| Kurbelkunstwerk: Nordlicht-Dynamos mit Glocke |
Trotzdem mag ich Seitenläufer. Wahrscheinlich liegt es daran, dass sie prägender Teil meiner Jugend waren. Frühstunde um sieben Uhr morgens im Dezember, zwei Grad über null, dazu Schneeregen und natürlich stockdunkel. Trotzdem fuhr ich mit meinem Fahrrad die fünf Kilometer zur Schule, teils auf dem Radweg, teils auf Singletrails, die sich durch enge und dunkle Kleingartensiedlungen windeten.
Begleitet wurden diese Touren vom beruhigenden Surren meines Union-Dynamos (oder war er von Rula oder Soubitez?), der an der Vorrderradgabel im Takt der kleinen Felgenunwucht rhythmisch rappte. Er speiste meinen verchromten Frontscheinwerfer und das rechteckige Rücklicht. "Das ist ganz wichtig", hatten mir die Erwachsenen eingebläut. "Gesehen werden Junge, das kann Dir das Leben retten." "Ja, ja, Papa, schon klar", poppte es unausgesprochen in meiner Gedankenblase auf. "Übertreib doch nicht immer so!"
Suntour Kurbel und Nordicht-Dynamo sind hochwertige Fahrradteile
Und heute? Ich erzähle meinen Kids dass Gleiche. Gute Fahrradbeleuchtung ist wichtig. Anstecklichter mit Batterien und Akkus gab es damals noch nicht. Jedes verkehrssichere Rad hatte einen Seitenläufer, entweder vorn an der Gabel links oder rechts montiert oder hinten an den Sitzstreben. Oder, eher exotisch, war ein Walzendynamo direkt hinter dem Tretlager installiert. Je nach Ausführung waren die Kabel durch Schutzbleche und an den Rohren verlegt. Oder auch ganz elegant durch den Rahmen geführt. Verbaut war stets nur ein Kabel für die Stromzufuhr; als Masse zum Schließen des Stromkreises diente der Rahmen - simpel aber funktional. Und resourcenschonend: Benötigt wurde nämlich stets nur die Hälfte an Material gegenüber aktuellen zweipoligen Kabelinstallationen. Allen Seitenläufern gemein ist die Spannungserzeugung von mindestens sechs Volt Wechselstrom bei einer Stromstärke von zirka 0,5 Ampere und einer Leistung von drei Watt. Die Glühlampe im Frontscheinwerfer erzeugt eine Leistung von 2,4 Watt, hinten funzelt eine kleinere Lampe mit 0,6 Watt.
Technisch ist das alles sehr überschaubar. Keine Platinen, keine elektronischen Bauteile, keine Lötstellen, nur Dynamo, Kabel, Lampen und Klemmkontakte, fertig. Auch kein Überspannungsschutz wie bei aktuellen Lichtanlagen, was bei mir gern dazu führte, dass bei schneller Fahrt manchmal erst das Rücklicht und gleich darauf auch die vordere Lampe durchbrannte. Gleichen Effekt hatte es, wurde das Kabel zum Rücklicht schadhaft oder war durchtrennt worden. Dann strahlte das Frontlicht sofort deutlich heller, um meist kurz danach durchzubrennen.
Seitenläuferdynamos gibt es immer noch zu kaufen. Ganz günstige kosten unter 5 Euro im Sonderpostenmarkt. Bessere um 30 Euro. Ein empfehlenswertes Premiummodell ist der Axa HR Traction, den es für Links- und Rechtsmontage im Versandhandel für rund 20 Euro (UVP 33,95 Euro) zu kaufen gibt. Als günstiger Ersatz für Bestands- und Kinderräder werden uns Seitendynamos wohl (hoffentlich) noch ein paar Jahre erhalten bleiben. Fakt ist aber auch: Ihre Hochzeit ist dank Nabendynamos und Akkubeleuchtung vorbei.Befestigung auf der Rückseite
Begonnen hatte übrigens alles 1886 in Leipzig, als dort Richard Weber eine "selbsterregende Dynamomaschine zur Stromerzeugung am Fahrrad" präsentierte (Quelle: Velocipedsport 18.08.1886). Rund zehn Jahre später kamen in England die ersten Fahrraddynamos aus Serienproduktion von der Firma Brown Brothers aus London auf den Markt. In Deutschland gehörte die Chemnitzer Firma Balaco (Barthel, Land & Co) zu den Dynamopionieren.
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| Werbung anno 1890: Weber gilt als Erfinder des Fahrraddynamos. Quelle: Verein für historische Fahrräder |
Die Spitze ihrer Entwicklung erreichten die Seitenläufer etwa Anfang der 2000er Jahre als Lichtspezialist Busch und Müller beispielsweise die Modelle Dymotec S6 und S12 (12 Volt Spannung) im Programm hatte. Für den Massenmarkt waren sie offenbar zu teuer und zu anfällig, so dass sie bald wieder verschwanden.
Deutlich langlebiger war der Nordlicht-Dynamo aus der Schweiz, der in Deutschland erstmalig 1981 mit einem Metallreibrad auftauchte, von der OHG Weber aus Hagen vertrieben wurde und schon 1985 wieder vom deutschen Markt verschwand. Gleiches Modell war ab 1992 auch von der Schweizer Traditionsmarke Phöbus zu haben und ab 1996 als Basil Nordlicht 2000 aus Holland (van Baveren Silvolde) - beide Modelle kennzeichnet ein Reibrad aus Gummi.
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| Ein Dynamo, drei Erscheinungen: Nordlicht von Phöbus (l.), Basil (r.) und der Urtyp. Quelle: Oesingmann Fahrad-Wiki |
Womit wir nun endlich bei meinem Flohmarktfund wären. Kürzlich entdeckte ich zwischen lauter Hausrat eine schöne Suntour-Kurbel, auf der zwei Seitenläufer und eine Glocke verschraubt sind. Sie diente offenbar als Wanddeko oder Vitrinen-Schaustück eines Fahrrad-Nerds. Kunst oder Quatsch? Egal, ich mag solche Basteleien. Bei genauer Musterung entpuppten sich die beiden Seitenläufer als Nordlicht-Dynamos, für die ich eine ausgeprägte Schwäche habe. Ein Exemplar betreibe ich seit Jahren an einem Vintage-MTB und freue mich immer wieder darüber, wie leise und leichtgängig er läuft und dem modernen Buum-Scheinwerfer jede Menge LED-Licht entlockt.
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| Polrad mit Sintergleitlagern und Antreiber |



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