Mittwoch, 12. November 2014

ADFC Podiumsdiskussion: Da traut sich keiner was

"Wer traut sich was?" So lautete das Motto des Allgemeien Deutschen Fahrradclus (ADFC), unter dem er zu einer Podiumsdiskussion mit Hamburger Politikern geladen hatte. Das klang interessant. So interessant, dass ich mich zu einem Besuch der Veranstaltung entschied, obwohl ich politische Podiumsdiskussionen eigentlich nicht mag. Aber mal hören, was die Damen und Herren für uns Radfahrer planen und uns so als Wähler umwerben.
Doch gleich zu Beginn die erste Enttäuschung. Der ADFC hatte als Veranstaltungsort einen kleinen, rechteckigen Raum mit schummriger Bühne in St. Georg ausgesucht. Nicht sehr attraktiv und modern, sondern das Ambiente erinnert eher an ein Zusammentreffen einer Bürgerinitative, die einen Wachtelkönig vorm drohenden Autobahnbau retten will. Schade, ein cooles Gebäude mit luftiger Atmosphäre hätte mir besser gefallen und dem ADFC ein innovativeres Image verpasst. So wird man die muffige Aura, die den organisierten Radlobbyisten noch immer anhaftet, jedenfalls nicht los.

Wer mit Vorurteilen und Klischeevorstellungen ins zirka 100köpfige Pulikum blickte, könnte sich bestätigt fühlen. Angegraute Fahrrad-Ideologen und jugendliche Radaktivisten hielten sich in etwa die Waage. Warum sehen solche Veranstaltungen eigentlich immer irgendwie einheitlich aus: CM-T-Shirts, grelle Funktionsjacken, Rucksäcke... . Ich meine Radfahren braucht mehr Sexappeal, mehr Mut zu Modestatement, mehr textile Vielfalt, bunte Klamotten statt North-Face-Jack-Wolfskin-Gonzo-Ortlieb-Einheitslook. Aber es geht ja nicht um die da unten im Publikum, sondern die fünf auf dem Podium - diejenigen, die beweisen sollen, dass sie sich was trauen, wenn es um Verkehrspolitik geht. Die Fragerunde beginnt zahm. "Worüber habe sie sich zuletzt beim Radfahren geärgert?", will Moderatorin Mirja Spott als wissen.

Blasse FDP

Der FDP Mann Kurt Duwe aus Harburg liefert das gleiche Bild ab, das auch den Zustand seiner Partei beschreibt: blass. Da fehlt Esprit, Begeisterung für die Sache. Statt dessen gibt es nur sachliche Erläuterungen, staubtrocken vorgetragen. Würde mich nicht wundern, wenn die FDP zumindets bei der Radfahr-Klientel die Fünf-Prozent Hürde deutlich unterschreitet. Immerhin ist der Herr Duwe grundehrlich. Er gibt zu, dass er kein eignes Fahrrad besitzt. Vor einem Hardcore-Radfahrpublikum ist das schon eine gewagte Aussage; da hat es sich war getraut, der FDP-Vertreter, auch wenn das ungewollt und naiv war.

Die CDU setzt auf Konsens

Den schwersten Stand auf dem Podium hat wohl der CDUler Peter Hesse. Eloquent und mit fester Stimme macht er den Standpunkt sein Partei klar. Er plädiert für ein Miteinander, für Radweg und Tankstelle und nicht Radweg statt Tankstelle. Aber mal ehrlich: Ist das mutig? Natürlich nicht. Das ist Konsenspolitik, Politik eben, die massentauglich ist und für Wählerstimmen sorgt. Wer wollte es ihm verdenken? In der Opposition kann man Druck machen, mehr fordern als realistisch ist, mutiger sein und Wahlversprechen an die Radfahrer machen. Doch die kommen leider nicht. Hesse redet die Radverkehrsmassnahmen des Senats schlecht. Für ihn ist Hamburgs Leihradsystem und der frisch installierte Fahrradzähler an der Alster Symbolpoltik. Und dann sagt er, was ein CDU-Politiker sagen muss: "Wir sind gegen eine reine Fahrradstraße am Harvestehuder Weg, weil sie Autofahrer ausgrenzt. Auch Menschen mit Behinderung müssen die Alster dort erreichen können." Das Publikum stöhnt. Neu ist das alles nicht. Mutig gleich gar nicht. Komisch, denn Hesse hat durchaus erkannt, dass die Einstellungen der Menschen sich stark zu Pro-Fahrrad ändern. Wenn die CDU die Wahl in Hamburg gewinnen will, sollte sie bessere Vorschläge machen und sich hier und dort für Anti-Automassnahmen aussprechen. Wäre schön, wenn sich die Autofahrer-Klientelpartei CDU sich zu einer Radfahrer-Klientel-Partei wandelt, weil sie sich wandeln muss, weil nämlich irgendwann mehr Menschen mit dem Rad zur Arbeit fahren als mit dem Auto.

Linke fordern Tempo 30 überall

So zögerlich wie Hesse die Sache angeht, so radikal klingt das bei Heike Sudmann von den Linken. "Hamburg braucht flächendeckend Tempo 30", fordert sie und kriegt Beifall. Realistisch ist das nicht, sondern populistisch - typisch für die Linken eben. Natürlich ist ihr Applaus sicher wenn sie feststellt, dass "das Auto zu viel Platz in der Stadt beansprucht und 23 Stunden am Tag rumsteht". Der öffentliche Raum sollte gerechter genutzt werden, meint sie. Gerechtigkeit sei ja ohnehin das große Thema der Linkspartei. Und die solle eben auch fürs Fahrrad gelten. Ja klar, da fällt es leicht zuzustimmen. Da hat sich ja völlig recht. Aber mit einer Hauruck-Politik, wie sie sie vorschlägt, wird man in der Logistik-Metropole Hamburg nichts zum Guten ändern können, sondern einen viel zu großen Kolateralschaden verursachen. Trotzdem: Beim Publikum hinterlässt Sudmann offenbar den engagiertesten Eindruck; sie bekommt die größte akustische Zustimmung vom Publikum. Komplett durchdacht und umsetzbar sind ihre Vorschläge indes nicht, sondern überzogene Wahlversprechen. Aber als Linke darf man so was wohl. Vielleicht wird es sogar erwartet. Wählbar sind die Linken aber für mich nicht. Aber das andere, historische Gründe.

Selbstbewusste SPD

SPD-Mann Lars Pochnicht wirkt wie einer, der die Wahl schon gewonnen hat. Seine Botschaften bringt er eher emotionslos unter die Leute. Er verweist auf die Erfolge des SPD-Senats, der in der letzten Legislaturperiode rund 20 Kilometer neue Radwege geschaffen hätte. Dafür erntet er höhnisches Gelächter. Als Vertreter der Regierungspartei hat er es nicht leicht. Dem ADFC und seinem Publikum kann man es natürlich nur schwer recht machen. Trotz der hohen Erwartungshaltung schlägt er sich ganz wacker, der Mann mit Brille und Pferdeschwanz-Frisur. Fast staatstragend lehnt er flächendeckendes Tempo 30 ab, Busspuren wie die auf den Elbbrücken sollten nicht für Fahrradfahrer und E-Autos geöffnet werden. Hamburg sei eine Wirtschaftsmetropole; Güterverkehr genieße da Vorrang. Klingt ziemlich nah an der CDU. Konkrete Vorschläge? Langfristige Strategien? Mutige Ideen? Nein, leider auch hier Fehlanzeige. Die SPD hat die Radfahrer zwar als wichtiges Wahlvolk identifiziert, aber ihm wirklich dienen kann sie leider noch nicht.

Diffuse Position bei den Grünen

Die beste Radfahrpolitik erwartet man eigentlich von den Grünen. Und mit Till Steffen hat die Ökopartei einen erfahrenen Politik-Profi ins Rennen geschickt. Aber genau das ist es, was mich stört. Für einen Erneuerer kommt Steffen zu glatt und routiniert rüber. Wie ein altgedienter Wahlkämpfer richtet er seinen Blick ausschließlich ins Publikum, analysiert und fordert mit lauter Stimme dies und das und jenes. All das müsse vereinbar sein mit den Interessen aller Verkehrsteilnehmer. Der Konsensmantel ist auch bei den Grünen dick und warm. Gut so. Das klingt nach Realo. Die Grünen wirken regierungsfähig. Und genau das ist ihr Problem. In der Koalition mit der Beust-CDU ist zwar einiges passiert, für ein echtes Grünes-Programm aber noch zu wenig. Auch wenn man in vier Regierungsjahren nicht wirklich was Nachhaltiges hinterlassen kann, die Grünen sind eine Partei, die Ihre Chancen nicht konsequent genug genutzt hat. Heute werden Radfahrthemen - einst eine Domäne der Öko-Partei - in ähnlicher Form von den Linken und der SPD besetzt. Wie soll man sich da noch abheben? Von der Grünen-Politik in der Koalition mit der CDU waren offenbar viele enttäuscht. Darum können die Grünen nur mit charismatischen Frontleuten punkten. Einer davon ist Steffen; an diesem Abend war er souverän, aber nicht wirklich überzeugend. Für was grün steht, was sich grün traut und wie sich grün von den anderen Parteien abhebt, wurde mir jedenfalls nicht klar genug von Steffen formuliert.

Fazit

Ja, es war interessant zu hören, was die Parteien für Radfahrer planen und tun oder eben nicht tun. Wirklich innovative Ideen, prägnante Aussagen oder konkrete Projekte wurden allerdings nicht präsentiert. Wer traut sich was, war die Frage. Die Antwort darauf fällt leider ernüchternd aus: Große Verbesserungen für den Radverkehr werden auch in den nächsten Jahren Mangelware sein; es geht nur in kleinen Schritten voran. Was Hamburg fehlt ist ein charismatischer Bürgermeister wie Boris Johnson in London, der abgetretene Michael Bloomberg in New York oder ein Typ wie Ignazio Marino, der die Autostadt-Rom zu einer Fahrradmetropole umwandeln will.

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