Dienstag, 7. Juli 2020

UG oder HG - Shimano zeigt Zähne

Zur Abwechslung mal wieder was Technisches. Ich beschäftige mich seit ein paar Wochen intensiv mit den Hinterradnaben und Kassetten von Shimano aus den 80er und 90er Jahren. Vorher dachte ich immer, die sind alle mehr oder weniger gleich. Was für ein Irrtum!
Shimnano UG und HG im Vergleich: unten Hyperglide, oben Uniglide
Klar, Campagnolo! Erfinder der Kettenschaltung. Angeblich. Denn schon 1935 präsentierten die Gebrüdern Nieddu, ebenfalls aus Italien, eine Kettenschaltung für Rennfahrer. Egal, spätestens in den 80ern eroberte Shimano die Fahrradwelt mit Komponenten aller Art. Vor allem bei den Schaltungen lieferten die Japaner ausgereifte und hochwertige Teile in unterschiedlichsten Qualitätsstufen. Ganz oben Dura Ace (für Rennräder) und XTR (für Mountainbikes), am anderen Ende Tourney und andere klangvolle Namen. So weit, so einfach. Komplizierter wird es, wenn man sich speziell die Kassettennaben und Ritzelpakte anschaut.

Bei Schraubkränzen ist die Sache ja easy: alten abschrauben, neuen aufschrauben, fertig. Einzig unterchiedliche Gewinde und Abzieher können einem hier das Leben schwer machen. Kassettennaben sehen auf den ersten Blick ebenfalls gleich aus. Aber hier steckt der Teufel im Detail. Die Freilaufkörper sind je nach Anzahl der Ritzel nicht nur unterschiedlich lang, sondern ihre  Nocken und Nuten je nach Bauart anders geformt.

Da wäre zunächst das UG-System. Das steht für "Uniglide". Zu finden ist es oft an älteren Rennrädern, meist aus den 80er Jahren. Uniglide gibt es meist in 6- und 7facher Abstufung. Die 9 Nocken sind gleich stark und gleichmässig über den Freilaufkörper verteilt. Die einzelnen Ritzel werden mit Sopacern aufgesteckt. Das kleinste Ritzel hat den Abstandshalter integriert und ein Innengewinde. Es wird auf den Freilaufkörper geschraubt und hält die anderen, gesteckten Ritzel in Position.

Vorteil des UG-Sysstem ist, dass die Ritzel einfach gedreht werden können. Ist eine Seite abgenutzt und zeigt Haifischzähne, einfach Ritzel wenden und weiter geht's. Im Idealfall ist so aus einem Ritzelpaket die doppelte Laufleistung herauszuholen.

Ob Shimano darum irgendwann Anfang der 90er das Ritzeldesign geändert und das HG-System eingeführt hat, weil man mehr Ersatzritzel verkaufen wollte? Ich glaube es nicht. Es lag wohl eher an der deutlich verbesserten Schaltbarkeit der HG-Ritzel. Hier sind die Zähne kürzer, dünner, filigraner und sie haben Steighilfen. Ein ausgeklügeltes Design. Bei 7fach Paketen sind die 5 größeren Ritzel in der Regel als Einheit vernietet, damit alle Zähne samt ihren Steighilfen richtig zueinander stehen. Ritzel 6 und 7 werden positionsgetreu als letztes aufgesteckt und das Ganze mit einer zahnlosen Abschlußmutter in Position gehalten.

Die schmale Nocke kennzeichnet den HG-Freilauf (rechts)
Eines der Stege (Nocke) ist bei HG-Freilaufkörpern schmaler (im Foto rechts). Im Ritzelpaket sitzt an einer Stelle eine entsprechend breitere Nocke, die sicher stellt, dass die Zahnräder nur in einer fest definierten Stellung auf den Freilaufkörper rutschen.

Die Folge: HG-Zahnräder lassen sich nur auf HG-Freiläufen montieren. UG-Zahnräder dagegen passen bei HG- und UG-Körpern und sind zudem wendbar. Allerdings sind UG-Pakete seit einigen Jahren so gut wie ausgestorben. NOS-Ware wird für teures Geld verkauft. Einzelzahnräder kosten etwa 10 Euro, vorrausgesetzt man findet welche. Ein ganzer Ritzelsatz kommt meist 50 Euro und mehr. HG-Pakete mit 7 Ritzeln dagegen gibt es ab etwa 12 Euro.
UG- versus HG-Ritzel (rechts): HG hat kleinere Zähne



Aber warum eigentlich Naben mit angeflanschtem Freilaufkörper statt der Schraubkränze?
Grund 1: Die Zähne der Kränze verschleißen schneller als der Freilaufmechanismus. Bei ausgedienten Schraubkränzen werden Lager und Sperrklingen etc. aber mitentsorgt, obwohl sie noch gut funktionieren. Verschwendung!
Grund 2: Freilaufnaben samt Ritzelbestückung sind bei gleicher Ganganzahl in der Regel etwas leichter als die Schraubkränze. Den direkten Gewichtsvergleich UG zu HG gewinnt übrigens das UG-System. Es ist rund 40 Gramm leichter als eine HG-Variante. Beides habe ich in einer 7-Gang-Ausführung gewogen.
Grund 3: Die Achslager liegen bei Kassettennaben weiter auseinander und gewähren so mehr Stabilität. Verbogene oder gebrochene Achsen werden verhindert.
Oben HG-, unten UG-Ritzel

Ob Grund 1, 2 oder 3 -wie der Zufall es will, landeten zwei fast identische Rennrad-Naben von Shimano mit 130er-Einbaumaß auf meiner Werkbank: eine mit UG-Freilauf, die andere mit modernerem HG. Sie hat anders als spätere Versionen neben dem Innengewinde für die Abschlußmutter auch noch das Außengewinde, so dass UG Ritzel montierbar sind. Und da ich gerade mit unterschiedlichen Laufrädern für meinen Vintage-Crosser, damals sagte man ATB, experimentiere, will ich die Teile wieder auf die Straße bringen.

Doch nicht unbedingt mit dem UG-Ritzelpaket, sondern mit günstigerem HG-Zahnrädern. Die Challenge lautet also: Wie kriege ich HG-Ritzel auf den UG-Körper. In Foren findet man zu dem Thema einiges, auch die Empfehlung die schmale Nocke des HG-Freilaufs wegzufeilen. Aber das probiere ich lieber gar nicht erst. Das Materail dürfte hart sein und der Freilaufkörper dreht sich ja in eine Richtung. Wer will daran rumfeilen?

Einfacher und praktikabler erscheint mir das Bearbeiten der Ritzel. Versuchsweise feile ich die breite Nocke der beiden Einzelritzel weg; das geht, ist aber mühsam. Für das vernietete Paket lasse ich meinen Dremel rotieren. Und zwar mit 20000 U/min. Das kostet zwar einen Dremel-Fräser aus Korund, doch nach gut 10 Minuten und fiesen Zahnarztgeräuschen ist von der breiten Nute nur noch die Hälfte da und das HG-Ritzelpaket rutscht geschmeidig auf den UG-Freilaufkörper. Voila!

Eine weitere Möglichkeit wäre ja, den Freilaufkörper zu tauschen. Aber das ist eine andere Story.

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