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| 90er Jahre Mountainbike in Klunker-Optik |
Geplatzter Rahmen am Mountainbike-Klassiker vom Flohmarkt. Was tun?
Eigentlich war dieses Rad schon für den Sperrmüll bestimmt. Für ganz kleines Geld konnte ich es auf einem Flohmarkt kaufen. Es stand bei einem Profi-Händler für Haushaltsauflösungen. Die historische Optik mit dem geschwungenen Alurahmen erweckte sofort mein Interesse. Auch der Rest sah interessant aus: rot eloxierte Felgen, schöne Cantibremsen, Lenker mit Crossbar, Ritchey-Sattelstütze, ordentliche Antriebskomponenten von Shimano, Stevens-Riserlenker mit der Aufschrift "Downhill-Action"... Da muss man ja nicht mehr lange überlegen. Also schlug ich zu und transportierte das Bike per S-Bahn nach Hause, wo ich es einer genaueren Inspektipon unterzog.Dort entdeckte ich dann den Supergau für jedes Fahrrad. Im ansatzweise S-förmig geschwungenen Unterrohr klaffte kurz vor Tretlager ein Riß. Wie konnte ich das übersehen? Mist! Teile abbauen, Rahmen in die Tonne. Das Rad ist Schrott. Oder doch nicht?
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| Aufgeplatze Rahmenrohr: Ist das zu retten? |
Erstens: Das Rad ist zu schön und selten, um es zu entsorgen. Die Amis sprechen in diesem Zusammenhang auch immer wieder gerne von einem "Cantilever-Rahmen". Keine Ahnung warum und worauf sich das bezieht. Sicherlich nicht auf die Bremsanlage.
Zweitens: Ich mag grundsätzlich nichts wegwerfen. Wann immer es geht, repariere ich Dinge oder suche mir einen Experten, der es kann. Funktioniert das auch mit einem aufgerissenen Alurahmen?
Alu gilt als komplizierter Werkstoff. Komplizierter jedenfalls als Stahl, so das gängie Vorurteil. Wirklich? Versuch macht klug. Ich zeige das Problem einem Karosseriebauer in der Erwartung, dass dieser mürrisch abwinkt und das Rad abschätzig für Müll erklärt. Tut er aber nicht. Im Gegenteil: "Das schweiße ich Dir zu. Kein Problem", sagt er freundlich. "Ist ja ein sehr schönes Rad", schiebt er noch hinterher. Ahhh, wie schön. Der Typ versteht mich.
Es gibt sie also noch, die guten, alten Handwerker, die alles hinkriegen und ein Herz für Biker haben. Vorsichtig frage ich nach dem Preis. "Je nach Zeitaufwand, 30 bis 40 Euro", sagt der Blaumann. Deal! Mein Rad bleibt auf dem Hof. Und der Metallexperte hat gleich auch noch eine Schadensanalyse parat: "Da stand wohl mal Wasser im Rahmen. Und dann hat Frost das Rohr aufplatzen lassen", so sein Befund. Krass, ich hatte auf einen Spannungsriss getippt. Die Rohre sind für einen Alurahmen eher dünn ausgelegt, da kann das spröde Material schon mal nachgeben, dachte ich. Aber hier steht die personifizierte Metallkompetenz; der wird es besser wissen als ich.
| Rahmenunterrohr nach dem Schweißen: saubere Arbeit |
Noch am selben Tag ruft er zurück: "Fertig! Du kannst dein Rad wieder abholen." Wie krass ist das denn! Der Typ kennt sich nicht nur mit Alu aus, sondern ist auch noch Mister Zuverlässig. Zurück in seiner Werkstatt gibt er mir einen Kurzexkurs im WIG-Schweißen. Den Riß hat er sauber zugebraten und die entstandene Narbe verschliffen. Sieht super aus und das Ergebnis ist weit über meinen Erwartungen. Dafür zahle ich gerne 40 Euro, immerhin ist der MTB-Klassiker jetzt wieder voll einsatzfähig. Mit etwas Chrompaste und einer Baumwollscheibe in der Bohrmaschine kriege ich die Raparaturstelle später sogar auf Hochglanz poliert, so dass von der Schweißaktion tatsächlich keinerlei Spuren bleiben.
Nicht nur die Rahmenreparatur macht das Bike für mich zu etwas Besonderem, sondern auch seine spezielle Optik. Die Stevens-Designer haben hier offenbar bewusst die Klunker-Optik der MTB-Urmodelle um Gary Fisher, Joe Breeze und Charles Kelley nachempfunden. Anfang der 90er dürfte es sich also um ein Retromodell gehandelt haben. Wie oben erwähnt: Cantilever-Design. Während die Masse der MTB in dieser Zeit mit ausgesprochen gradlinigen Diamantrahmen und den ersten Federgabeln auf den Markt kamen, verströmt dieses Modell nostalgischen Beachcruiser-Charme.
| Rahmenunterrohr nach dem Polieren: Hier war mal ein Riß. Nicht zu glauben |
Die Herstellung der geschwungenen Unter- und Oberrohre dürfte seinerzeit auch teurer gewesen sein als die Verwendung von geradem Alumaterial. Wahrscheinlich war hier der Einsatz einer Biegemaschine nötig, um die Rohre in die gewünschte Form zu bekommen. Zu gerne wüsste ich, ob Stevens den Rahmen in Taiwan hat fertigen lassen. Oder als Auftrag an beispielsweise Kettler vergeben hat. Oder gar bei Beachcrusier-Experten Schwinn in den USA bestellt hat. Die Sun Rims sowie die Ritchey-Sattelstütze deuten jeweils auf viel US-Einfluss hin.
Tolle Infos bekomme ich, nach dem ich ein Foto vom Stevens ins das englische Forum "Retrobike" gepostet habe. Ein User vermutet, dass Stevens ein "Newsboy-Fahrrad" im Programm haben wollte, ein anderer schreibt nur knapp was von "beachcruiser vibes". Und dann ist da noch Jack aus Kalifornien. Er erinnert sich, dass er das Bike um 1994 auf der Eurobike gesehen habe und zwei Jahre zuvor ein Stevens-Mitarbeiter bei ihm in Orange County zu Besuch war, um sich Inspiration für die noch junge Fahrradgattung der Mountainbikes zu holen. Jack scheint in der Bikeindustrie tätig gewesen zu sein...
| Stevens Klunker bei herbstlicher Ausfahrt. Fährt sich toll |
Besonders erfolgreich war Stevens mit dem Modell offenbar nicht. Katalogmaterial, Testberichte und weiterführende Infos konnte ich bislang nicht ermitteln. Noch nicht einmal ein Typname ist auffindbar. Das Bike war offenbar nur sehr kurz im Modellprogramm.
Dem Fahrspaß schadet das nicht. Der Stevens Neo-Klunker fährt sich flott und agil. Für mich dürfte der Rahmen etwas grösser sein. Dennoch macht mir das Rad ausgesprochen viel Freude. Forums-Jack schlägt übrigens vor, die Starrgabel gegen Federgabel von Proflex zu tauschen; das würde der Optik gut tun. Ich suche jetzt danach. Also, falls ein Leser hier so etwas rumliegen hat, her damit!


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