Montag, 21. September 2015

Veloclassico: Mit Oldtimer-Rädern durch Mecklenburg

Nein, Mecklenburg ist nicht die Toskana, Ludwigslust nicht Gaiole in Chianti und statt Wein wächst Mais so weit das Auge reicht. Trotzdem möchte die Veloclassico die L'Eroica des Nordens werden. Ein Anfang ist gemacht. Ein Anfang, der hier und da Kritik herausfordert. Aber auch ein Anfang, der hoffen lässt, dass mit der Veloclassico eine begehrtes Fahrrad-Oldtimer-Event entsteht. Mit zwei stahlharten Sportfreunden vom Eisenschweinkader (ESK) waren wir auf der so genannte Liebhaberrunde unterwegs.
Okay, 45 bis 95 Euro für ein Fahrradevent sind nicht eben billig. Kein Wunder also, dass über die Startgebühren der Veloclassico viel diskutiert wird. Zu viel? Angemessen? Abzocke? Da wird jeder seine eigene Meinung haben. Fakt ist: Veranstalter Detlef Koepke traut sich was. Er möchte eine Fahrrad-Oldtimer-Veranstaltung etablieren, die zumindest entfernt an die berühmte L'Eroica in der Toskana erinnert. Das finde ich gut! Gestartet werden soll mit historischen Stahlrennrädern, möglichst zeitgenössischer Bekleidung und dem dazugehörigen Flair.
Geboten wird ein reizvoller Start- und Zielbereich, eine landschaftlich schöne Strecke und Verpflegungspunkte mit regionalen Spezialitäten. Zumindest theoretisch.


Zwei Loks vom Eisenschwinkader (links), der Autor (rechts)
fühlte sich stellenweise als Wagon


Mit Christian und Dirk stehe ich pünktlich unter dem Startbanner im Schlosspark Ludwigsburg. Mit uns etwa 40 Gleichgesinnte, die auf die mittlere Distanz gehen werden. Hinter drei knatternden DDR-Mopeds geht es mit Zweitakt-Duft raus aus der Stadt. Dort heißt es gleich Kette rechts und mit zügigem Tempo durch Alleen und zum Teil über sehr ruppige Nebenstraßen. Aber das macht nichts. Schlechter Untergrund gehört zu klassischen Rennradveranstaltungen irgendwie dazu. Schließlich besitzen alte Stahlrahmen wunderbare Dämpfungseigenschaften und fahren sich entsprechend komfortabel.
Das erste Depot begrüsst die Retro-Fahrer bei der Veloclassico

Etwas störend empfinde ich die neumodischen Rennräder, die im Feld mitfahren. Das passt nicht gut zusammen - außer vom Tempo. Da bildet sich schnell eine homogene Gruppe, die gut zusammenarbeitet - auch wenn das ESK-Duo meist die Führungsarbeit übernimmt.

So sind wir ruckzuck an der ersten Verpflegungsstelle. Stimmungsvoll brennt Holz in einem Feuerkorb,  zwei historisch gewandete Damen verteilen den Kontrollstempel, es gibt leckere Pralinen (leider nur eine pro Person), Radler mit Veloclassico-Etikett, Wasser, Saft und - ganz wichtig - vino rosso. Natürlich greifen wir zu. Schliesslich macht man das auch in der Toskana so. Rotwein und Radsport gehören irgendwie zusammen.
Rotwein bitte: Ausgerechnet am ersten
Kontrollpunkt gab es ihn. Danach?
Leider Fehlanzeige!

Weiter geht es durch die frühherbstlichen Lande, vorbei an riesigen Fischteichen, alten Eichenalleen und unbefestigten Wegen. Naturstrassen könnte es gerne mehr geben. Der Vordermann sandstrahlt dir die Fresse mit feinem Mecklenburger Korn, während Du versuchst, den schlimmsten Schlaglöchern auszuweichen - was will man mehr? Im Ernst: Feldwege sind das Salz in der Suppe jedes Retro-Rennens. Da könnte die Veloclassico gerne ein paar mehr im Programm haben.

Zügig erreichen wir Parchim. Zu zügig, wie wir feststellen müssen. Die versprochenen regionalen Spezialitäten sind noch nicht aufgetischt. "Ihr seid zu schnell", stellen die Landrauen vom Kontrollposten trocken fest. Schade, dann wenigsten einen Roten bitte. Nein, auch den gibt es nicht. Das ist eine kleine Enttäuschung. Für einige Mitfahrer ist sie so groß, dass sie entscheiden, zu warten. "Schließlich müssen wir unser Startgeld auffuttern", meint einer süsssauer. Er will hier bleiben, bis der Schlachter die versprochene Soljanka auftischt. Wir dagegen brechen auf. Das geht auch ohne Rotwein. Dafür gibt es ab jetzt Gegenwind, teilweise in recht kräftiger Form. Stellenweise zwingt uns Rasmus auch in eine breite Windkante, die fast die gesamte Fahrbahn ausfüllt. Macht nichts. Schließlich gibt es im entvölkerten Mecklenburg kaum Autos.
Auf der Genießerrunde fuhren Tandems und Fahrradoldtimer der
stilvollen Art

Die letzte Station heißt Grabow ist berühmt für die gleichnamigen Schokoküsse, entsprechend hoch sind unsere Erwartungen. Und tatsächlich gibt es an der Kontrollstelle Schokoküsse - einzeln in kleinen Kartons verpackt. Nun ja, Palettenware wäre praktischer; schließlich haben wir inzwischen einigen Appetit.

Oder darf man das nicht so eng sehen? Wir sind zum Radfahren auf Alteisen hier. Nicht zum Schlemmen. Und doch: Irgendwie könnte die Versorgung stimmiger sein - da geht noch was, da ist noch Luft nach oben.

Lagerfeuer am Kontrollposten eins
Ich sag mal: Lagerfeuer? Prima! Pralinen? Auch Prima! Wein? Erste Sahne!Alsterwasser? Auch. Historisch gekleidete Kontrollposten? Wunderbar! Lokale Leberwurst und Schmalz? So muss es sein! Timing? Nee, das war nicht gut kalkuliert. Standort der Kontrollstellen? Auch das geht besser! Pavillonzelte und Klapptische erinnern eher an eine Provinz-RTF als ein Retro-Radrennen. Was ist mit alten Scheunen, Gutshäusern, Museen oder stilvollen Schuppen? Da dürfte die Region doch einiges zu bieten haben.
Keine Party ohne den Teufel: Didi Senft beehrte
die Veloclassico

Natur gibt es jedenfalls genug. Denn plötzlich steigen links von unserer Einerreihe majestätisch riesige Kraniche in den wolkenzerfetzten Himmel. Was für ein Bild. Ornithologen reisen für diese Spektakel von weit her an. Wir bekommen das Zugvogelschauspiel kostenlos.

Gut gelaunt, trocken, dafür gut durchgepustet erreichen wir das Ziel. Hier ist leider wenig los. Vorm Schweizer Haus sind Futterbuden und Merchandising Stände aufgebaut. Erste sind Standrad, zweitere richtig gut. Ob Fahrrad-Mode, Lenkertaschen, Ersatzteile oder Fahrradvasen - die Aussteller sind durchweg interessant und genau der richtige Rahmen für eine Retro-Veranstaltung. Leider zerläuft sich die Veranstaltung hier - ein gemeinsames Essen oder Treffpunkt gibt es nicht. Das ist schade. Ich finde es sollte für die Fahrer einen Treffpunkt geben, vielleicht sogar einen exklusiven Bereich für die heldenhaften Finisher. Und damit die dorthin gehen und bleiben, gerne mit Verpflegung oder zumindest Freigetränken. Die kleine Ausstellung mit Museumsfahrrädern (u.a. einem Moulton) ist da schon die richtige Richtung.

Ansonsten? Ein schöner Auftakt für ein Retro-Rennen mit Altfahrrädern. Vielleicht muss und will die Veloclassico gar keine zweite L'Eroica werden, sondern ihren eigenen Weg finden. Ich hoffe sehr, die zweite Auflage der Veloclassico lockt mehr Teilnehmer und Zuschauer nach Ludwigslust. Die Lage zwischen Berlino und Hamburgo bietet auf jeden Fall großes Potential. Liebhaber historischer Rennräder gibt es dort viele und ihre Zahl wächst.
Rotwein im Flaschenhalter: Typisch für Retrorennen mit Stahlklassikern




Eisenschweine Dirk und Christian vom ESK in Ludwigslust



7 Kommentare:

  1. Ihr hättet die lange Runde fahren sollen. Fast jeden deiner kleinen Kritikpunkte hättest du dort nicht finden können.
    Nur Stahl, wunderschöne und krasse Raststellen mit echten Köstlichkeiten, Anspruchsvolle Wege, die man erst einmal meistern musste. Timing stimmte bei uns auch. Nur der "nasse und kühle" Empfang ohne Zielverpflegung und Stimmung war ein bisserl Schade. Ich finde die Veranstaltung verdient ein dickes Lob und sollte noch viele Gelegenheiten bekommen, sich zu noch mehr zu verbessern.

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  2. Dieser Kommentar wurde vom Autor entfernt.

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    1. Hallo Conrado!
      Danke für Deine Einschätzung. Leider fühlte ich mich nicht fit genug für eine 150-km-Runde im ESK-Express-Tempo. Es wäre wohl die bessere Wahl gewesen. Also nächstes Jahr. Freut mich, dass Du viele positive Erinnerungen mit der Veloclassico verbindest. Sehen wir uns nächstes Jahr am Start der Heldenrunde?

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    2. Ich will unbedingt da wieder starten. Plane schon das Material...Aber für einen Temporitt ist mir die Runde zu hart, zu schön und zu lang. Außerdem bin ich alt und gefräßig!

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  3. Da musst Du Dir einfach mehr zutrauen! Bin auch kein durchtrainierter Rennradler, habe aber trotzdem die 160 km gefahren, inkl. 8 km Bonus-Abstecher zum Schloss Basthorst (oder so). Ging auch nicht ohne Beschwerden, aber hallo, wenn ich schon den Aufwand treibe, dann reiße ich die Strecke doch nicht als Sportrunde runter, sondern nehme mir Zeit! So wurde auch die Helden- zur Genießerrunde und da wir (ausgebremst durch zwei Platten) zu den letzten gehörten, wurden wir von den Muttis und Offiziellen (Bürgermeisterin in Crivitz) an den Depots auch wirklich zu 100% umsorgt. Da kam schon Heroen-Feeling auf.

    Also nicht als Gruppe irgendwo mit sportlichen Ambitionen durch knallen, sondern als einsamer Held der Landstraße eine Rast einlegen, dann klappt's auch mit dem Rest. ;o)

    Ich drücke den Veranstaltern die Daumen und hoffe, sie wuppen die Runde nächstes Jahr wieder. War toll, ich fand's sogar besser als die L'Eroica Britannia, die wir dieses Jahr gefahren waren.

    Tim (Flensburg)

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  4. Hi Jörg,
    danke für den Bericht. Ich sehe das ähnlich wie du, ein paar mehr Passagen auf herausfordenden Untergrund und dann klappt es. Aber ich denke mit deiner positiven Kritik kann der Veranstalter was anfangen. Und nächstes Jahr schiebt der ESK-Express sich über die Lange Runde und guckt sich dort die Verpflegungsstellen.

    Alles in allem fand ich die Veranstaltung sehr Nett und nächstes Jahr wird die Teilnehmerzahl bestimmt höher sein.

    Und noch eine kleine Korrektur: Dirk ist nur als ESK Gastfahrer auf der Runde gewesen. Er hilft mir die ESK Fahne im Norden hochzuhalten. Danke an dieser Stelle dafür.

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