte kein Muss. Thumbs up!

Klar, die Webpage ist dynamisch, verändert sich also ständig. "Hamburg ist losgeradelt. Und alle fahren darauf ab", heißt es zum Launch. "Ein Big Bang für Hamburgs leisestes Verkehrsmittel." Dazu Bilder von Bürgermeister Tschenscher, Umweltsenator Kerstan, Marketingboss Otremba, Radkoordinatorin Pfaue, die als einziges auf ihrem eignen, statt auf einem Stadtrad abgelichtet wurde.

Der Rest der Homepage besteht aus den erhellenden Darstellungsformen Service, Service, Service, Service, Service. Bedeutet: Bike+Ride, Velorouten, Luftstationen, Stadtrad und Winterdienst. Winterdienst? Ja, Winterdienst. Mein Kalender zeigt übrigens Mai. Keine Ahnung wo in Hamburg gerade Winter ist.

Was da hinter steckt ist klar: Die fünf Themenfelder sind die Säulen der Hamburger Radverkehrspolitik. Ein Muss also. Ob gut oder schlecht, egal, die Vorgaben des Auftragsgebers aus der Wexstrasse, dort sitzt Hamburg Marketing, werden erfüllt. Dazu kurz meine bescheidene, befangene Meinung:

-Bike+Ride: Gute Sache, sieht man an immer mehr S- und U-Bahn-Stationen. Aber versucht mal wirklich, einen Stellpaltz zu kriegen. Bitte warten! Vor allem aufs Schreiben vom B+R-Betreiber. Schafft Ihrs auf die Warteliste? Glückwunsch.

-Luftstationen: Gut gedacht. Aber immer kaputt. Meistens fehlt der Ventilaufsatz. Oder Teile davon. Fußpedal hat zu wenig Hub. Selbst wenn die Luftstation gerade mal wirklich vandalismusverschont sein sollte, wird Aufpumpen zur Qual - zu wenig Pumphub, zu viele Fußbewegungen, zu frustig. Siehe hier. Gute Fahrradhändler haben Standpumpen mit Kettensicherung - viel besser, weil viel effektiver.

-Velorouten: Wo fange ich an, wo höre ich auf? Wird von der Stadt und ihrer Fahrradbeauftragten Kirsten Pfaue als Meilenstein gefeiert. Echte Schnellverbindungen zwischen Außenbezirken und Zentrum sind das meistens leider nicht. Dafür gibt es zu viele Ampeln, keine grüne Welle und zu schlechte Teilpassagen sowie unverständliche Routenführungen. Ich kann hier zwar nur für die Veloroute 11 sprechen, aber denke das ist übertrtragbar. Sorry, das geht besser. Meine Meinung: Nicht die baulich am leichtesten umzusetzende Strecke sollte zur Veloroute werden, sondern die landschaftlich reizvollste und sicherste Passage.

-Stadtrad: Gerade von Stiftung Warentest für gut befunden. Zumindest wenn's ums übergeordnete Call-a-Bike-Netwerk geht. Ein richtiges Urteil. Stadtrad rockt: viele Stationen, gute Räder, lukratives Traifsystem und und ein bundesweit einmaliges Lasten-Pedelec-Angebot. Aber ausgerechnet letzters hat gerade einen Fehlstart hingelegt. Mehr dazu demnächst in einem, separaten Blogeintrag.

-Winterdienst: Es ist Mai. Danach Juni. Und danach Sommer. Und von November bis März habe ich noch nie etwas von einem Fahrrad-Winterdienst bemerkt. Oder ist das Thema einfach nur hipp, weil in  Kopenhagen und Amsterdamm Radwege vor Autostrassen geräumt werden? Aber klar: Winterdienst gehört zur Radverkehrsstrategie der FHH (Freien und Hansestadt Hamburg). Gehört also auf die Agenda. Auftraggeber zahlt schließlich; ob relevant oder nicht. Ich find's, sagen wir mal etwas schräg, den Imageauftritt im Frühjahr mit dem Winterdienst zu beginnen.
Kein Helm, dafür bunte Socken: Ich finde das Bild mutig

Motz. Muffel. Mecker. Hallo, ich versuche ja wirklich das alles gut zu finden und blättere mal in den Magazin-Teil. "Zwei Räder, viele Fakten" heißt es da zum Beispiel. Okay, kurz mal inne halten. Fakten bestechen. Gute Munition gegen Anti-Biker und notorische Autofahrer. Fakten, Fakten, Fakten sind besser als Gefühle, Ahnungen, Halbwahrheiten.

Aber was folgt ist wirklich eine billige Nummer: fünf Fakten unter Überschriften wie "Im Sattel macht sexy." Dazu wird jedesmal auf eine wissenschaftliche Studie verlinkt, die die jeweilige Aussage stützt. Sorry JvM und Hamburg Marketing, ist das Euer Ernst? Das wirkt gequält und ist wirklich nicht kreativ. Da hätte ich mehr erwartet. Na ja, das Magazin wird ja ständig erweitert. Von Mutti Merkel mit fliegenden Haaren seit ihr jedenfalls weit, weit, weit weg. Macht mir bitte Hoffnung, dass das besser wird.

Etwa in diese Richtung:
Simpel und gut und keinen Cent von der Stadt gekriegt: Pro-Fahrrad-Banner
Der Banner auf dem Bild rechts stammt von der Initative "Hamburg dreht sich". Aufgehängt an den Landungsbrücken erreicht es direkt und massenhaft die wichtigsten Adressaten: Autofahrer. Und die Aussage "Mit dem Rad wärest Du schon da" ist bestechend einfach und genial. Viel klarer als die verquaste Faktensammlung auf fahrrad.hamburg.de Nur zur Klarstellung: Ich habe nichts mit "Hamburg dreht sich" am Hut. Auch nicht mit "Kurs Fahrradstadt oder dem ADFC.

Bin gespannt, ober die städtischen Fahrrad-Promoter noch auf die Bike-NGO und Aktivsten zugehen. Ich würde es begrüßen. Schließlich wollen alles das gleiche: mehr Radverkehr! Aber ob hier die verschiedenen Lager über ihre Schatten springen können?

Reflexartig kam nach der Kampagnenvorstellung Widerspruch von Kritikern. Sie sehen die 4-Millionen-Investition besser im Radwegeausbau und -reparatur aufgehoben. Mal sehen, wie's weiter geht. Da ist die Rede von einem spektakulären Radweg über die Binnenalster, bemalten Kreuzungen... Also ich bin sowas von gespannt.

Der erste Aufschlag, der Big Bang... - na ja, der große Tusch hört sich für mich anders an. Fahrradsong und Webpage wirken eher wie Triangel statt Pauke.

2 Kommentare:

  1. Boah, starker Tobak. Da hatte ich mir, selbst als Nicht-Hamburger, mehr erwartet. Die Website spricht mich schon an. Als radaffinen Menschen. Wer den Radler ohnehin auf dem Kieker hat, sieht sich bestätigt. Und einige mag es geben, die sich sagen: dann lieber nicht. Zu selbstverliebt, zu stereotyp, zu wenig kontrovers. Das hätten Frau und Mann von Matt besser machen können. Schade um das Geld.

    Der Song ist aber gut! Reicht nur nicht!

    Es grüßt,
    Bernd

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  2. Radpropaganda kann durchaus ansprechend sein. Ein schönes Beispiel aus Berlin:

    https://www.youtube.com/watch?v=eGfaEeWOtf8

    Und ein humorvolles aus den Niederlanden:

    https://www.youtube.com/watch?v=AV68pPxr2hg

    Man hampelt stattdessen also zur Konserve und simuliert Gesang im Freien. Nun gut, es gibt gewiß schlimmeres.

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