Montag, 22. August 2016

Cyclassics mit dem Tandem: Warum schnell, wenn es auch schwer geht?


Frisch und fröhlich: 60 Kilometer Tandemfahrt liegen hinter uns. 
Prolog: Und schon stehen wieder die Cyclassics ins Haus. Und mit ihnen die Frage: Welches Rad dieses Jahr!?  Seit 2013 fahre ich Deutschlands größtes Jedermannrennen nicht mehr nach maximaler Zeit-, sondern Spaßoptimierung. Die Rennen mit Schnittgeschwindigkeiten um 40 km/h habe ich irgendwie abgehakt. Schaffen würde ich so ein Tempo momentan ohnehin nicht. Darum habe ich umgesattelt: 2013 auf einen alten Stahlrenner, 2014 auf einem Moulton TSR und vergangenes Jahr mit dem Fatbike.

Und dieses Mal? Ein Tandem! Ein altes Tandem! Ein sehr schweres Tandem. Eigentlich ein unmögliches Rad  für ein Radrennen. Also genau richtig.
Warum schnell, wenn es auch beschwerlich geht? Klar, die Frage ist provokant. Radrennen fährt man mit Rennrädern. Basta! Doch ich erlaube mir, das anders zu sehen. Darum war dieses Jahr ein Touren-Tandem aus den 70er Jahren dran. Ein sauschweres Rixe. Ergonomisch ist das Ding eine Katastrophe. Aber wir sind angekommen. Und wir hatten Spaß.
Kurz vorm Start, so gegen 7.30 Uhr!

Mein Stolker ist mein alter Rennradfreund und Kollege Stefan. Ihm geht es wie mir: Bestenzeitenjagd war gestern. Er fährt inzwischen lieber entspannt. Oder macht Stand-Up-Paddling. Schnell waren wir uns einig: Lass uns eine lustige Winkfahrt aus den Cyclassics machen. Gesagt, getan. Luft aufs Rixe, Sättel auf maximale Höhe ausgefahren und wir sind startklar. Dass wir trotzdem beide gut fünf Zentimeter zu tief sitzen, nur mit angewinkelten Beinen pedalieren und irgendwie verkrampft auf dem alten Eisenhaufen kauern... - geschenkt. 60 Kilometer werden schon zu schaffen sein.

Los geht es aus Block H. Ziemlich weit hinten. Hier bist Du nicht in Gesellschaft (über)motivierter Möchtegern-Pros auf sauteuren Carbon-Hobeln, sondern im Feld der Schutzblechfans, Trekkingrad-Tretern, Klapprad-Piloten, Bonanzarad-Spinner, Fatbike-Fahrern, Trike-Chauffeuren, Kindern auf 24 Zoll-Rennrädern, Greisen auf Greismaterial und sonstigen Kuriositäten, die die Bikewelt so her gibt. Ach, ein paar echte Rennradfahrer stehen am Start auch um uns herum. Doch schon nach ein paar Kilometern sind fast alle weg. Wir sind langsam, klar. Wie langsam, keine Ahnung. Von hinten kommt zum Glück immer mal etwas Nachschub, so dass wir immer wieder anerkennende Kommentare kriegen. Prima, die Tandem-Entscheidung war richtig. Auch wenn schon nach zehn Kilometern beide Knie heftig schmerzen und sich der Hintern völlig taub anfühlt.

Unsere Anti-Aua-Strategie  ist einfach: Erst geht Stefan für hundert Meter in den Wiegetritt, dann ich. Das schafft kurz Entlastung für die schmerzenden Körperteile, auch wenn das Tandem jedes Mal schlingert wie ein Tanker in Seenot. Aber trotzdem machen wir irgendwie Strecke. Und haben einen schönen Blick auf Landschaft, Himmel und wer weiß was sonst noch alles. Noch nie bin ich die Cyclassics mit so wenig Windschatten gefahren: nämlich keinen. Sich an einen langsam Überholenden zu hängen verlockt zwar hier und da, doch wenn Du an seinem Hinterrad klebst und der Typ bremst, dann war es das. Denn bremsen ist mit dem Blei-Tandem so eine Sache. Vorn im Rad sitzt zwar eine amtliche Moped-Trommelbremse und hinten haben wir Rücktritt, aber das Ansprechverhalten der Verzögerungseinrichtung stammt auch eher aus der christlichen Seefahrt als aus dem Fahrradsport. Darum fahren wir fast alles ohne Vorderfrau oder -mann. Auch ist es sehr schwer, entsprechende Kandidaten zu finden, die unser eingebautes Speedlimit fahren. Immerhin: Hier und da überholen wir auch ein Rennrad. Hurra! Das entspannt ungemein.

Ach, wo wir bei der Technik sind: Das Rad hat drei Gänge; die gute alte F&S-Torpedo eben. In der Ebene kommt man damit so auf etwa 20 km/h Reisegeschwindigkeit; wenn man richtig reinhaut auch auf Tempo 30. Geht es abwärts, etwa nach einer Brücke, ist die Cadence schnell so schnell, das wir es uns ganz schnell weniger schnell wünschen. Merke: Das Rixe-Tandem ist der Antipol zum Rennrad.

In einer Ortsdurchfahrt macht der Moderator Stimmung: "Da, schon das vierte Tandem heute", sagt er ins Mikro. Aha, drei Gegner vor uns. Gut das die alten Renninstinkte noch funktionieren. Doch der Racemodus bleibt heute aus. Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, das Tandem rollt, wir sind happy und Wedel kommt immer näher. Dort, an der Verpflegungsstelle, wollten wir planmässig eine Pause machen. Die ist bitter nötig. Knie und Po brauchen dringend Erholung von dem "Zu-niedrigen-Sitzen-Stress". Es gibt zu trinken. Es gibt Toiletten. Es gibt Kuchen. Es ist alles gut!

Los Stefan, weiter Richtung Mö. Fahrtzeit bislang: Etwas über eine Stunde. Macht dann doch so etwas wie einen 25er Schnitt - trotz Pause. "Was meinst Du", fragt Stefan. "Brauchen wir am Kösterberg den ersten Gang?" Die Antwort folgt ein paar Kilometer weiter: Ja, wir brauchen den ersten Gang heute erstmalig und definitiv. Langsam, Stefan hinten im Wiegetritt, erobern wir die beiden Steigungen Richtung Elbchaussee. Abwärts lassen wir rollen und blicken nach rechts auf die glitzernde Elbe. Mensch, was leben wir in einer tollen Stadt. Auf dem Rennrad werden Dir die Schönheiten der Strecke nie so bewusst.

Dann rollen wir schon die Königsstrasse runter. Eine letzte Anstrengung auf der Reeperbahn und plötzlich stehen wir vor der Musikhalle hinter einem Flatterband: Zwangsstopp! Gegenüber donnern die ersten 100 Kilometer-Fahrer ins Ziel. Da haben 60-Kilometer-Langsamtreter wir wir gefälligst zu warten. Wir tun das gerne und lächeln über die Duelle, die sich einige der Hobby-Racer da drüben liefern.

Die Mö, wie immer ein Glanzlicht. Tausende schreien und klopfen dich ins Ziel. Dieses Mal dauert die Jubelfahrt viel länger als sonst. Schneller geht einfach nicht.

War gut auf dem Tandem - Stefan und ich sind uns einig. Noch nie haben wir bei einem Radrennen so viel gequatscht und gelacht. Wunderbar!

Epilog: Am Nach-Renntag routinemässig ein Blick in die Ergebnislisten. Wir sind Vierte der 60 km-Tandemwertung. Fünf Tandems waren am Start. Wir sind also nicht die letzten. Unglaublich!!!

3 Kommentare:

  1. Großartig. Habe beim lesen sehr gelacht.

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  2. Hej Jörg, herrrrrrlich, was ihr zwei dort auf die Piste gezaubert habt. Man kann, nein sollte, in jedem Fall die Cyclassics für sich fahren. Für den Teilnahmepreis steht doch ganz klar das Motto "Erlebnis vor Ergebnis" auf der Tagesordnung. Das wir ballern können, wissen wir ja.....In diesem Jahr bin ich in Stahl und Wolle mit meinem Peugeot-Ensemble auf die Strecke gegangen. Und geschultertem Eroica-Verpflegungsbeutel mit Fotoapparat, Werkzeugtasche etc.! Und den quieteschenden Mafac Gold Bremsen, du kennst sie. Soviel Spaß habe ich noch nie bei der Veranstaltung gehabt. Allein die Zeit im Block vor dem Start war so klasse, da freundliche und nette Biker aus Hannover mich ansprachen und wir wohl noch Stunden länger über die gute, alte Zeit hätten schnacken können...Auch unterwegs viele Fans der alten Zunft. Immer wieder kleine Gespräche, herrlich. Für Fotos von unterwegs und die Verpflegungsstelle in Marxen habe ich mir natürlich auch die Zeit genommen und man kam wieder in's Gespräch. Als Résumé muss ich sagen, dass ich dadurch eine halbe Stunde gewonnen und NICHT verloren habe.:-))
    Herzliche Grüße-Holgi mit dem herrlich quietschenden Peugeot!

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  3. Wenn man jedes mal das riesige Rennrad-Arsenal während den Cyclassics sieht mag man garnicht denken dass dort auch "normale" Radler unterwegs sind.

    Ich habe mich jedenfalls bisher nicht getraut mit meinem entspannten Retro-rad mitzumachen.

    Toller beitrag! Musste ebenfalls viel lachen und schmunzeln :)

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