igus:bike am Rhein bei Köln. Präsentiert wurde es auf der Hannover Messe |
Es ist leicht, wartungsfrei, gut für die Umwelt und soll ewig halten, weil es nicht rosten kann: Das Plastik-Fahrrad ist da.
Plastik! Das klingt billig, minderwertig, irgendwie das Gegenteil von langlebig. Nach Wegwerfgeschirr eben. Und nach Tüten, die die Ozeane verschmutzen. Und ein Ozean soll es dann auch gewesen sein, der Frank Blase den entscheidenden Impuls für das Fahrrad aus Plastik geliefert hat. Blase ist Geschäftsführer von Igus, einem mittelständischem Unternehmen aus Köln, das sich auf so genannte "motion plastics" spezialisiert hat. Also auf Industrie-Kunststoffe wie Gleitlager, Zahnräder und Energieketten.
Eines Tages spazierte Blase im Urlaub an der Atlantikküste, ärgerte sich über den angespülten Plastikmüll und entschied, das Zeug zu einem industriell gefertigten Fahrrad zu recyceln. Eine schöne Story mit Legendencharakter. Sie stimmt nur nicht. Blase nervte kein über den Strand fliegender Abfall, sondern ihm fiel auf, das Fahrräder in der salzigen Meeresluft viel zu schnell alterten. Örtliche Fahrradvermieter klagten Blase ihr Leid mit Wind, Wetter und Sand. Die Rental-Bikes hielten oft nur drei Monate durch und mussten dann ersetzt werden. Also doch ein Müllproblem, das dem Mann aus der Domstadt die Idee lieferte.
Dutchfiets hat bereits in Eigenregie 400 Fahrräder aus Plastik produziert |
Zurück in Köln beauftragte er seinen Entwicklungsleiter für Energieketten Andreas Hermey mit der Entwicklung eines Fahrrades aus Vollkunststoff. Projektname: igus:bike. Hermey kam dabei zugute, dass Igus bereits Erfahrung mit Fahrradkomponenten hat und der Industrie Gleitlager für Sattelstützen, Bremshebel und Pedale liefert. Auch in den Kugellagern der Naben kommen leichte Igus-Kunststoffe zum Einsatz, in die Festschmierstoffe integriert sind und so für reibungsarmen Trockenlauf sorgen. Öl ist überflüssig, Sand, Staub und Schmutz können diesen Teilen darum nichts anhaben.
Experten sprechen in diesem Zusammenhang auch von "tribologischen Materialien". Wer am Fahrrad-Stammtisch damit angeben will, lässt einfach mal die Vokabel "Tribo-Kunststoff" fallen und erklärt seinen Kumpels dann mit bedeutungsschwerer Zunge, dass es sich dabei um aus Erkenntnissen der Verschleißlehre optimierte Hochleistungspolymer-Produkte handelt. Wenn die dann immer noch wie Fragezeichen gucken einfach sagen: "Reibung wird durch bestmögliche und wartungsfreie Schmierung so minimiert, dass sie den Verschleiß quasi auf null reduziert." Klaro?
Es ist also nicht der Plastik-Rahmen des igus:bike, der die Bike-Produktion revolutionieren soll, sondern vor allem die mechanischen Bauteile. Sogar die Kraftübertragung, also das Getriebe, ist aus Kunststoff und damit rostfrei konstruiert. Und wenn neben den starren auch alle beweglichen Teile nicht mehr korrodieren und verschleißen können, dürfte das igus:bike dem ewigen und damit dem nachhaltigen Fahrrad schon sehr nahe kommen.
Damit nicht genug: Igus sieht sich nicht als Einzelkämpfer, sondern stellt Fahrrad-Entwicklern und Komponenten-Herstellern weltweit eine Technologie-Plattform bereit, um das Thema Kunststoff-Rad voran zu bringen. Mit der Firma Helix-Eco ist bereits ein Spezialist fürs Kunststoff-Recycling mit an Bord. Außerdem kooperiert Igus mit dem niederländischem Start-Up MTRL, das unter der Marke Dutschfiets Kunststoff-Räder in einem Pilotprojekt produziert.
Dutschfiets will noch dieses Jahr mit der Produktion des neuen Vollplastikfahrrades beginnen. Geplant ist ein City-Bike sowie eine Kindermodell. Die Markteinführung in Deutschland soll 2023 erfolgen. Weitere Versionen, etwa mit E-Motor, hat Igus ebenfalls angedacht. Die Markteintritts-Strategie sieht vor, zunächst ein Modell aus Neukunststoff für 1200 Euro anzubieten. Parallel wollen Igus und MTRL aber auch eine Recycling-Version für 1400 Euro auf den Markt bringen. Hierfür soll es dann weltweit Produktionsstandorte im Umfeld von Mülldeponien geben, die den recyclingfähigen Kunststoff liefern.
Das Itera aus Schweden wurde Anfang der 80er zum Voll-Flopp (Foto: Timm) |
"Von Ocean-Plastics zu Motion-Plastics", sagt Frank Blase dazu im besten Marketingsprech. Tatsächlich könnte die Igus-Idee ein Volltreffer als ökologisches High-Tech-Produkt werden. Doch Blases Team ist gut beraten, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Denn ganz neu ist die Idee eines Plastik-Fahrrades natürlich nicht. Ausgerechnet die qualitätsverliebten Ingenieure der Schwedenstahl-Legende Volvo konstruierten Ende der 1970er Jahre das Itera-Fahrrad aus Kunststoff. Ein Voll-Flopp. 1982 kam es auch in Deutschland für 650 Euro auf den Markt und war damit deutlich teurer als vergleichbare Stahlfahrräder. Obwohl es als "Ewigkeitsmaschine" angepriesen wurde, kam schnell Spott am Design und Bauweise auf. Im Sommer führte der in der Sonne erweichende Rahmen zu einem flattrigen Fahrverhalten, bei Minusgraden im Winter versprödete er, so das Teile brechen konnten. Schon 1985 nach nur 30000 Exemplaren wurde die Produktion wieder eingestellt.
Weitere Versuche mit Plastik-Fahrrädern anderer Anbieter, unter anderem hergestellt in 3-D-Druckern, blieben bislang stets im Prototypen-Stadium hängen. Immer wieder versuchen Tüftler mit exotischen Materialien wie Papier und Pappe Räder zu konstruieren. Bislang nie mit Erfolg. Igus ist zum Glück ein anderes Kaliber. Die lange Erfahrung als Industrie-Zulieferer mit High-Tech-Kunststoffen schaffen beste Vorraussetzungen für einen Durchbruch. Vielleicht fährt der Tour-de-France-Sieger 2030 ja mit einem Plastikfahrrad durchs Ziel in Paris.
Oh cool, die sehen nicht schlecht aus;)
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