Montag, 23. Juni 2014

Nordica: Mit Klassik-Rennräder auf Tour im Norden

L'Eroica, Klassikerausfahrt, In Velo Veritas - sportliche Ausfahrten mit klassischen Rennrädern werden immer beliebter. In Nordeutschland steckt der Vintage-Radsport noch nicht so fest in den Körbchen-Pedalen. Mit der Nordica ist aber ein viel versprechender Anfang gemacht. Am Sonntag, 22. Juni, starteten wir bereits zum vierten Mal mit alten Stahlrennrädern zu einer Ausfahrt ab Elmshorn.

Es quitscht. Es schabt. Es kracht und es rauscht. Das Rauschen ist der Wind, der kräftig die Baumkronen hin und her wiegt. Er weht kräftig aus Nordwest. Ohne Hindernisse kommt er vom Meer, dann braust er übers platte Land und erzeugt Herbststimmung mitten im Juni. Wind ist typisch für die Nordica. Der Name lehnt sich an die L'Eroica, der Mutter aller Vintage-Rennradrennen. Statt Salami und Vino Rosso gibt es bei der Fahrt durch Schleswig-Holstein grüne Wiesen, grasende Kühe, fliehende Pferde, wehende Wolkenfetzen -  nordischen Charme eben. Gegessen wird auch. In einer rustikalen Gaststätte, die mal eine Tankstelle war, gibt es Rollmops, Bratkartoffeln und Götterspeise.

Aber darum kommen sie nicht, die Männer auf ihren Peugeots, Le Jeunets, Giants und Gios'. Nein, sie sind hier, um etwas Flair längst vergangener Radsporttage aufzusaugen. Darum fahren sie auf dünnrohrigem Altmetall statt auf dicken Aluprofilen oder neumodischen Carbonfasern. Sie schalten umständlich an Hebeln, die am Rahmen sitzen. Anstelle in moderne Klickpedale fädeln sie ihre schmalen Lederschuhe in Metallkörbchen und ziehen sie mit Riemen fest. So war es früher. Und so ist es noch immer bei der Nordica: Eine Ausfahrt mit Rennrädern, die mindestens 30 Jahre alte sind und aus Stahl gefertigt wurden, hat ganz besonderen Charme. Besonders für diejenigen, die keine Bestzeiten mehr fahren wollen, sondern einen Schnack unter Freunden wilden Verfolgungsrennen vorziehen.

Jetzt quitscht es wieder. Das sind die Bremsen. Jedes Mal wenn Sportkamerad Holger auf seinem blauen Peugeot-Renner aus den 70er Jahren an den gelochten Bremshebeln zieht, ertönt ein helles, durchdringendes Geräusch. Die Bremse stammt von Mafac, wird per Mittellzug gesteuert und nennt sich viel versprechend Racer. Doch das Getöse, das sie verursacht, erinnert eher an einen Güterzug, der nachts auf einem Bahnhof rangiert als an Eddy Mercks, der einen Alpenpass herunter rast. Aber so ist das eben mit altem Material.

Der Zahn der Zeit hat die Bremsgummis ausgehärtet. Wenn die Backen sich an die Felge legen quitscht es. "Ersetzt die Klingel", scherzt der Peugeot-Holger. Stimmt. Passanten springen jedenfalls rechtzeitig Richtung Graben, wenn sich von hinten der Güterzug der kein Güterzug ist nähert, sondern ein Radfahrer.

Dann schabt es immer wieder. Meistens nach einer Kreuzung. Das sind die Pedale, die mit dem Metallbügel lautstark über den Asphalt schleifen. Denn in historische Rennpedale klickt man nicht einfach ein. Hier ist Geschick gefagt: anfahren, rollen lassen, dann die Füsse einfädeln. Dabei passiert es oft, dass ein Bügel den Boden berührt - kein Problem, so lange man dabei keine Kurve fährt.

Kaum in den Pedalen, ist manchmal ein sattes Krachen zu vernehmen. Das ist das Ritzel. Wer unter Last schaltet, erzeugt fiese Geräusche. Das ist bei modernen Rennrädern nicht anders. Doch auch die richtige Bedienung der Rahmenschaltung fordert viel mehr Geschick als bei einer aktuellen Rennmaschine mit Ergopower Hebeln. Bis der Antrieb geräuschfrei arbeitet, ist eine gefühlvolle Justage des Schalthebels gefragt. Könner kriegen das blitzschnell hinten, Anfänger nisteln schon mal länger am Unterrohr herum, bis sie vollen Druck auf die Pedale geben können.

Und auch eine Panne in Vintage-Kreise hat so ihre Eigenarten. So fährt Rudi sich plötzlich einen Platten in die Schlauchreifen seiner roten Chinellis. Schlauchreifen sind auf die Felge geklebte Reifen, in die der Schlauch eingenäht ist. Profis fahren so was noch heute. Schlauchreifen erlauben mehr Luftdruck und geben mehr Gefühl für die Straße. Aber was macht man bei einem Platten? Rudi macht es vor. Mit wenigen Handgriffen hat er das Hintterrad in der Hand, zieht gekonnt das Gummi von der Felge und walkt genau so geschickt den neuen Reifen wieder darauf. In weniger als fünf Minuten sitzt er wieder im Sattel. Das geht sogar schneller als mit normalen Schläuchen in den Decken.


Nach 80 Kilometern sind die Klassik-Freunde im Ziel ihrer (Zeit)reise. Eine Reise, die viel mit Gefühl, Sport und Kameradschaft zu tun hat. Eine Form der Reise, die hoffentlich noch mehr Anhänger findet. Die nächste Klassik-Tour ab Elmshorn ist Ende September geplant.







1 Kommentar:

  1. Hej Jörg, ich habe mich mit meiner Frau gerade köstlich amüsiert.Wie du meine herzzerreißende Bremse an meinem Peugot beschreibst....ein Traum! Ein wahrer Sprach-Jongleur technischer Zusammenhänge. Schenkelklopfer!
    Möge die Felgen-Bremsbacken-Kombination Marke "Achtung an Gleis Eins, der blaue Güterzug aus Paris läuft soeben in den Bahnhof ein..." mir lange erhalten bleiben.
    Es war eine sehr stilvolle, lustige und interessante "Stahliniste"-Tour. Herrlich.
    Mit besten Erinnerungen viele Grüße an die Runde>>Holgi, der mit dem quitschfiedelen Peugot!

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