Ich dachte eigentlich ihre Zeit sei vorbei: Podcasts! So kann man sich irren. Podcasts sind gerade ein Trend, der scheinbar täglich noch heißer wird. Sogar der gefallene Radsport-Superstar Lance Armstrong klemmt sich regelmässig hinters Mikro und moderiert einen Podcast über Vuelta, Giro und Tour de France namens "Themove". Warum sind Hörsendungen über Fahrräder so angesagt? Keine Ahnung. Aber meine Neugier ist geweckt. Ich habe mal die Fahrrad-Podcasts angeklickt und sage: Zuhören! Das lohnt sich.
Zunächst eine kurze Begriffserklärung: "Podcasting bezeichnet das Anbieten abonnierbarer Audodateien über das Internet", so beschreibt Wikipedia das Medium, das man auch einfach Internet-Hörsendung nennen könnte. Das Wort Podcast ist eine Kopplung aus iPod (einst der beliebteste MP3-Player) und Broadcasting, so Wiki weiter. Ist ja immer schön, wenn man weiß worüber man redet oder schreibt.
Wie auch immer: Der Trend zum Podcast liegt an der rasenden Verbreitung des Smartphones. Kein Radio nötig. Hören, wann und wo man will. Das zieht. Ob beim joggen, rudern, im Fitnessstudio oder auf dem Rad, ob im Auto, der Bahn oder Schwimmbad - Podcast sind ein beliebter Begleiter beim Sport oder den täglichen Wegen.
Umstritten: Lance Armstrong einst. Heute macht er Karriere als Podcaster |
Genug der Vorrede. Jetzt gibt es was auf die Ohren.
The Move:
Ein Fahrrad-Podcast mit Lance Armstrong? Und von Lance Armstrong? Kann das sein? Darf das sein? Fakt ist: Der Doping-Sünder und gefallene Radsport-Superstar sitzt seit drei Jahren bei der Tour den France täglich vorm Mikro und analysiert im Podcast "The Move" die Etappen der Tour de France. Und sein Name zieht noch immer: Schon in der ersten Tour-Woche hat es "The Move"eine Topplatzierung bei den beliebtesten Sport-Podcasts der Welt geschafft.
Was treibt ihn an? Warum setzt er sich anfangs in einen Airstream-Trailer, später in ein Studio in Aspen, Colorado, und plaudert mit einem Stichwortgeber über das Renngeschehen in Frankreich? Geld? Geld! Ja, es muss das Geld sein. Das liebe Geld. Denn die Sendung wird präsentiert von Sponsoren. Der wichtigste heißt Parton Tequila. Außerdem wirbt Armstrong für kalten Kaffee. Der nennt sich High-Brew und stammt aus Armstrongs Heimatstadt Austin. "Cold brew for those who do", plappert er papageienhaft ins Mikro. Oh Mann, das wirkt manchmal ganz schön peinlich. Danach empfiehlt er einen Schlafanalyse-Ring, den Muskelstimulator "Power dot" und ein Fitnessprogramm für Zuhause. Meine Güte Lance, hast Du das wirklich nötig?
Offenbar, denn Schadensersatzansprüche, Prozesskosten und Anwaltshonorare dürften Armstrong um viele Millionen erleichtert haben. Immerhin besitzt er offenbar noch ein Ferienhaus in Aspen, spielt dort fleißig Golf und pflegt auch sonst noch immer einen Jetset-Lifestyle - all das lässt sich aus seinen Mitteilungsdrang schließen. Da bis auf Kurzauftritte bei NBC den Dopingbetrüger wohl kein TV-Sender fest engagieren mochte, hat Armstrong kurzerhand seinen eigenen Podcast ins Leben gerufen. Ein echtes Stehaufmännchen eben: Krebserkrankung überwunden, nach Stürzen blitzschnell wieder aufs Rad, Verurteilung samt lebenslanger Startsperre bei Sportveranstaltungen, alle 7 Tourtitel gestrichen - Armstrong lässt sich nicht kleinkriegen. Ein Kämpfertyp. Und so soll wahrscheinlich auch der Podcast dazu beitragen, ihn ein stückweit zu rehabilitieren. Rund eine Millionen Dollar soll er laut Medienberichten mit seinem dreiwöchigen Podcast zur Tour de France generiert haben. Chapeau!
Erstmalig ausgestrahlt 2016 noch unter dem Namen "Stages", berichtet Armstrong mit Co-Moderator JB Hager auch über den Giro und andere Ausdauer-Events. Und Armstrong war, ist und bleibt ein Meister der Inszenierung. Das Ganze wirkt in etwa so, als würde sich Franz Beckenbauer mit Heribert Fassbinder in einen Wohnwagen auf Sylt setzen, um von dort die Fussball-WM zu kommentieren und zwischendurch einzustreuen: "Diese Sendung wird unterstützt von Grappa Koralis." Unvorstellbar! Nicht in den USA. Für 2019 hat die produziertende Firma Wedu sogar einen zweiten Podcast mit Johan Bruyneel während der Tour ins Programm genommen. Der plaudert von Madrid aus über die Hintergründe im Peloton - bestens informiert und mit extremer Fachkenntniss. Aber auch Bruyneel ist wie Armstrong lebenland wegen der Dopinggeschenisse gesperrt.
Ob Betrüger oder nicht - in den USA stehen gefallene Stars schneller wieder auf. Die Amis halten zu ihren Sportlern, auch wenn diese tief fallen. Und bei Texanern wie Armstrong schwingt nochmal eine Extraportion Lokalpatriotismus mit. So hofierte der Texaner Armstrong den texanische US-Präsident George W. Bush und umgekehrt.
Aber wie es er denn nun, der Armstrong-Podcast? Mit einem Wort: absolut hörenswert! Mehr noch, The Move ist richtig gut, informativ und unterhaltsam. Mag Amstrong ein Betrüger sein, ein Despot, ein Lügner und Besessener, kurz ein Arschloch, er ist aber auch ein famoser Entertainer. Was er zur Tour de France sagt hat nicht nur Hand und Fuß und erlaubt einen tiefen Einblick in die Eigenarten des Pelotons, sondern Armstrong tut das mit erfrischender Lockerheit, Wortwitz und natürlich ausgesprochen meinungstark. Wie fühlt es sich an, auf Kopfsteinpflaster zu stürzen? Was für Gespräche führen die Fahrer untereinander? Wer hilft bei einem Plattfuss? Armstrong liefert die Antworten. Auch zu dieser: Haben die Fahrer während der Tour Sex? "Nein. Ganz klar nein", stellt er klar. "Außer Mario Cipollini." Solche Sätze haben hohen Unterhaltungswert.
Und in einer anderen Folge wundert sich Armstrong über einige der diesjährigen Teamautos: "Mini Cooper? Ich finde Mini Cooper gehören nicht zur Tour de France." So geht das munter weiter. Von einer Spitzfindigkeit zur nächsten, von Anektode zu Anektode. Armstrongs Fachwissen ist unbestreitbar. Und wird hervorrafgend ergänzt von dem seines langjährigen Helfers George Hincapie. Der sitzt nämlich seit diesem jahr permanent neben ihm am Mikro, und freut sich über die Erfolge der Kolumbianer. Wie Tour-Sieger Bernal wurde Hincapie in Kolumbien geboren, später aber US-Bürger.
Und dann machen er und sein Co-Moderator sich gerne lustig, besonders über die Aussprache der Fahrer. Oft wiederholen sie Nachnamen wie Gaviria oder Groenwegen, variieren die Betonung und machen die Sache zum Runinggag. Oder Armstrong erinnert sich plötzlich an ein Zielduell gegen Andreas Klöden, das er 2004 knapp gewann und heute bereut. "Ich hätte ihn gewinnen lassen müssen", zeigt er sich reurig. Ach Lance, bist Du wirklich so menschlich geworden? Altersmilde? Gilt er doch in der Öffentlichkeit als Radsport-Maschine, die keine Gnade kennt.
Mein persönliches Verhältniss zu Armstrong ist höchst ambivalent. Ja, ich habe ihn mal bewundert. Dann verachtet. Wie er den Krebs besiegt hat, wie er drüber in seinen Büchern geschrieben hat und wie er gegen Jan Ulrich in den Bergen gekämpft hat, ja, das habe ich bewundert. Und mir darum sogar ein Rennrad vom US-Hersteller Trek gekauft. Diese Marke fuhr auch Armstrong.
Dann begann sein Abstieg, seine Lügengeschichten, seine Verbalattacken gegen einst treue Weggefährten wie Tyler Hamilton und Floyd Landis. Beide zeichnen ein Bild von Armstrong, das ihn zum fiesen Despoten macht, zum Anstifter und Erpresser. Zum Sportbetrüger, dem sich alle unterzuordnen haben. Emma O'Reilys Buch schließlich enthüllt weitere schlimme Dopingdetails, und dann endlich das Geständnis by Ophray Winfrey. All das entzauberte mein einstiges Idol nachhaltig. Kein anderer Ex-Profirennfahrer ist umstrittener. Das alles zeigt schonungslos der Film "The program":
Alles schon länger her, aber prägend. Und jetzt? Jetzt höre ich ihm wieder im Podcast zu. Schon komisch.
Fahrradio:
Glückwunsch Hans, Glückwunsch Thomas! Der Name ist geil. Schon mehr als 100. Fahrradio-Sendung sind online. Das nenne ich Ausdauer. Wie auf dem Rad haben die beiden Bike-Nerds auch am Mikro einen langen Atem. Den verlangen sie auch von ihren Hörern. Eine Folge ist gut eineinhalb Stunden lang, manche aber auch noch eine Stunde länger. 150 Minuten. Puh, zuhören - zum Beispiel über die Candy B Graveller gennante Offraod-Tour von Frankfurt nach Berlin - erfordert schon viel Puste vom Hörer.
Hans und Thomas sind jedenfalls im Training. Schon seit 2010 produzieren die beiden Podcast-Pioniere ihre Fahrrad-Talkshow. Bis auf die ersten beiden Folgen sind alle Sendungen abruf- und downloadbar. Erfahrung ist also da. Fachwissen auch. Kein Zweifel: Hans und Thomas Dorsch wissen, wovon sie reden. Die beiden Brüder bewegen sich durch die Fahrradwelt wie BMXer durch den Skatepark: hier einen Sprung, da nen Wheelie, dort eine Drehung und öfters mal einen Sturz. Wunde lecken und weiter.
Zugegeben, manchmal tut das Zuhören weh. Man muss Fahrradio hören wollen. Denn hier referieren keine Rundfunkprofis, sondern Zweirad-Freaks im Stammtisch-Stil. Sie kennen sich aus. Und ihr Wissen wird verpackt in eine komödiantische Fahrrad-Talkshow. Meist im Dialog, oft mit Gästen - die Gespräche gleichen meist einem Cyclocross-Parcour durch schweres Gelände. Wem das fremd ist, der steig ab und aus.
Trotzdem: Die Sendung ist hörenswert. Vor allem auch wegen ihrer Unvollkommenheit. Hier sabbeln zwei Brüder über ihre Lieblingsthemen, schweifen ab, manchmal sehr weit, kommen zurück auf den Punkt, um gleich wieder einen Ausflug in fahrradferne Welten zu unternehmen. Lange Redepausen, Mikroknacken, heftiges Schnaufen, Versprecher, zu leises Genuschel, Störgeräusche - wer eine perfekt produzierte Sendung erwartet, sollte was anderes hören. Wer aber unkonventionell informiert werden möchte, wer das Überraschende schätzt, einem schrägen Wortwitz nicht abgeneigt ist, politische Seitenhiebe mag und verbale Ausflüge in ferne Fahrradgalaxien schätzt, findet in Fahrradio eine amüsante Infoquelle, die die gesamte Breite der Fahrradwelt abdeckt.
Vom nischigen Speziallastenrad über Radrennen auf dem Nürburgring bis hin zu Alltags-Pendeln zur Arbeit, Fahrradio beeindruckt durch sein weites Themenspektrum. Dabei kommen auch politische Aspekte nicht zu kurz. Und technische Details. Und tolle Typen. Und Fahrradhistorie. Und, und, und...
Christian Bollert |
Seit März 2015 tritt Antritt an. Immer am ersten Donnerstag im Monat streamt Antritt "alles zum Thema Fahrrad" übers Internet an seine Hörer. Eine Langversion gibt es als Download bei Apple Podcasts, Deezer, Google Podcasts und Spotify.
Das Programm ist Teil von detektor.fm aus Leipzig, einer Plattform für Podcasts im Internet. Wie Fahrradio will der Podcast das gesamte Spektrum der Fahrradwelt abbilden, geht dabei aber professioneller und kommerzieller zu Werke. Die Sendungen beginnen mit einer Werbevorschaltung. Präsentiert wird das Programm vom Fahrradreifen-Hersteller Schwalbe. Moderator ist Christian Bollert, der gleichzeitig Chef von detektor.fm ist. Der Mann ist Hörfunkprofi. Das hört man. Sprechtempo und -präzision sind hoch, Interviewfragen präzise und nachbohrend. Hier sitzt ein Journalist am Mikro - gut so.
Zweiter Mann und Sparingspartner im Studio heißt Gerolf Meyer. Der Ex-Mitarbeiter vom kultigen fahrstil-Magazin übernimmt den Part des Bike-Freaks, des Insiders, des Langstreckenradlers, des Handarbeits-Stahlrahmenspezialisten, der Messen besucht und bei Veranstaltungen startet.
Der Mix macht's: Mikro-Profi plus Fahrrad-Fachmann, das führt zu einem gut gemachten, informativen wie unterhaltsamen Podcast mit breitem Themenfeld. Das reicht von den Details einer in Deutschland produzierten Federgabel bis zur Doping-Problematik bei der Tour de France, vom Fahrradurlaub in Holland bis zur Energiebilanz bei der Fahrradproduktion. Das Ganze verdient das Prädikat journalistisch gemacht, was für Podcasts nicht selbstverständlich ist.
Unterbrochen werden die einzelnen Beiträge von Musik, Standardformate wie "Klingeln bei Klötzer" mit Jingles und Intros eingeläutet. Fast alles wie im Privatradio, Werbeeinnahmen inklusive. Motto: nur keine Langeweile, nur keine Langatmigkeiten.
Velohome:
Du magst Gelabber über Radsport, richtig ausschweifend und langatimig? Dann bist Du bei Velohome richtig. Aber wer nicht weiß, was ein Ortsschildsprint ist, wer nichts mit Strava anfangen kann oder wen die Königsetappe der Tour de France kalt lässt, dem wird das Zuhören zur Qual. Kein Zweifel: Velohome ist ein Freakprogramm. Von aktiven Radsportlern für Radsportler. Zwar wird hier und da das Radfahren zur Arbeit und im Alltag angesprochen. Doch die absolut meisten Episoden finden in Klickpedalen und Funktionstrikots statt. Nichts für Amateure.
Coffee & Chainrings:
Schöner Titel für einen Podcast. Inhalt: Viel Gelabber über Radsport. Was passiert bei einem Radrennen mit der Psyche? Wie fühlt man sich vor einem schweren Berg? Das sind beispielsweise die Fragen, die hier ausführlich erörtert werden. Ob MTB, Rennrad, Langstreckenrennen oder Cyclocross - im Fokus stehen Radsportler und die Veranstaltungen. Ein Sport-Podcast also. Einer für Insider. Also ganz ähnlich wie Velohome.
Ob Coffee & Chainrings oder Velohome, beiden möchte ich zu rufen: Weiter so. Kette rechts! Vollgas! Guckt doch aber bitte auch mal über den Tellerrand. Da gibt es viel zu entdecken: Radpolo zum Beispiel. Oder Kunstradfahren. Oder Unterwasser-Spinning... Über Ötzy, Rad-am-Ring, SiS gibt es schließlich schon genug zu hören.
Regines Radsalon:
Ich habe nur ein, zwei Folgen gehört. Die haben mir gefallen. Der Podcast menschelt. Regine interviewt gerne Menschen. So kann der Hörer unter anderem den gesamten Lebenlauf von Gunnar Fehlau vom Pressedienst Fahrrad (pd-f) erfahren. DieBeiträge sind oft weit über eine Stunde lang, ohne aber langweilig zu werden. Und so werden auch andere interessante Persönlichkeiten aus der Fahrradszene im Interview oder Dialog vorgestellt.
Und den gibt es auch noch:
Radfunk. Näheres in Kürze...
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