Sonntag, 1. September 2024

Stoppomat revisited: Deja-vu mit dem "race of truth"

Ist denn schon Nikolaus? Meine alten Klickschuhe

Zeitfahren für Jederman und -frau, das ist die Idee der Stoppomaten. Im digitalen Zeitalter sind die analogen Messanlagen inzwischen aber völlig antiquiert. Gegen Strava, Komoot und Co wirkt die Zeiterfassung per Stempelkarte etwa so modern wie ein Wählscheibentelefon im Vergleich mit einem Smartphone. Wohl darum sind von den einst bundesweit 22 Stoppomaten inzwischen nur noch drei aktiv. Schade, schade, denn ich mag die Dinger sehr. 14 Jahre nach meiner Erstbefahrung habe ich den Stoppomat Suderburg besucht und war gespannt, was ich auf dem Rennrad noch drauf habe.

Ein gelb gestichener Unterstand aus Holz, darin eine elektrische Stempelanlage, Kugelschreiber und Karten zur Zeiterfassung, so sehen sie aus die Stoppomaten. Präziser gesagt: So sahen sie aus, die Zeitmesshäuschen fürs Jedermann-Zeitfahren. Aktuell gibt es nur noch drei aktive Anlagen in Pfullingen am Hohen Meissner und in Suderburg. 

Trek-Youngtimer am Stoppomat-Starthäuschen


In den Nullerjahren waren die Stoppomaten ganz heißer Scheiß. So nutzten von 2006 bis 2008 knapp 12000 Radsportler die Pionieranlage auf dem Höchsten in der Nähe von Friedrichshafen. Viele weitere  sollten folgen. 2010 wurde der nördlichste Stoppomat in der Lüneburger Heide eingeweiht: ein Zehnkilometer-Rundkurs und Deutschlands einziger Flachstrecken-Stoppomat. Da er von Hamburg aus gut zu erreichen ist, war ich zwischen 2010 bis 2012 regelmässig vor Ort, um mit meinem Rennrad gegen die Uhr zu fahren. Ein Riesenspaß! Meine Bestzeit erzielte ich im Juni 2012 mit einer Zeit von 16.17 Minuten. Beim ersten Versuch im September 2010 waren es noch 17.31 Minuten. Das entspricht einem Durchschnittstempo von 33,9 km/h. Den Rekord hält noch immer Ex-Profi Jörg Ludewig mit 48,8 km/h, den er 2010 zur Eröffnung aufstelle.

Und heute? Heute bin ich nicht nur 14 Jahre älter, sondern auch vergleichsweise untrainiert. Damals spulte ich jährlich viele tausend Kilodemeter auf dem Rennrad ab. Zweimal pro Woche war Training mit dem Radsportklub, an den Wochenenden RTF und Jedermannrennen. Aktuell fahre ich nur ganz selten etwas Mountainbike, unter Woche Lastenrad sowie typische Citytouren mit wechselnden Fahrrädern. Ich bin total gespannt, wie sich das auswirkt. Wie schnell oder besser langsam bin ich 2024?

Stoppomat im Detail: Im Digital-
zeitalter fast ein Museumsstück

Also hole ich meine alte Trek-Rennmaschine aus dem Lager. Letztmalig gefahren bin ich sie zirka vor acht, zehn oder so Jahren. Kette ölen, Klickschuhe suchen und kurze Probefahrt: fährt, schaltet und bremst. Nur die starke Sattelüberhöhung kommt mir inzwischen ungewöhnlich unbequem vor. Aber ist schließlich ein Rennrad, und ich will ja ein Einzelzeitfahren absolvieren. Also nicht jammern, sondern treten. Auf nach Suderburg!

Dort angekommen sieht's aus wie vor zwölf Jahren: Suderburg ist noch immer ein verschlafenes Kaff südlich von Uelzen. Zum Glück gibt es einen Bahnhof mit guten Anschlüssen nach Hamburg via Lüneburg. Das Stoppomat-Häuschen macht einen gepflegten Eindruck. Ein angebundener Kulli, reichlich Karten und die Stempelanlage rattert auch, was will man mehr? Also los! Karte rein, Kette rechts und ab. Obwohl nur leichter Seitenwind weht, spüre ich ihn mehr als mehr lieb ist. Jenseits der 30 km/h fühlt sich ja auch der kleinste Luftzug wie Gegenwind an. Einzelzeitfahren heißen in Radsportkreisen ja auch das "race of truth". Unter mir fliegt der raue Aspahlt dahin. Schon nach einem Kilometer atme ich schwer und die Beine brennen. Jetzt nur nicht overpacen. Es geht leicht bergauf. Ich schalte in einen leichteren Gang und versuche einen möglichst rund Tritt durchzuhalten.

Die ersten Kilometer zwischen Suderburg
und Hösseringen


Vor Hösseringen fällt die Straße sanft ab, schwerster Gang, Unterlenkergriff und Vollgas. Herrlich, das ist es, was mich am Rennrad begeistert: dieser Speed, diese Effizenz, diese Leichtigkeit. Das alte Alu-Trek macht seine Sache noch immer gut. In Hösseringen geht es zwei Mal rechts ums Eck, dann wieder leicht bergauf. Häuser und Bauernhöfe huschen vorbei, dann bin ich auf einer von Birken gesäumten Landstraße. Mehr als die Hälfte ist geschafft; ich erhöhe nochmal den Speed, flitze durch Räber und fluche über die Steigungen. Aber insgesamt fühlt es sich gut an. Wie wird meine Zeit sein? Klar, langsamer als vor zwölf bis 14 Jahren. Aber wieviel langsamer? Zwei Minuten? Oder eher vier? Oder nur eine halbe? Dafür fehlt mir jedes Gefühl.

Die letzten zwei Kilometer nochmal richtig durchziehen, dann bin ich wieder am Stoppomat-Verschlag. Karte rein und durchatmen. Das war heftig, aber noch nicht 100 Prozent. Etwas Reserve hätte ich noch gehabt. Auf der Starkarte vergleiche ich Start- mit der Zielzeit: 18.35 Minuten kommen raus. Also 1.04 Minuten langsamer als meine bisher langsamste Zeit. Der Zahn der Zeit eben. Ich bin trotzdem zufrieden. Mit etwas Training müsste noch Luft nach oben sein.

Großer Dank an den VFL Suderburg, der den Stoppomat in Schuß hält und hoffentlich noch lange weiter betreut. Andere Anlagen sind wie erwähnt durch Vandalismus, Wettereinflüsse oder mangelndes Engagement leider schon lange verschwunden. Dass es nicht immer automatisch Strava sein muss, erklärte 2021 der Stoppomat-Erfinder Roland Hecht dem Südkurier. 2013 hätte man mal versucht, den Stoppomaten durch eine App zu ersetzen. "Das wurde aber nicht angenommen. Die Leute wollen lieber die einfachen Stempelkarten haben", erläutert Hecht. Ich kann das gut verstehen. Es mögen meine nostalgischen Gefühle sein, doch ein echtes Häuschen, die Karte und den Drucker ziehe ich der virtuellen Strava-Segmenten vor. Und natürlich hat(te) das Ganze einen touristsichen Wert für Suderburg, schließlich zieht der Stoppomat Rennradfahrer aus nah und fern in die Gegend.

Noch funktioniert die Stoppomat-Internetseite. 
Das hier ist meine Gesamtstatistik aller von mir
gefahrenen Stoppomaten

Von einst fast zwei Dutzend Stoppomaten
sind nur die in Suderburg, Hoher Meisner
und Pfullingen geblieben. Leider1



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